Besser ab ins Bett: Präsente Arbeitnehmerin

VON IRENE MEICHSNER

So lange ist es noch gar nicht her. Da klagten die Arbeitgeber lauthals über die "Blaumacher", Mitarbeiter/innen, die sich, obwohl von ihrer Krankheit längst genesen, noch ein bisschen Freizeit gönnen wollten. Heute sehen sich Ärzt/innen immer häufiger mit der Bitte von Patienten konfrontiert, doch ein Aufputschmittel zu verschreiben, damit sie vorzeitig an den Arbeitsplatz zurückkehren können. Doch Vorsicht, mit Doping am Arbeitsplatz tun Sie sich keinen Gefallen. Es gefährdet die Gesundheit. Und es schadet dem Betrieb.

Dabei scheint die Entwicklung auf den ersten Blick positiv. Seit Jahren ist der Krankenstand der deutschen Arbeitnehmer/innen kontinuierlich gesunken. Einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums zufolge, die sich auf Daten aller gesetzlich versicherten Arbeitnehmer/innen stützt, erreichte er im ersten Halbjahr 2009 mit nur 3,24 Prozent erneut einen historischen Tiefstand. Die Fehlzeiten entsprachen im Durchschnitt 3,5 Arbeitstagen, der niedrigste Wert seit Einführung der Krankenstand-Statistik im Jahre 1970. Vor zehn Jahren, also im ersten Halbjahr 1999, lagen die Fehlzeiten noch bei 4,24 Prozent der Sollarbeitszeit, 23 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten dieses Jahres.

Doch wer aus den Zahlen folgert, die Menschen seien gesünder geworden, täuscht sich gewaltig. Dem aktuellen DGB-Index "Gute Arbeit" zufolge sind in den letzten zwölf Monaten fast 80 Prozent der Beschäftigten mindestens einmal zur Arbeit gegangen, obwohl sie sich "richtig krank" fühlten. Bei mehr als 50 Prozent war dies sogar mehrmals der Fall. Insgesamt 36 Prozent der Arbeitnehmer/innen handelten dabei einmal oder mehrmals gegen ärztlichen Rat. Jede/r Vierte ließ sich zweimal und öfter Medikamente verschreiben - nur um fit für die Arbeit zu sein. Von denjenigen Befragten, die angaben, "Angst um den Arbeitsplatz" zu haben, gingen 71 Prozent mehrmals krank zur Arbeit. Andere Umfragen, etwa der "Fehlzeiten-Report" des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Ein erschreckender Befund. In den USA wurde für das neue Phänomen der Begriff "Präsentismus" geprägt.

Vielfältige Motive

Über die Motive, die Menschen vorzeitig an den Arbeitsplatz zurückkehren lassen, wird noch heftig gestritten. Der Arbeitsmediziner Andreas Weber vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) warnt vor Pauschalurteilen. Die Angst, den Job zu verlieren, spiele in wirtschaftlichen Krisenzeiten sicher eine Rolle. Aber sie sei nur einer von mehreren Faktoren. Viele Menschen hätten das Gefühl, immer funktionieren zu müssen. Oder sie fürchteten, die Kollegen könnten die anstehende Arbeit alleine nicht mehr bewältigen.

Außer bei bestimmten Diagnosen, etwa bei psychischen Leiden, bei denen eine schnelle Wiedereingliederung besser ist, gilt: Ein gesundes Unternehmen braucht gesunde Mitarbeiter.

Erst langsam spricht sich herum: Der "Präsentismus", der für den Arbeitgeber auf den ersten Blick so bequem erscheint, zahlt sich nicht aus. Im Gegenteil. Wer nicht ganz gesund ist, ist weniger aufmerksam, macht eher Fehler und hat ein erhöhtes Unfallrisiko. Fachleute schätzen den Schaden für die Produktivität weitaus größer ein als den Gewinn durch die Präsenz am Arbeitsplatz.

Krankheiten, die nicht ausgeheilt sind, kehren zurück. Die beiden dänischen Arbeitsmediziner Claus D. Hansen und Johan Hviid Andersen haben für eine aktuelle Studie die Daten von 11 838 Arbeitnehmer/innen ausgewertet. Danach hatten Beschäftigte, die krank zur Arbeit gingen, ein um 53 Prozent erhöhtes Risiko, in der Folge zwei Wochen oder länger derart zu erkranken, dass es ihnen unmöglich war, am Arbeitsplatz zu erscheinen. In Extremfällen, wenn Menschen besonders häufig zur Arbeit gingen, obwohl sie noch nicht auskuriert waren, konnte die spätere Krankmeldung auch länger als zwei Monate dauern. So wird der Präsentismus nicht nur zum gesundheitlichen Bumerang, sondern auch zum klaren Kostentreiber.

Krank im Büro – was tun?

Der „Präsentismus“ bei ansteckenden Krankheiten ist ein Fall für sich. Wer krank ist, steckt Kolleg/innen an, die dann ihrerseits das Bett hüten müssen und womöglich selber zu früh in den Betrieb zurückkehren. So potenzieren sich die Probleme. Es kann auch sein, dass ein Beschäftigter noch gar nicht weiß, dass er sich zum Beispiel den Schweinegrippe-Erreger gefangen hat. Darum raten Fachleute mit Blick auf die anstehende Grippesaison dringend:

  • so oft wie möglich Händewaschen
  • keinen Wangenkuss zur Begrüßung
  • beim Juckreiz in der Nase wird in die Ellbogenkuhle geniest, um zu verhindern, dass sich eventuelle Grippeviren im ganzen Raum verteilen
  • bei deutlichen Grippe-Symptomen: ab ins Bett und die Infektion auskurieren.