diakonie-verdi-kundgebung-streikrecht.jpg
Für das Recht auf Streik protestieren die Beschäftigten der Kirchen schon seit JahrenFoto: Christian Jungeblodt

"Es ist absolut nicht mehr zeitgemäß, dass persönliche Lebensentscheidungen mit dem Beruf verknüpft werden", sagt Sabrina Wipprecht. Die Diplom-Sozialarbeiterin arbeitet beim Diakonischen Werk Lörrach und kritisiert, dass ein Kirchenaustritt von Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen auch heute noch eine sofortige Kündigung zur Folge haben kann. Gleiches gilt für Mitarbeiter*innen, die sich in ihrer Freizeit in einer Weise äußern, die der Kirche missfällt. Die fachliche Eignung und Qualifikation spielen dabei keine Rolle.

"Es kann nicht sein, dass unzählige kirchliche Beschäftigte mit dem Gefühl einer ständigen Bedrohung leben müssen", sagt die 42-Jährige mit Blick auf die Möglichkeit der Kirchen, sich von für sie unbequemen Mitarbeiter*innen zu trennen. "So dürfen wir nicht miteinander umgehen", ist die engagierte Gewerkschafterin überzeugt.

Gleiches Recht für alle

Doch noch macht Paragraf 9 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genau das möglich. Er erlaubt es den Kirchen, ihre Beschäftigten wegen privater Entscheidungen zu sanktionieren. Dabei stimmt die deutsche Sonderregelung nicht mit geltendem EU-Recht überein, das hat der Europäische Gerichtshof bereits im Jahr 2018 festgestellt. Der deutsche Gesetzgeber hätte das AGG längst an EU-Recht anpassen müssen. Bislang hat er dies allerdings versäumt.

"Der Paragraf 9 des AGG muss dringend abgeschafft werden", fordert deshalb Sabrina Wipprecht. Und nicht nur sie. Gemeinsam mit vielen anderen kirchlich Beschäftigten, die in ver.di aktiv sind, unterstützt die Sozialarbeiterin die ver.di-Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftige". Bereits rund 15.000 Unterstützer*innen haben schon unterschrieben und treiben so die längst überfällige Gleichstellung kirchlicher Beschäftigter mit anderen Arbeitnehmer*innen voran.

Denn auch das Betriebsverfassungsgesetz sieht mit dem Paragraf 118 gesetzliche Ausnahmen für die christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie vor. Das staatliche Betriebsverfassungsgesetz findet bei ihnen keine Anwendung. Stattdessen gelten kirchliche Regeln, nach denen die rund 1,8 Millionen Beschäftigten – Pflegekräfte, Erzieher, Notfallsanitäterinnen und viele Berufsgruppen mehr – ihre Mitarbeitervertretungen wählen können. Der Haken: Die kirchlichen Mitbestimmungsrechte sind weniger wirksam als die Rechte von Betriebs- und Personalräten in weltlichen Betrieben.

Eindeutige Benachteiligung

Tobias Warjes kennt das Problem aus der Praxis. "Im Mitarbeitervertretungsgesetz der evangelischen Kirche gibt es zum Beispiel das sogenannte Fristenregime", sagt der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung der Lilienthaler Diakonie in der Nähe von Bremen. "Als Mitarbeitervertretung müssen wir binnen zwei Wochen auf Anträge der Einrichtungsleitung reagieren", erklärt der Heilerziehungspfleger. "Tun wir das nicht, gilt unsere Zustimmung automatisch als erteilt." Das staatliche Betriebsverfassungsgesetz kennt eine solche Regelung nicht, wenn es etwa um die Mitbestimmung bei Dienstplänen geht. Jeder Betriebsrat muss Anträgen aktiv zustimmen.

"Das ist eine eindeutige Benachteiligung der kirchlichen Mitarbeitervertretungen, denn um in so kurzer Zeit rechtssicher auf Anträge der Leitung reagieren zu können, brauchen wir häufig juristischen Beistand," sagt Warjes. Diese Schlechterstellung will der 49-Jährige nicht länger hinnehmen. Er fordert die vollen Mitbestimmungsrechte für Kirchenbeschäftigte. Wie Sabrina Wipprecht gehört er zu den Erstunterzeichner*innen der Petition.

Die Petition richtet sich übrigens direkt an Hubertus Heil, den Bundesminister für Arbeit und Soziales. Auch die Bundestagsabgeordneten von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP werden in die Pflicht genommen. Denn in ihrem Koalitionsvertrag hatten die Parteien 2021 vereinbart, den kirchlichen Sonderstatus im Arbeitsrecht zu überprüfen. Passiert ist bisher jedoch nichts.

"ver.di erwartet von der Bundesregierung nicht nur die zügige Umsetzung dieses Prüfauftrags, sondern auch konkrete Schritte, um die Ungleichbehandlung kirchlich Beschäftigter zu beenden", sagt Mario Gembus, der bei ver.di für die kirchlichen Betriebe zuständig ist. Darüber hinaus fordert ver.di, Gewerkschaften und Interessenvertreter*innen in die Veränderungsprozesse einzubinden. "Dafür machen wir weiter Druck", sagt der Gewerkschafter. Für September und Oktober sind bereits betriebliche Aktionen geplant.

Auch Sabrina Wipprecht und Tobias Warjes werden dann bei Kolleg*innen, bei Freunden und Familie noch einmal in persönlichen Gesprächen für die Petition und die Abschaffung der kirchlichen Sonderrechte werben. "Je mehr Menschen von der Diskriminierung der Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen erfahren, desto besser," sagt Tobias Warjes.

Werde Unterstüzter*in!

openpetition.de/petition/online/gleiches-recht-fuer-kirchlich-beschaeftigte