Ausgabe 05/2010
Riestern oder nicht?
VON Henrik Müller
Ausgerechnet mit dem Namen eines Gewerkschafters verbunden bleibt der Auftakt zur Privatisierung der Altersvorsorge in Deutschland: die Einführung der Riester-Rente vor gut zehn Jahren, von den Gewerkschaften mit Skepsis beäugt. Der Sozialdemokrat Walter Riester, vorher Zweiter Vorsitzender der IG Metall, war von 1998 bis 2002 Arbeits- und Sozialminister in der ersten rot-grünen Bundesregierung und hat die staatlich bezuschusste, freiwillige Altersvorsorge erfunden - oder besser: sich von der Finanzwirtschaft aufschwatzen lassen. Das war der Einstieg in den Ausstieg aus der paritätisch, also je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierten Altersrente, so die Kritik der Gewerkschaften.
Immer mehr tun es
Inzwischen ist "Riestern" zum Volkssport geworden. Die Riester-Rente sei "der Liebling der Deutschen, wenn es um die private Altersvorsorge geht, und liegt mit 54 Prozent noch vor Immobilien und Lebensversicherungen", jubelt im April 2010 Bernd Katzenstein, Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA). Das DIA ist laut Internet-Lexikon Wikipedia "eine 1997 von der Deutschen Bank AG in Deutschland gegründete Gesellschaft, die nach eigener Aussage den Auftrag hat, die ‚Öffentlichkeit über die Chancen und Risiken der Altersvorsorge zu informieren und die private Initiative zu fördern‘". Das Institut werde zu den Denkfabriken gezählt, die der Finanzdienstleistungsbranche besonders nahestehen.
Weil künftig immer weniger Berufstätige immer mehr Rentner/innen versorgen müssten, werde die gesetzliche Rente künftig für ein halbwegs auskömmliches Leben nicht mehr reichen, wird uns seit Jahren von Privatfirmen wie dem DIA vor- und von unkritischen Massenmedien und Politikern nachgebetet, obwohl dabei völlig außer Acht bleibt, dass es zwar immer weniger Berufstätige gibt, diese jedoch immer produktiver immer mehr Werte produzieren, von denen auch immer mehr Rentner/innen leben könnten.
"Denkfabriken", Massenmedien und Politik verbreiten seit Jahren die These, die Menschen dürften sich nicht mehr auf die gesetzliche Rente verlassen, sondern müssten auch "privat vorsorgen". Ganz so, als sei Rente ein Geschenk des Sozialstaats und als würden die Beiträge - sowohl ihr Arbeitnehmer- wie auch ihr Arbeitgeberanteil - nicht ohnehin von den abhängig Beschäftigten selbst, persönlich, also privat erarbeitet.
Gleichwohl hat die Privatisierung, besser sollte man sagen: die Kommerzialisierung der Altersvorsorge, an der letztlich nur die Finanzkonzerne verdienen, zuletzt enorm an Zuspruch gewonnen: Ende 2009 gab es fast 13,3 Millionen Riester-Verträge, fünf Jahre zuvor waren es erst 4,2 Millionen. Und in der Tat: Ein Riester-Vertrag ist allen zu empfehlen, die in diesen Zeiten noch ein paar Euro zum Sparen übrig haben.
Wer die Riester-Möglichkeiten nutzt, holt sich im Grunde nur einen Teil dessen zurück, was ihm/ihr durch die Kürzungen der gesetzlichen Rente weggenommen wird. Denn Riester mindert als Teil des so genannten Riester-Faktors die gesetzliche Rente - und zwar für alle Versicherten, auch für diejenigen, die Riester gar nicht nutzen wollen oder können. Wer übrigens glaubt, bei der Riester-Rente gehe es sozial gerecht zu und sie sei gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen gedacht, ist auf dem Holzweg: Je höher das Einkommen der Riester-Sparer/innen, desto mehr können sie - bezuschusst - anlegen und desto höher fallen ihre Steuerersparnisse aus.
Sich schlau machen
Finanzielle Schäden in Höhe von vielen hundert Millionen Euro entstehen den Verbraucher/innen jährlich durch ineffiziente Riester-Verträge, kritisierten im April 2010 die Stiftung Warentest und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Um solchen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, fordern beide Organisationen, den Verbraucherschutz in der Finanzaufsicht zu verankern. Bis es allerdings soweit ist, bleibt Riester-Sparer/innen nichts anderes übrig, als sich selbst schlau zu machen. Das heißt: sich informieren, etwas Zeit und vielleicht ein bisschen Geld für Beratung investieren, nicht gleich den erstbesten Vorschlag eines Beraters annehmen, sondern auch anderswo schauen, ob es Besseres gibt.
