In wenigen Tagen schließt die letzte Tiefdruckerei in Hessen

Der Galvanikfacharbeiter Zoran Ljubicic ist seit mehr als 20 Jahren im Betrieb. Auch er verliert jetzt seine Arbeit

Die Tafel ist aus dem Weg geräumt. Unter der Treppe stört sie nicht. "Aktuelle Stellenangebote" steht darauf, sonst nichts. Noch vor Wochen heftete immer mal jemand Zettel mit Tipps für Jobs an das Brett. Das tut jetzt keiner mehr.

Thomas Lieb, 43, läuft achtlos daran vorbei. Der Elektroinstallateur hat sich schon oft beworben. Auch dort, wo viel weniger bezahlt wird als in der Druckindustrie. Die Familie wird sich einschränken müssen, sagt er. Sie hat sich mit dem Kauf eines Häuschens verschuldet. Sein Verdienst ist fest einkalkuliert, Arbeitslosigkeit hat keinen Platz in der Lebensplanung. "Ich habe es mir leichter vorgestellt, eine neue Arbeit zu finden."

Hauen und Stechen

Der von Bertelsmann dominierte größte europäische Tiefdruckkonzern Prinovis macht den kleinsten seiner fünf deutschen Standorte nach 48 Jahren dicht, die älteste Axel-Springer-Tiefdruckerei in Darmstadt. Fast die Hälfte der knapp 300 Beschäftigten wird arbeitslos. Der Standort habe keine Zukunftsperspektive, die Schließung sei wirtschaftlich ohne Alternative, heißt es im Unternehmen.

"In meinem Alter habe ich wahrscheinlich keine Chance mehr", sagt Christel Schilling, 56. Die Sekretärin wechselt in die Transfergesellschaft

Nicht nur Prinovis, die gesamte Tiefdruckbranche klagt seit langem über steigende Energiepreise, Überkapazitäten und Preisverfall. Die Krise hätten sich die Unternehmen teilweise selbst zuzuschreiben, sagt Josef Peitz, Bundesfachgruppenleiter bei ver.di. Die Unternehmen befänden sich in einem ruinösen Unterbietungswettbewerb, jagten sich gegenseitig Aufträge ab und unterböten sich bei den Preisen. Fast wöchentlich tauchen neue Nachrichten und Gerüchte über Verkäufe und Schließungen auf. "Auf dem europäischen Tiefdruckmarkt herrscht ein Hauen und Stechen."

Erstes Opfer des Sparkurses ist die Belegschaft in Darmstadt. Prinovis, vor drei Jahren aus dem Zusammenschluss der Bertelsmann-Firmen Arvato und Gruner + Jahr mit Axel Springer hervorgegangen und auf Rang 1 in Europa gerückt, hat sich heftig verkalkuliert. Die Umsatzrendite von acht Prozent wurde nie erreicht, die jüngste der Druckereien in Liverpool hatte im vergangenen Jahr ein Minus von mehr als 30 Millionen Euro.

Nur 20 der insgesamt 280 Darmstädter haben eine neue Stelle gefunden und sind schon weg. Alle über 50-Jährigen - es sind 104 - wechseln in eine Transfergesellschaft. Darunter die Sekretärin Christel Schilling, 56. Sie macht sich trotz eines Bewerbungstrainings wenig Hoffnung auf einen neuen Job. Es graut ihr vor den Tagen, an denen sie morgens nicht zur Arbeit fährt, vor dem schwarzen Loch aus unendlicher Zeit.

Obwohl die Schließung seit Februar bekannt ist, begreifen viele erst jetzt, dass der letzte Tag näher rückt. Mancher hat hier gelernt und ist geblieben. Andere erleben das Ende schon zum zweiten Mal. 1997 hatte der Burda-Konzern seine Tiefdruckerei geschlossen und 600 Leute auf die Straße gesetzt. Vom Medienstandort Darmstadt ist nicht mehr viel übrig.

Er wird zum Pendler: Sven Stahmer, Industriebuchbinder, 36, fängt als Fachhilfsarbeiter in der Rotation in Nürnberg an und lässt die Familie in Südhessen zurück

Deshalb zieht Tiefdrucker Jochen Dahmer, 43, mit seiner Familie nach Itzehoe. Ungern. Aber "dort oben" hat er einen festen Job, unbefristet, Vollzeit. Die Familie folgt zum neuen Schuljahr. Seine beiden Söhne, 15 und 17, tun sich schwer mit dem Umzug. Aber alle müssen nach Itzehoe. Die Leistungen aus dem Sozialplan federn zumindest die finanzielle Last ab. Hartnäckig hat ver.di darüber verhandelt, unterstützt vom Warnstreik der Belegschaft. Mehr als 20 Millionen Euro stecken im Sozialplan.

Nur zwei Dutzend Umzüge

Prinovis hat jedem, der bereit ist umzuziehen, einen Arbeitsplatz in Ahrensburg, Itzehoe, Nürnberg oder Dresden in Aussicht gestellt. Offiziell. Tatsächlich setzt der Konzern darauf, dass nur wenige das Angebot wahrnehmen. Schließlich sollen auch an den anderen Standorten Personalkosten gesenkt werden.

Nur zwei Dutzend Darmstädter ziehen um. Sven Stahmer, 36, geht nach Nürnberg. Die dreijährige Giulia, den siebenjährigen Lucca, seine Frau und die jungen Kicker, die er bisher trainiert hat, lässt er zurück. Er sagt: "Ich lasse alle im Stich. Das tut weh." Das Geld, nichts anderes war der Grund, ein "neues Leben in einer fremden Stadt" zu beginnen.

Am Jahresende steht vor Prinovis in Darmstadt nur ein Schild: Zu verkaufen.

Der Elektroinstallateur Thomas Lieb, 43, hat noch keine neue Stelle gefunden