Es muss neu gerechnet werden

Die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze ist verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar festgestellt. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Elke Hannack begrüßte die Entscheidung als "gute Nachricht für Erwerbslose, Geringverdiener und deren Familien". ver.di hatte eine der klagenden Familien im Rahmen des ver.di-Rechtsschutzes vor Gericht vertreten. "Durchschnittlich liegen die Ausgaben von Eltern für den Nachwuchs zwischen 500 und 700 Euro pro Monat. Mehr Geld für eine Schulzeit mit gleichen Chancen muss auch den Kindern in von Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen betroffenen Familien zur Verfügung stehen", sagte Hannack. Bislang richtete sich die Höhe des Sozialgeldes für Kinder pauschal nach dem Hartz-IV-Regelsatz für Erwachsene in Höhe von derzeit 359 Euro. Kinder unter sechs Jahren erhalten 60 Prozent davon (215 Euro), Kinder unter 14 Jahren 70 Prozent (251 Euro) und ältere 80 Prozent (287 Euro). "Der Gesetzgeber hat jegliche Ermittlungen zum spezifischen Bedarf eines Kindes, der sich im Unterschied zum Bedarf eines Erwachsenen an kindlichen Entwicklungsphasen und einer kindgerechten Persönlichkeitsentfaltung auszurichten hat, unterlassen", heißt es in der Entscheidung des Gerichts. Der vorgenommene Abschlag beruhe auf einer "freihändigen Setzung". Insbesondere, so bemängeln die Karlsruher Richter, "blieben die notwendigen Aufwendungen für Schulbücher, Schulhefte, Taschenrechner etc. unberücksichtigt, die zum existenziellen Bedarf eines Kindes gehören. Denn ohne Deckung dieser Kosten droht hilfebedürftigen Kindern der Ausschluss von Lebenschancen." Jetzt sind Regierung und Parlament gefragt, das Urteil bis Ende dieses Jahres umzusetzen. So lange gelten die alten Regelsätze weiter. Ob es dann wirklich mehr Geld gibt, steht aber noch nicht fest. Das Bundesverfassungsgericht monierte, dass die Berechnung nicht transparent gewesen sei. Deswegen fordert der DGB in einer Pressemitteilung eine unabhängige Kommission, die dem Gesetzgeber Empfehlungen machen soll, statt wie bisher "Ministerialbürokraten hinter verschlossenen Türen".

Eck-Regelsatz von 435 Euro

ver.di fordert eine Erhöhung des Eck-Regelsatzes auf 435 Euro, flankiert von einer allgemeinen Öffnungsklausel für die nicht im Regelsatz berücksichtigten Ausgabebereiche beziehungsweise für einmalige oder unregelmäßig wiederkehrende Bedarfe. Bernhard Jirku, der den Bereich Erwerbslosenpolitik beim ver.di-Bundesvorstand leitet, geht davon aus, dass die Bundesregierung die Regelsätze für Erwachsene wie bisher bei rund 360 Euro belassen möchte. Beim Sozialgeld für Kinder geht der Gewerkschafter allerdings von einer deutlichen Erhöhung aus, wenn die Vorgaben des Gerichts bei den Bildungsausgaben und für den wachstumsbedingten Bedarf berücksichtigt werden. Allerdings befürchtet er, dass die Bundesregierung versuchen werde, die Sätze so niedrig wie möglich zu halten. Von den 6,5 Millionen Menschen, die in Deutschland Leistungen nach Hartz IV beziehen, sind 1,7 Millionen Kinder. Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Barthle, sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur: "Es geht nicht darum, jetzt unbedingt mehr Geld auszugeben für Kinder, sondern den Bedarf sauber abzubilden." Weniger werde es wahrscheinlich nicht, es müsse aber auch nicht exorbitant mehr sein.

Öffentliches Bewusstsein

"Mit dem Urteil selbst sind wir relativ zufrieden. Wie es allerdings von der Politik umgesetzt wird, das wird sich zeigen", sagte Jirku. Gewerkschaften, Erwerbslosen- und Sozialverbände hätten es gegen die vorherrschende neoliberale Meinung in Wirtschaft und Medien geschafft, Fragen nach der Berücksichtigung von Bildung und außergewöhnlichen Bedarfen sowie nach der Anpassung der Regelsätze ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. "Das sind Probleme, auf die wir frühzeitig hingewiesen haben und die in unserem Sinne aufgegriffen worden sind", sagt Jirku.