Ausgabe 01/2024
Messerscharf seziert
Was zählt mehr in der deutschen Gesundheitsversorgung und Medizin? Mensch oder Maschine? Heilung oder Profit? Diesen Fragen geht die Fotografin Patricia Kühfuss seit Jahren nach. Mit ihrer Masterarbeit an der Königlichen Akademie der Künste von Den Haag, aus der wir auf den Seiten dieses Gesundheitsspezials Auszüge zeigen, bringt sie die Probleme einer zunehmend technisierten und berechenbaren Medizin ans Licht, hinter der die Patienten und das Personal mit ihren Bedürfnissen zunehmend verschwinden.
Die Fakten hinter ihren Fotografien liegen seit Jahren auf den Tischen von Kliniken, aber auch der Politik. Immer mehr Menschen verlassen ihren Beruf in der Pflege, im Krankenhaus. Immer mehr Krankenhäuser geraten in die Schieflage, weil sie nicht einmal mehr kostendeckend wirtschaften können, wobei sie eigentlich Gewinne erwirtschaften sollen. Patricia Kühfuss fotografiert in ihrer sich weiterentwickelnden Arbeit „Was zählt“ nicht einfach Menschen in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen bei ihrer Arbeit. Sie, die selbst ursprünglich Medizin studieren wollte, seziert das Gesundheitssystem mit der Kamera. Ihre Bilder leuchten Arbeitssituationen grell aus, zeigen messerscharf vor allem Handgriffe an Patienten und zunehmend auch die fortschreitende Industrialisierung der Medizin durch hochmoderne Geräte wie das Robotor-assistierte DaVinci-Operationssystem.
Gewinnfaktor unter OP-Tüchern
In solche Systeme investieren viele Kliniken, um profitabel zu bleiben, aber sie sind sehr kostspielig und nur refinanzierbar durch teure Eingriffe. Nicht zuletzt deshalb wird in Deutschland viel mehr operiert, im europäischen Vergleich werden dreimal mehr Stents eingesetzt, wie es Statistiken belegen. Und so wurde auch Kühfuss‘ Vater zum Objekt ihrer Arbeit, das Röntgenbild seiner Brust mit Schrittmacher und Stent und sein nackter Oberkörper mit der OP-Narbe.
Immer wichtiger werden in diesem Gesundheitssystem sogenannte Kodierfachkräfte. Bei der Fotografin fallen auf eine solche im Schatten eines Büros nur ein paar Sonnenstrahlen. Die speziellen Fachkräfte rechnen für Kliniken aus, wie sie aus den jeweiligen Behandlungen die besten Vergütungen über die Krankenkassen herausholen. Und die Patienten? Sie verschwinden auch bei Kühfuss immer mehr unter OP-Tüchern, sind nicht mehr sichtbar, sondern nur noch ein Objekt einer Operation, ein Kosten- und Gewinnfaktor.
Ein Gemälde wie „Die Anatomiestunde des Dr. Nicholeas Tulp“, des niederländischen Malers Rembrandt van Rijn von 1632, zeigt noch den ganzen Körper eines Toten, dessen aufgeschnittenen Arm der Arzt für Studenten und Kollegen Sehne für Sehne auseinandernimmt. Was ist davon geblieben? Das grelle Licht auf den leblosen und aschfahlen Körper, findet sich rund 400 Jahre später auch in Küfuss‘ Fotografien wieder. Petra Welzel
patriciakuehfuss.com/portfolio/what-counts-healthcare-finance-fragmentation