Ausgabe 03/2010
Was möglich war
Von Claudia von Zglinicki
Jetzt steht das Verhandlungsergebnis zur Debatte. Bis zum 18. März sind die ver.di-Mitglieder in Verwaltungen und Krankenhäusern, auf Bundeswehrschiffen, in Kitas, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und vielen anderen Betrieben aufgefordert, über die Einigung für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen zu entscheiden. Ein Kompromiss, erreicht mit viel Energie in den Verhandlungen, den Warnstreiks, auf Kundgebungen. Nach der Befragung wird die ver.di-Bundestarifkommission am 19. März endgültig entscheiden. Das Verhandlungsergebnis hat sie bei 24 Gegenstimmen mit großer Mehrheit gebilligt.
Das Kompromiss-Paket
Ein ganzes Paket hatte ver.di gefordert, mit einem Umfang von fünf Prozent. Ein Paket von rund 3,5 Prozent wurde durchgesetzt. Davon direkt als Lohn- und Gehaltserhöhung 1,2 Prozent ab Januar dieses Jahres, dann 0,6 Prozent ab Januar 2011 plus 240 Euro Einmalzahlung und 0,5 Prozent ab August 2011.
Der Vertrag gilt bis Ende Februar 2012. Doch er umfasst viel mehr als die Lohnerhöhungen. So gibt es jetzt trotz des Widerstands der Arbeitgeber eine neue Regelung zur Altersteilzeit mit einem Rechtsanspruch ab dem 60. Lebensjahr, wenn auch nur für 2,5 Prozent der Beschäftigten. Für viele, die bei den Warnstreiks draußen in der Kälte standen, war gerade die Frage der Altersteilzeit wichtig, oft verknüpft mit der Forderung nach der Übernahme der Auszubildenden. Und auch für die jungen Leute ist etwas erreicht worden, wenn auch noch nicht genug: Bei Bedarf werden alle, die die Abschlussprüfung mit Befriedigend oder besser bestehen, für zwölf Monate übernommen.
Dass sich viele Frauen und Männer im öffentlichen Dienst mehr gewünscht haben, ist klar. Auch Hildegard Schwering, Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission und Personalratsvorsitzende am Klinikum Augsburg. Die Krankenschwester hat in den Schlichtungsgesprächen mit verhandelt und die Situation als katastrophal empfunden. Nie zuvor hat die erfahrene Ehrenamtliche in Verhandlungen erlebt, dass die Gegenseite auf Argumente nicht einmal hören wollte. "Die uns da gegenübersaßen, haben keine Vorstellung von der Arbeit bei uns. Keiner von denen war jemals in einer Nachtschicht. Sie wollten gar nicht wissen, was wir für Erfahrungen haben. Sie waren schlecht vorbereitet - und sie meinten, eine Vorbereitung hätten sie auch nicht nötig. Uns schlug nur Geringschätzung entgegen." Hildegard Schwering weiß, dass "am Anfang überhaupt nichts ging", und ist jetzt erleichtert über das Ergebnis. Bei den besonderen Vereinbarungen für die Beschäftigten in Krankenhäusern ist ihr die Erhöhung des Nachtdienstzuschlags auf 15 Prozent des Stundenentgelts besonders wichtig, "weil das so viele betrifft". Nicht gut findet sie - wie viele Beschäftigte -, dass der Anteil des Leistungsentgelts allgemein bis 2013 jährlich um ein Viertel Prozent erhöht werden soll. Aber die Arbeitgeber wollten ursprünglich fast nur das Leistungsentgelt steigern. Auch hier also ein Kompromiss.
Am 15. und 16. März stehen Hildegard Schwering und ein paar Kolleg/innen mit den Abstimmungszetteln früh am Kliniktor und später vor dem Speisesaal, dann gehen sie noch in viele Bereiche, um alle anzusprechen. Auf das eine oder andere neue Mitglied hofft sie dabei sowieso.
Auch Andreas Scheidt, freigestellter Betriebsrat bei den Wuppertaler Stadtwerken und als ver.di-Sachverständiger für die Versorgungswirtschaft in der Schlichtung, bewertet das Ergebnis als gut: "Wir haben rausgeholt, was irgend möglich war." Mit "etwas Wehmut" sieht Scheidt jedoch, dass keine soziale Komponente durchgesetzt werden konnte, die die unteren Einkommensgruppen besserstellt. Für die kommunale Versorgung bietet der Vertrag sogar noch ein Highlight, das laut Scheidt viele seiner Kollegen erst beim zweiten Lesen gefunden und dann bejubelt haben: Auch in den von den Versorgungsbetrieben ausgelagerten Netz- und Servicegesellschaften gilt der neue Tarifvertrag - ein schlechter Haustarifvertrag oder gar der tariflose Zustand sind damit ausgeschlossen.
Ein bestimmter Abschnitt im Vertrag ist auch für die Seeleute auf Bundeswehrschiffen besonders wichtig. Zur ersten Verhandlungsrunde waren 80 von ihnen nach Potsdam gekommen und hatten vor dem Verhandlungshotel mit einer großen Aktion auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht: eine andere Arbeitszeitregelung für die Seefahrt und eine entsprechende, bessere Bezahlung. Das ist noch nicht erreicht. Fest steht jetzt aber, dass darüber verhandelt werden muss. "Wer die Männer in Potsdam gesehen hat, weiß, dass sie nicht nachgeben werden", sagt Klaus Jobst aus dem Hauptpersonalrat am Verteidigungsministerium.