Ausgabe 04/2009
Die Realität abbilden
Von Heike Langenberg |Es gibt noch zu wenige ver.di-Beschäftigte mit Migrationshintergrund
58000 ver.di-Mitglieder haben einen ausländischen Pass - von insgesamt knapp 2,2 Millionen. Sonja Marko, beim ver.di-Bundesvorstand für Migrationspolitik zuständig, verweist darauf, dass in Deutschland rund 900000 Menschen mit ausländischem Pass sozialversicherungspflichtig arbeiten. Für sie ist das ein großes Potenzial an neuen Mitgliedern. Doch für dessen Ansprache muss ver.di der Migration ein Gesicht geben. Von den derzeit 3500 ver.di-Beschäftigten haben weniger als 20 einen Migrationshintergrund, schätzt Marko. ver.di müsse daher auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund einstellen. Doch sei seit der Gründung bei ver.di eher Personal abgebaut worden, erst jetzt würden punktuell Neueinstellungen möglich.
Um dennoch zu schauen, was vor Ort getan werden kann, hat Marko die ver.di-Beschäftigten mit Migrationshintergrund im März zum zweiten Mal nach Berlin eingeladen. Ihr Ziel: ein interdisziplinäres "Denkfabrikle" entsteht, in dem ganz pragmatisch darüber diskutiert wird, was tatsächlich getan werden kann.
Von dem, was getan werden muss und kann, hat Suna Sayin genaue Vorstellungen. Sie betreut seit einem knappen Jahr im Bezirk Köln den Fachbereich Gemeinden. "Wir sind auf dieses Thema mitnichten vorbereitet in der Organisation", sagt sie. Neben der Einstellung von mehr Beschäftigten mit Migrationshintergrund schlägt sie vor, alle Beschäftigten inhaltlich für diese Arbeit fit zu machen, zum Beispiel mit interkulturellen Schulungen. Außerdem solle sich ver.di kräftiger thematisch positionieren und ihre Mitglieder mit Migrationshintergrund stärker in die ehrenamtliche Arbeit einbeziehen.
"Migration muss unser Thema sein", sagt auch Özay Tarim. Er ist im Bezirk Duisburg-Niederrhein für die Jugendarbeit zuständig. Duisburg hat er sich ausgesucht wegen des hohen Anteils der türkischen Bewohner/innen. Deren Ansprache falle ihm leichter, es gebe keine Sprachbarriere. Außerdem sehen diese Beschäftigten in Özay Tarim einen von ihnen. "Auch andere Fachbereiche nutzen das. Sie nehmen mich mit zu ihren Veranstaltungen, wenn dort viele Türken dabei sind. Da reicht es manchmal auch, dass ich einfach nur dabei bin", erzählt er.
Von den Schweizern lernen
Bei der schweizerischen Gewerkschaft Unia hat ein Viertel der Gewerkschaftssekretäre einen Migrationshintergrund. "Das ist eine Realität in unserem Land, der wir ein Gesicht geben", sagt Nico Lutz, Mediensprecher der Unia. Rund die Hälfte der Mitglieder stamme nicht aus der Schweiz. Besonders stark vertreten sind Mitglieder aus Italien, Portugal, den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, Frankreich, Spanien, der Türkei und Deutschland, die mittlerweile in der Schweiz arbeiten. Daher verstehe sich die Unia, so Lutz, auch als größte Migrant/innenorganisation der Schweiz: "Wir sind in Politik, Gesellschaft und in den Betrieben aktiv, wenn es um Themen wie Chancengleichheit oder Freizügigkeit geht."