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Ausstellungsstation Deutsche Welle: Fotografin Anna Spindelndreier im Workshop mit Kolleginnen des SendersFoto: Andi Weiland

Wie ist es, wenn man sich nur noch in einem Rollstuhl fortbewegen kann? Wenn Treppen zu unüberwindbaren Hindernissen werden? Wenn man für seinen Betrieb auf Dienstreise muss und ständig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist, um in eine Bahn oder einen Bus zu kommen? Wie fühlt es sich an, wenn alles um einen herum immer nur schwarz ist? Menschen, die sehen können, haben kaum eine Vorstellung davon, was es heißt, kein Augenlicht zu haben, nichts sehen zu können.

Die Ausstellung "Innoklusio" bietet ihren Besucher*innen unter anderem die Möglichkeit, mit einem Blindenstock in der Hand und einem blinden Guide in einer "Black Box", einem komplett abgedunkelten Raum, für eine Weile nachzuvollziehen, wie das ist, nichts zu sehen. Für Sehende ist das zunächst ein wenig beängstigend, vor allem die Ohren scheinen größer zu werden, jedes Geräusch lauter als normal. Die Hände suchen Vertrautes, wollen Halt finden, die Schritte werden kleiner und vorsichtiger. Das kleine Experiment schafft es, dass wir die Perspektive wechseln. Dass wir noch einmal mit einem anderen Blick auf die Fähigkeiten sehbehinderter Menschen schauen.

Viele erwerbsfähige Behinderte ohne Arbeit

Jeder sechste Mensch in Deutschland lebt mit einer Behinderung. Doch nur 57 Prozent der Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter arbeiten auch. Zum zweiten Mal haben gerade die Vereinten Nationen überprüft, wie Deutschland die Behindertenrechtskonvention der UNO umsetzt. Seit 2009 schon ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung für Deutschland verbindlich. Doch um die Behindertenrechte hierzulande steht es schlecht. Die Mitglieder des UNO-Ausschusses kritisieren insbesondere, wie sehr Menschen mit Einschränkungen bei uns noch immer von der Gesellschaft abgeschottet werden – und zwar von der Schule über Werkstätten bis hin zu Wohnheimen.

Vor allem auch um mehr Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt einen Platz zu bieten, ist die Wanderausstellung "Innoklusio" entwickelt worden. In vorerst 14 Unternehmen ist sie seit Mai unterwegs. Fünf begehbare Kuben wie die Black Box mit Medienstationen und Lernspielen zum Thema Inklusion stehen bereit. Es wird gefragt, was man zu Behinderungen weiß. Die Fragen sind sehr niedrigschwellig. Es geht nicht darum, Wissen abzufragen, sondern vielmehr Bewusstsein zu schaffen für die Situation für Kolleg*innen mit Einschränkungen.

Im besten Fall erkennen diejenigen, die ohne Behinderungen mit beiden Beinen im Leben stehen, keine kognitiven Einschränkungen haben und nicht blind sind, dass sie Beschäftigten mit Behinderungen möglicherweise unbewusst mit Vorbehalt begegnen, sie gar ausgrenzen, weil sie denken, dass sie bestimmten Aufgaben nicht gewachsen sind.

Dabei dürften die wenigsten wissen, dass die häufigste Ursache für eine Behinderung ein Schlaganfall ist. Oft sind es auch Schicksalsschläge wie ein Unfall, der Menschen vor Barrieren stellt, die sie zuvor ohne Rollstuhl nicht wahrgenommen haben. Die Ausstellung möchte so auf Vorurteile, Missstände und Möglichkeiten aufmerksam machen – für Beschäftigte und Unternehmen.

Der Handicap-Parcours regt den Austausch innerhalb von Belegschaften, zwischen Kolleg*innen mit und ohne Behinderungen an, will Verständnis schaffen und so die Inklusion im Betrieb zur Selbstverständlichkeit machen. Wie spricht man miteinander, wie bietet man gegebenenfalls Hilfe an, auch darum geht es. Und darum, eigene Unsicherheiten zu äußern, weil man Sorge hat, den Kollegen mit der Behinderung allein durch eine beiläufige Handlung auszugrenzen oder unter Druck zu setzen.

Für Vielfalt im Betrieb

Auf viele Fragen und Sorgen gibt die Ausstellung Antworten. Aber sie richtet sich eben nicht allein an die Belegschaften, sondern auch an die Chefs und Personalabteilungen. Auch ihnen soll deutlich gemacht werden, dass es ihrem Unternehmen nutzt, sowohl nach innen als auch nach außen, sich die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf die Fahne zu schreiben. In einer Welt und auch Arbeitswelt, die immer diverser wird, ist ein Betrieb, der Vielfalt nicht nur lobt, sondern auch lebt, auf der Höhe der Zeit. Menschen mit Behinderungen vermögen vielleicht die eine Arbeit nicht so gut zu verrichten, dafür eine andere umso besser. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollten ihre Fähigkeiten nicht brach liegen.

Die Ausstellung ist Teil eines dreijährigen Modellprojekts, das zudem Führungskräfteseminare und ein sechsmonatiges berufsbegleitendes Bildungsprogramm für alle interessierten Beschäftigten mit beinhaltet. Gefördert wird es mit Mitteln des Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), wissenschaftlich begleitet von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW).

Bevor die Ausstellung und auch das Begleitprogramm längerfristig Schule machen können, werden aber erst einmal alle Ergebnisse aus den beteiligten Unternehmen ausgewertet und im kommenden Jahr veröffentlicht. Vielleicht wird dann auch deutlich, dass schon von Anfang an in die Bildung und Ausbildung investiert werden muss, um das Potential von Menschen mit Behinderungen zu schöpfen.

Mehr Infos unter innoklusio.de