"Wir lassen uns nicht abhängen" steht auf den Flyern und Karten, die in tausendfacher Auflage vor kurzem an die Pendler*innen im Rems-Murr-Kreis und in Stuttgart verteilt wurden. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Gewerkschaften und Parteien hatte damit Mitte April gegen die von der Deutschen Bahn (DB) geplanten Streckensperrungen demonstriert.

Hintergrund: Im Zuge des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 soll die Region bis Ende 2025 der erste digitalisierte Bahnknoten (DKS) in Deutschland werden. Das umfasst auch das neue europäische Zugsicherungssystem ETCS. Dafür müssen Tausende Kilometer Kabel verlegt werden. Mitte März hatte die Bahn kurzfristig angekündigt, dass die notwendigen Arbeiten umfangreicher sind als bislang vorgesehen und nicht im laufenden Betrieb durchgeführt werden können. Deshalb sollen Strecken gesperrt werden.

Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Remsbahn zwischen Stuttgart und Aalen, die Murrbahn zwischen Stuttgart und Schwäbisch Hall sowie auf den Bahnverkehr nach Tübingen und Ulm. Später sollen Streckensperrungen im Bereich Vaihingen, Flughafen und Böblingen folgen.

Wie aber kommen dann Beschäftigte, Pendelnde, Schüler*innen, Studierende und vor allem Menschen mit Behinderungen von und nach Stuttgart? Geht es nach den Planungen der Bahn fahren ab 12. Mai bis voraussichtlich 29. Juli keinerlei S-Bahnen und Züge auf den vielbefahrenen Strecken der Rems- und Murrbahn zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen. Das bedeutet knapp drei Monate Stillstand. Die DB kann offenbar machen, was sie will, die Politik schaut ratlos zu. Weder Landräte noch Kommunalpolitiker*innen sehen sich in der Lage, das drohende Chaos abzuwenden, ja selbst das Landesverkehrsministerium scheint wie gelähmt, kritisiert der Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart, Cuno Brune-Hägele. "Das ist gelinde gesagt eine Riesensauerei", sagte Brune-Hägele auf der Kundgebung vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat die Bahn noch kein tragfähiges Alternativkonzept vorgelegt. Es drohe Chaos auf den Einfallstraßen rund um Stuttgart, die schon jetzt täglich durch kilometerlange Staus blockiert seien: "So senkt man gewaltig die Akzeptanz des Schienenverkehrs, das ist ein massiver Schlag ins Gesicht einer Verkehrs- und Klimawende", so der Gewerkschafter.

Mit Bussen allein sei die Verkehrswende nicht zu schaffen, die dafür nötigen Busfahrer*innen fehlten. "Ein starker ÖPNV, eine starke Bahn bedeutet auch gute Arbeitsbedingungen für gute Beschäftigte, gut bezahlte Beschäftigte! Wir brauchen keine Bürgerbahn und keine profitorientierte Aktionärsbahn – wir brauchen eine Bahn, die fährt", so Brune-Hägele. ver.di fordere den sofortigen Stopp der Pläne zu Strecken sperrungen. "Im Sinne der abhängig Beschäftigten erwarten wir, dass die Verantwortlichen in Stadt und Land dieses absehbare Chaos abwenden."

80 Ersatzbusse sollen den Verkehr von den gesperrten Strecken auffangen. Doch Brune-Hägele hat Zweifel, dass sie ausreichen, um den Ansturm der Pendler*innen zu bewältigen. Daher sagt er "Nein" zu den Streckensperrungsplänen der Deutschen Bahn.