Die Post in Reutlingen will verhindern, dass Zusteller ihre Überstunden aufschreiben

Es begann mit einem Brief. Darin hatte Thomas Jagau, damals Leiter des Post-Briefzentrums Reutlingen, ziemlich verklausuliert geschrieben: "Zur Feststellung der persönlichen Eignung sind die Kräfte zu begleiten und ihr Arbeitsablauf zu dokumentieren. Stellt sich dabei heraus, dass die Zeitverzögerung aus dem Unvermögen der Kraft resultiert, ist die Angelegenheit der Personalabteilung zur Prüfung einer personenbedingten Kündigung zu übermitteln, es sei denn, die Kraft verzichtet auf die Ist-Zeit-Erfassung." Im Klartext: Wer es nicht schafft, alle Briefe in seinem Bezirk zu verteilen, und trotzdem Überstunden aufschreibt, fliegt raus.

Gegen IBIS: ver.di setzt sich durch

Mit diesem Schreiben aus dem Jahr 2003 begann ein jahrelanger Kampf von ver.di gegen die Pläne in der Niederlassung Reutlingen, Überstunden zu verhindern. Es betrifft rund 3500 Postler/innen zwischen Bodensee und Stuttgart, die dazu gedrängt werden, ein System namens IBIS anzuwenden. Das rechnet aus, wie groß der Bezirk sein muss, damit ein Zusteller auf die 38,5-Stunden-Woche kommt. Und es rechnet so, dass nur junge und durchtrainierte Postler das schaffen. Alle anderen haben keine 38,5-Stunden-Woche. ver.di wehrte sich dagegen und setzte gegen den Willen der Geschäftsleitung durch, dass die Mitarbeiter Überstunden aufschreiben und abfeiern können. "20 Prozent der Belegschaft machten mit", berichtet der Reutlinger Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Amann.

Inzwischen sind es nicht mehr so viele. Von Zustellern war zu erfahren, dass alle, die Überstunden aufschreiben, regelmäßig unter Druck gesetzt wurden, im persönlichen Gespräch, durch Kontrolle des Arbeitsablaufs. Auch bei zwei Kündigungen spielten die Überstunden offensichtlich eine Rolle. Wolfgang Amann argumentiert sehr vorsichtig: Er sei zwar wegen anderer Dinge gekündigt wurden, aber immer seien bei den Verhandlungen die Überstunden ein Thema gewesen.

Ins Bild passt auch, wie die Post mit Leuten umgeht, die zu viele Überstunden haben. Ein Zusteller aus Reutlingen und einer aus dem Raum Tuttlingen hatten rund 500 Überstunden angesammelt. Als es ums Abfeiern ging, wollte die Post 100 davon abziehen. Die Postler klagten dagegen, das Urteil steht noch aus. Dazu Postpressesprecher Hugo Gimber: "Wir hoffen, uns mit den Leuten außergerichtlich zu einigen." Der Betriebsrat verbürgt sich für die Mitarbeiter, es seien gewissenhafte Leute. Wolfgang Amann ist sicher, die Auseinandersetzung zu gewinnen: "Wir sind lange gegen das IBIS-System angegangen und haben die Geschäftsleitung langsam weich geklopft."

Doch vielleicht endet der Streit bald auf andere Art. Durch die Konkurrenz der Privaten bekäme die Post weniger Briefe, sagt Amann. So fallen kaum noch Überstunden an.Ulrich Stolte