Sanktionen, teilweise unqualifizierte Beratung, keine Perspektive – Arbeitslose versuchen, sich zu wehren

VON HEIKE LANGENBERG

Sie arbeiten für die Bundesagentur für Arbeit, für die Gemeinden, sind bei Beschäftigungsgesellschaften der Telekom, Post oder Bahn angestellt oder haben nur befristete Verträge – die Beschäftigten der Jobcenter sind häufig bunt gemischt. Martina Kowlik* arbeitet als Arbeitsvermittlerin in einem Jobcenter einer deutschen Großstadt. Vor ein paar Jahren hat sie sich noch bei der Telekom um Reklamationen gekümmert. Doch als sie im Zuge des Stellenabbaus in eine Beschäftigungsgesellschaft wechseln sollte, hat sie sich in ein Jobcenter abordnen lassen. Mittlerweile hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) sie übernommen.

Dieser Wechsel in die Arbeitsvermittlung bedeutete für sie eine völlig neue Aufgabe. Eine Aufgabe, auf die sie aber – wie viele ihrer Kolleg/innen auch – nur unzureichend vorbereitet wurde. Die Ausbildung bei der Bundesagentur für Arbeit dauert mindestens drei Jahre, viele der Kommunal-Beschäftigten haben entsprechende Verwaltungsausbildungen. „Ich habe nur Kurzschulungen bekommen”, sagt Kowlik. „Learning by doing“ mit Hilfe erfahrener BA-Kolleg/innen, so habe sie sich eingearbeitet.

Man muss sich beschweren, seine Rechte kennen

Ulla Pingel ist erwerblos. Sie bezieht seit mehreren Jahren Arbeitslosengeld II, hat immer wieder ihre Erfahrungen im Jobcenter gemacht. „Das Grundproblem ist, dass das Gesetz schlecht ist“, sagt die Berlinerin. „Deswegen kommt es sehr darauf an, wie qualifiziert der Mitarbeiter ist, auf den man trifft.“ Zu ihren „grauenvollsten Erfahrungen“ zählt sie eine Vermittlerin, die ihr auferlegen wollte, 15 Bewerbungen in einem Monat zu schreiben. Das mache sie immer so, habe sie ihr gesagt. „Allerdings bekommt man höchstens 260 Euro im Jahr für die Bewerbungen erstattet”, sagt Pingel, „daraus ergibt sich bei durchschnittlichen fünf Euro pro Bewerbung nur eine Kostenerstattung für knapp fünf Bewerbungen pro Monat.” Der Regelsatz selbst sei viel zu knapp bemessen, als dass man davon noch weitere Bewerbungen bezahlen könne. „Die Frau hatte keine Ahnung. Dann muss man sich beschweren und seine Rechte kennen”, sagt Ulla Pingel. Sie kennt ihre Rechte, mittlerweile berät sie bei ver.di Berlin Erwerbslose.

„Es fehlt ein Gesamtkonzept für die Qualifizierung”, sagt Eberhard Henze. Er ist ver.di-Vertrauensmann in der Agentur für Arbeit Berlin-Süd. Daneben sorgen die Arbeitsbedingungen, die je nach Arbeitsverhältnis der einzelnen Beschäftigten unterschiedlich seien, für viel Unruhe innerhalb der Belegschaft. „Daher kommt es, dass sogar alle zwölf Jobcenter Berlins unterschiedlich arbeiten“, sagt Henze. Manchmal sei die Beratung sogar von Team zu Team innerhalb eines Jobcenters verschieden.

Das Gesetz sei einfach zu ungenau. Alles zusammen führe zu einer hohen Zahl von Widersprüchen. Deren Folge sind zahlreiche aktuelle Urteile und Gesetzesänderungen. Die wiederum sollte jeder Jobcenter-Beschäftigte kennen, aber vieles, so Henze, müssten sie sich selbst aneignen.

