Um genügend Fachkräfte zu finden, sind neue Wege nötig. Und die hat der Betriebsrat des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau, eine gemeinnützige GmbH mit nahezu 3.000 Beschäftigten, mit dem Pilotprojekt "Meine Station" eingeschlagen. Ein gutes halbes Jahr nach dem Start zeichnet sich ab, wie erfolgreich das Konzept ist. Dank vieler neuer Ideen wird nicht nur Personal gehalten, sondern zusätzlich neues geworben. Auch um anderen Mut zu machen, hat sich der Betriebsrat mit seinem Projekt für den diesjährigen Deutschen Betriebsrätepreis beworben.

"Neue Ansätze bei der Arbeit auf einer Krankenhausstation sind schon lange nötig", sagt der Betriebsratsvorsitzende des Klinikums, Andreas Parr. "Bei uns war es so ähnlich wie in den meisten Kliniken: Selbstbestimmtes Arbeiten, gerade in der Pflege, gab es kaum. Hierarchien und Zuständigkeiten standen dem entgegen." Dazu beherrschten auch noch Überlastung, Unterbesetzung, Dokumentationspflichten und der allgemeine Pflegemangel den Alltag. Das alles sollte sich ändern.

"Wir haben uns als Gremium die Methode 'New Work' angesehen, die aus der Start-up-Branche kommt. Dort gibt es auch für uns interessante Ansätze", sagt Parr. Das sind vor allem Elemente wie der Abbau von Hierarchien, mehr Mitspracherechte für alle Beschäftigten und selbstbestimmtes Arbeiten. Um die neuen Methoden zu erproben, wählten die Verantwortlichen zunächst eine allgemeinchirurgische Station aus. "Der dortige Chefarzt war mit ,New Work' vertraut und konnte so die Schulung der Kolleg*innen übernehmen", so Parr.

Das Pilotprojekt ist auf zwei Jahre angelegt, von Anfang dieses Jahres bis Ende 2024. Anschließend werden die Erfahrungen mit dem neuen Arbeiten ausgewertet und mögliche Schwachstellen nachgebessert. Darüber haben der Betriebsrat und die Geschäftsleitung eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen.

Die Arbeit macht jetzt mehr Spaß

Doch schon jetzt entpuppen sich die neuen Ansätze als Erfolgsmodell. "Seit Beginn der Pilotphase hat sich die Zahl der Bewerber*innen signifikant erhöht", sagt Johannes Englert, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Und das sind neben Pflegekräften auch Ärzt*innen und Medizinische Fachangestellte, die sich teilweise von anderen Stationen oder Abteilungen des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau, aber auch aus ganz anderen Städten um eine Stelle auf der Projektstation bewerben. Das zeige klar, wie gerne Fachkräfte so arbeiten wollen, wenn sie sogar einen Umzug oder einen weiten Weg zum Arbeitsplatz auf sich nehmen, findet Englert.

"Die Arbeit läuft besser und macht viel mehr Spaß", sagt Pflegefachkraft Tatjana Manger, die auch schon vor dem Start des Pilotprojektes auf der allgemeinchirurgischen Station tätig war und zudem Betriebsratsmitglied ist. "Wir arbeiten nun teambasiert und besprechen alle zentralen Belange der Station gemeinsam. Nicht die Vorgesetzten stülpen den Beschäftigten eine Struktur über, sondern alle arbeiten an ihrer Entwicklung", nennt sie einen der vielen wichtigen Punkte für ein deutlich angenehmeres Arbeiten.

Dabei dürfen sich Strukturen auch jederzeit verändern, wenn ein*e Kolleg*in eine neue Idee dafür einbringt. Außerdem werden auch Vorlieben berücksichtigt, so dass die Stationsmitarbeiter*innen sich den Arbeiten zuwenden können, die sie besonders gerne und gut ausüben. "Im Mittelpunkt stehen bei alldem natürlich die Patient*innen", betont Manger. "Die werden nun tatsächlich in den Prozess ihrer Genesung aktiv einbezogen."

Die klassische Visite am Bett wurde auf diesem Wege abgeschafft, stellt die doch immer eine Situation dar, bei der Ärzt*innen eher "von oben herab" den Kranken Diagnosen und Therapieschritte erläutern. Stattdessen reden Stationsbeschäftigte nun mit einzelnen Patient*innen über diese Themen in einem Sprechzimmer ohne unfreiwillige Zuhörer*innen im Krankenzimmer.

Das teamorientierte und hierarchiearme Arbeiten hat inzwischen auch einen "Nachahmer" im Klinikum gefunden: Die urologische Ambulanz hat auf Wunsch der dortigen Kolleg*innen ebenfalls Elemente von "New Work" übernommen. Dort sind sie ebenso zufrieden mit den veränderten Arbeitsformen wie die Beschäftigten der allgemeinchirurgischen Station. Auf der Projektstation konnten zudem sogar weitere Betten belegt werden, was zuvor wegen des Personalmangels nicht möglich war. "Wir sind optimistisch, dass sich die Methode weiter durchsetzen wird", sagt der Betriebsratsvorsitzende Parr. Auch, weil die Rückmeldungen von den Beschäftigten und den Patient*innen durchweg positiv sind.

Drei ver.di-Projekte für den Betriebsrätepreis

Die diesjährige Nominierung für den Deutschen Betriebsrätepreis umfasst insgesamt 12 Projekte, von denen drei aus dem Organisationsbereich von ver.di stammen. Neben dem vorgestellten Ansatz des "New Work" im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau sind dies ein Nachhaltigkeitsprojekt der KBF gGmbH, einer gemeinnützigen Einrichtung, die Menschen mit und ohne Behinderung an verschiedenen Standorten in Baden-Württemberg betreut, sowie das Umstrukturierungsprojekt bei der Commerzbank AG. Dank eines abgestuften Verfahrens konnten bei der Commerzbank AG betriebsbedingte Kündigungen von nahezu 10.000 Menschen abgewehrt werden.

Die Jury wird während des Deutschen Betriebsrätetags, der vom 7. bis zum 9. November in Bonn stattfindet, die Projekte auswählen und auszeichnen. gg