Viele Proteste am 20. 11., hier in Düsseldorf

Riesenerfolg: Warnstreiks zeigen Wirkung. Betriebsräte bestimmen beim Umbau im ERGO-Konzern mit

Von Juha Päätalo

Dass Hannelore Müller* vor der Zentrale der Münchener Rück protestieren würde, hätte sie sich vor einem Jahr nicht mal erträumt. Die Aktion am 20. November war der erste Warnstreik, den die Sachbearbeiterin in ihren 16 Jahren bei der DAS-Versicherung in München mitgemacht hat. "Noch im Bus wusste ich nicht genau, was mich erwartet", erzählt sie. "Aber dort waren wir dann mehrere Hundert, alle mit Plakaten und Pfeifen. Wir haben zwei Stunden vor dem Haus protestiert, in dem der Aufsichtsrat tagte. Das Wir-Gefühl macht stark."

Wer darf streiken?

Für Gregor Völkl, den Betriebsratsvorsitzenden bei der Victoria-Versicherung in München, war es der erste Streik, den er organisiert hat. Er musste verunsicherten Mitarbeitern erst sagen, dass Streiken ein Grundrecht ist. Dass sie streiken dürfen, auch wenn sie nicht ver.di-Mitglieder sind. Dass der Arbeitgeber Streikenden keine Abmahnung erteilen darf, wie teilweise gedroht wurde. Die Gespräche waren notwendig; es war schließlich eine neue Situation für alle. "Wir waren zuvor immer eine Insel der Glückseligen", sagt Völkl. "Bei uns gab es früher eigentlich keinen Grund zu meckern."

Jetzt gibt es einen. Und der hat einen Namen: Dr. Torsten Oletzky. Der ehemalige Unternehmensberater ist seit dem 1. Januar 2008 Chef des ERGO-Konzerns, zu dem die Versicherungsgesellschaften Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV, DAS und Karstadt-Quelle Versicherungen gehören. Torsten Oletzky hat Programme ins Leben gerufen, die mit Kürzeln wie KVW oder E1U benannt werden, was ausgeschrieben "Kontinuierliche Verbesserung der Wettbewerbssituation" und "ERGO ein Unternehmen" heißt. Seit November wissen auch die Mitarbeiter/innen, was diese Programme bedeuten: 1800 der rund 15000 Arbeitsplätze im Konzern sollen wegfallen. Das Geschäft soll gleichzeitig um 3,2 Prozent pro Jahr wachsen. Allein die Wachstumszahl erntet bei den Mitarbeitern nur ein müdes Lächeln. Sie vermuten, dass noch mehr Leute gehen sollen, wenn das unrealistische Ziel nicht erreicht wird.

Im Gegenwind

Hannelore Müller spürte schon im Sommer, dass das Klima rauer wird. Sie ist wieder in die Gewerkschaft ver.di eingetreten, nach einer langen Pause. Seit den Herbstferien hatte sie im Büro keinen ruhigen Tag mehr. Der November brachte dann stürmischen Gegenwind. Zuerst wollte der Konzern ihre Abteilung zusammen mit der Mercur in eine neue GmbH auslagern - ohne dass der Manteltarifvertrag weiter gegolten hätte. Das konnte der Konzernbetriebsrat gemeinsam mit ver.di verhindern. "Aber allein der Versuch hat mich traurig gemacht", sagt Hannelore Müller. Doch der konzernweite Sturm sollte noch kommen. Der Zeitpunkt war erreicht, nachdem der Konzernbetriebsrat ein Eckpunktepapier des Vorstands zu den Projekten KVW und E1U nicht akzeptabel fand. Hinter den blumigen Überschriften in dem Papier steckten Details, die die Mitbestimmung der Belegschaft beim drohenden Umbau ausgehöhlt hätten. "Vor allem hätten wir Maßnahmen zustimmen müssen, ohne deren genaue Details zu kennen", erzählt Gregor Völkl.

Als der Warnstreik drohte, hat ERGO alles versucht, um den Protest der Mitarbeiter/innen zu stoppen. Einen Tag vor dem Warnstreik versuchte der Konzern noch, die Aktion durch eine einstweilige Verfügung zu verbieten. Er scheiterte damit. Am nächsten Tag wurden für die Zeit des Warnstreiks massenweise Gruppenbesprechungen einberufen. "Das muss der konzernweite Rekord an Besprechungen an einem Tag gewesen sein", sagt Völkl. "Aber es half nichts. Allein in München sind wir vom DAS-Haus mit vier Bussen zur Zentrale der Münchner Rück gefahren. Mit den Kollegen aus ganz Deutschland, die angereist waren, waren wir dort 800 Leute." Bundesweit protestierten in Hamburg, Düsseldorf, Berlin, Mannheim, München, Leipzig, Köln und Nürnberg 8000 Beschäftigte. Zu ihnen gehörten mehrere hundert Mitarbeiter/innen aus umliegenden Geschäftsstellen, die extra anreisten. Diese Geschäftstellen blieben geschlossen. Und bei der Hamburg-Mannheimer in Hamburg war das Haus am 20. November fast völlig leer. Ein unübersehbarer Protest, konzernweit.

Der Protest bringt's

Der Zorn verbindet die Beschäftigten mehr, als der ERGO-Vorstand geahnt hat. Es ist vor allem der - wie sie sagen - unmenschliche Stil von Oletzky, der die Mitarbeiter/innen brüskiert. Alle wissen, dass mit der Automatisierung von Arbeitsabläufen bei Versicherungen Jobs wegfallen. Die Allianz hat das vor ein paar Jahren vorgemacht. "Da hat eine Industrialisierung der Branche begonnen, die zur massiven Zunahme von stressbedingten Krankheiten geführt hat", sagt Oliver Ostmann, ver.di-Sekretär in München. Hannelore Müller spürt das: "Dass sie aus uns eine mathematische Größe machen wollen, dass 180 Millionen Euro und 1800 Arbeitsplätze eingespart werden sollen, ist eine Unverschämtheit." Der Protest der Beschäftigten hat Wirkung gezeigt. "Wir haben gehört, dass der Münchener-Rück-Chef Dr. Nikolaus von Bomhard Torsten Oletzky gesagt hat, er wolle nie wieder so einen Protest vor seinem Gebäude erleben", erzählt Hannelore Müller stolz. Tatsächlich hat Oletzky nach dem Warnstreik eingelenkt. Die Betriebsräte können jetzt in wichtigen Details beim Konzern-Umbau mitbestimmen (Stand bei Redaktionsschluss). Ein Erfolg für alle, so zum Beispiel die ver.di-Betriebsgruppen bei Victoria, Hamburg-Mannheimer und DKV.*Name geändert