Doch dazu fehle im Arbeitsalltag häufig die Zeit. Um 150 Erwachsene oder 75 Jugendliche soll sich ein Vermittler laut Vorgabe kümmern, erzählt der ver.di-Vertrauensmann. Als Vermittler zählen jedoch auch Jobcenter-Beschäftigte wie Führungskräfte oder diejenigen, die am Empfang die dringendsten Erstaufgaben erledigen.

Beratung, Schulung, Lebenshilfe

Deswegen sind es tatsächlich 430 Erwerbslose, für die Martina Kowlik zuständig ist, und damit ist sie kein Einzelfall. 430 Menschen, die sie wieder in Arbeit vermitteln soll, und das in einer Zeit, in der Arbeit immer rarer wird. „Die gut Qualifizierten, deren Arbeit gerade gebraucht wird, finden meist schon während des Arbeitslosengeld-I-Bezugs wieder einen Job”, sagt Kowlik. Die Menschen, die zu ihr kommen, müsse sie unterstützen. Mit Beratung und Schulung, manchmal auch mit Lebenshilfen.

Das System fragt nicht nach den Gründen

„Ich bin nicht schuld an meiner Arbeitslosigkeit“, hält Ulla Pingel dem entgegen. Ihrer Meinung nach grenzt das System diejenigen aus, die länger keine Arbeitsstelle mehr haben. Das System frage nicht nach Gründen dafür, etwa dem leergefegten Arbeitsmarkt oder Krankheit, verursacht durch schlechte Arbeitsbedingungen. Sie bewirbt sich selbst, bundesweit, und glaubt nicht an Hilfe aus dem Amt. Sie wünscht sich eine ausreichend bezahlte Arbeit, will selbst für sich sorgen. „Aber das ist eine gesellschaftliche Aufgabe: Mehr existenzsichernde Arbeitsplätze sind notwendig”, sagt Ulla Pingel.

Das wünschen sich auch Eberhard Henze und Martina Kowlik. Dass Arbeitslose aus der Statistik verschwinden, weil sie einen neuen Job gefunden haben. Und nicht, weil sie aus den Statistiken herausgerechnet werden.

Immer mehr Menschen sind auf die Hilfe der Jobcenter angewiesen. Die Zahl der Aufstocker steigt, niedrige Löhne machen das Arbeitslosengeld I so niedrig, dass auch hier ergänzende Leistungen gezahlt werden müssen und das Jobcenter für die Betreuung zuständig ist. „In den Leistungsabteilungen brennt die Luft”, sagt Henze. Die Existenzangst der Erwerbslosen führe zu einer besonderen Spannung in diesen Abteilungen. „Wenn die Kolleginnen und Kollegen hier nicht so viel arbeiten würden, wäre der soziale Friede im Land gefährdet.”

Trotz der steigenden Zahl der Hilfebedürftigen kennt der Vertrauensmann die Vorgaben der Geschäftsleitungen, nach denen Leistungen gesenkt werden sollen. Das kann zu Verzögerungen führen, zu Nichtbewilligung oder zu Sanktionen. Und Henze gibt auch zu, dass es – vereinzelt, wie er sagt – Kolleg/innen gibt, die gerne zu dem letztgenannten Mittel greifen. Martina Kowlik sagt, dass sie meist nur mit Sanktionen drohe, wenn die Erwerbslosen den Kontakt zu ihr verweigerten. Passen zum Beispiel von ihr vorgeschlagene Bildungsmaßnahmen nicht – auch hierfür gebe es manchmal Vorgaben, die sich eher danach richten, in welchen Maßnahmen gerade noch Plätze frei sind - lasse sie mit sich reden, wenn die Bedenken begründet seien. Doch Widerspruch höre sie selten, die Angst vor Sanktionen sei wohl zu groß.

In einem sind sich jedoch alle drei einig: dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht zerschlagen werden dürfe. Anlass zu dieser Befürchtung ist gegeben. Zum einen muss ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden, das die Mischträgerschaft der Jobcenter durch Kommunen und BA für nicht zulässig hält. Zum anderen kommt mit der FDP eine Partei an die Regierung, die die Arbeitsverwaltung zerschlagen und teils auflösen, teils privatisieren, teils kommunalisieren will.

*Name geändert