Dabei steht auch in Finanztest, der Zeitschrift der Stiftung Warentest: "Riester-Verträge sind durch staatliche Zulagen, Steuervorteile und Garantien als Altersvorsorgeprodukt Spitze." Wer vier Prozent seines sozialversicherungspflichtigen Jahreseinkommens spart, erhält als Grundzulage seit 2008 in der Regel 154 Euro im Jahr vom Staat. Pro Kind kommen 185 Euro hinzu, für Kinder, die nach dem 31. Dezember 2007 geboren sind, sogar 300 Euro. Darüber hinaus können besserverdienende Sparer/innen ihre Riester-Beiträge bei ihrer Steuererklärung steuermindernd geltend machen. Das Finanzamt rechnet dann von Amts wegen aus, was günstiger für die Steuerpflichtigen ist: staatliche Zulage(n) oder Steuererstattung.
Warum im Herbst 2009 fast ein Drittel aller Sparer/innen ihre Zulage für 2007 noch nicht beantragt, bis dahin also schätzungsweise auf weit mehr als eine Milliarde Euro vom Staat verzichtet hatte, erschließt sich nicht so recht. Am 31. Dezember 2009 war die Frist abgelaufen. Ursachen sind wohl die Unerfahrenheit der Sparer/innen beim Riestern und ein mangelndes Engagement der Anbieter, die nicht ausreichend informieren. Bei ihnen gibt es jedenfalls die Antragsformulare. Und einmal gestellt, gilt der Antrag nämlich dauerhaft. Also: Für 2008 muss die Zulage spätestens bis zum 31. Dezember 2010 beantragt werden.
Das meiste bleibt im Topf
Wer als Versicherungsunternehmen, Bank oder Sparkasse Riester-Produkte anbieten will, muss sie als "geeignet" genehmigen, konkret: von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zertifizieren lassen. Eine Mindestbedingung für alle Angebote ist, dass den Sparer/innen am Ende der Ansparphase, in der Regel zum Eintritt in die gesetzliche Rente, mindestens das eingezahlte Kapital zuzüglich der Zulagen zur Verfügung stehen muss. 30 Prozent davon können sich die Sparer/innen dann sofort auszahlen lassen. 70 Prozent müssen im "Topf" bleiben für die folgenden regelmäßigen Rentenzahlungen.
Den Löwenanteil der 13,3 Millionen Riester-Verträge Ende 2009 machten klassische Riester-Rentenversicherungen aus. Als deren Vorteil nennt Finanztest: "Sie bringt neben der Kapitalgarantie, die alle Riester-Produkte bieten, eine garantierte Mindestrendite von 2,25 Prozent auf den Sparanteil." Zu den Nachteilen der privaten Rentenversicherung zählt die Zeitschrift relativ hohe Abschlusskosten, die den Ausstieg aus dem Vertrag oder die Reduzierung der Beträge sehr verteuern.
Der Plan im Schatten
Ein Schattendasein führt - völlig zu Unrecht - mit einem Anteil von knapp fünf Prozent der Riester-Banksparplan. Für ihn fordern die Anbieter - fast ausschließlich Sparkassen und Genossenschaftsbanken - keinerlei Abschlusskosten oder Provisionen. Kommentar Finanztest: Der Banksparplan sei "sehr sicher, flexibel und transparent: Selbst bei vorzeitigem Ausstieg besteht kein Verlustrisiko."
Ein knappes Fünftel der existierenden Riester-Verträge entfällt auf Fondssparpläne und fondsgebundene Rentenversicherungen. Sie bieten wohl durch die Mitnahme von Zinsen, Dividenden und Kursgewinnen die höchsten Renditeaussichten, aber es wird auch viel Geld verplempert für Verwaltungskosten. Und - die aktuelle Finanzkrise zeigt es - der Gewinn kann für Otto Normalverbraucher und Erika Mustermann am Ende auch gleich Null sein.
Wer mit seinem Riester-Vertrag nicht zufrieden ist, kann wechseln. So steht es im Gesetz. Zudem kann man einen alten Vertrag beitragsfrei stellen und einen neuen abschließen. Ob das günstig und sinnvoll ist, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Herr des Verfahrens ist man jedenfalls stets beim Banksparplan: Wer sich sein Kapital auszahlen lässt, was jederzeit möglich ist, muss zwar Zulagen beziehungsweise Steuererstattungen zurückzahlen, hat aber stets das zur Verfügung, was er eingezahlt hat, zuzüglich Zinsen.
Wohn-Riester
Erst knapp 200 000 Verträge gab es Ende 2009 beim Wohn-Riester. Die Möglichkeit, die Riester-Zulagen oder die entsprechenden Steuererstattungen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie einzusetzen, besteht erst seit zwei Jahren. Dafür sei die Riester-Förderung ideal, meint Finanztest.