VON Sabine Schmitt

Der Sommer könnte so schön sein für Familie R. Doch statt zartem Vogelgezwitscher im Sonnenuntergang ertönt jeden Abend Mozarts Entführung aus dem Serail in voller Lautstärke. Mit grandiosem Finale um halb elf. Während andere sich freiwillig dem Open-Air-Genuss der Oper hingeben, wird das Singspiel in der Nachbarschaft für Familie R. zur Qual. Ein Martyrium in 78 Akten von Juni bis September. Zum Nachspiel treffen sich Herr R. und der Opernveranstalter vor Gericht. Mehrere Instanzen später steht das Urteil fest: Leiser spielen oder früher anfangen. Ohne Rechtsschutzversicherung hätte Familienvater R. die Klage wohl nicht durchgezogen.

Die Klauseln im Kleingedruckten

Doch so klar wie dieser Fall eines großen Rechtsschutzversicherers sind die Streitigkeiten nicht immer gelagert. Denn Rechtsschutzversicherungen - da sind sich Verbraucherschützer einig - sind vollgestopft mit Klauseln im Kleingedruckten, die es in sich haben und oft dazu führen, dass die Zahlung ausbleibt. "Da wimmelt es von Ausschlüssen", sagt Elke Weidenbach, Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Da muss man schon ganz genau hinsehen." Nicht umsonst hagelt es deshalb seit Jahren beim Versicherungsombudsmann der Schlichtungsstelle der Versicherungswirtschaft Beschwerden zur Regulierung von Fällen aus Rechtsschutzversicherungen. Mit steigender Tendenz: Allein 2009 gab es zehn Prozent mehr Beschwerden. Immerhin haben sich inzwischen fast alle Versicherungsunternehmen dem Ombudsverfahren angeschlossen, so dass unzufriedene Kunden zumindest eine Anlaufstelle für ihren Ärger haben. Rund 21 Millionen Rechtsschutzpolicen stecken in den Ordnern der Deutschen. Mehr als drei Milliarden Euro zahlen die Versicherten jedes Jahr dafür, sich im Zweifelsfall ohne Kosten vor Gericht streiten zu können. Ob das immer notwendig ist, bezweifeln Verbraucherschützer. "Oft schließen Kunden ein ganzes Rechtsschutz-Paket ab, das in vielen Fälle unsinnig ist", sagt Verbraucherschützerin Weidenbach. Die am Markt gängigsten Rechtsschutzversicherungen lassen sich grob in drei Bereiche einteilen: Privatrechtsschutz, der beispielsweise Streitfälle mit dem Vermieter, dem Nachbarn, dem Arzt oder bei Kaufverträgen einschließt; Verkehrsrechtsschutz, der bei strittigen Verkehrsunfällen oder beim Autokauf einspringt; Berufsrechtsschutz für Kündigungen, Abmahnungen und Ärger mit dem Chef. Meist sind die Pakete nach dem Baukastenprinzip aufgebaut: Basis ist der private Rechtsschutz, zu dem dann weitere Elemente hinzugekauft werden können.

Was gebraucht wird

"Bevor man aber irgendwas abschließt, muss man den Bedarf klären", sagt Hajo Köster, Berater beim Bund der Versicherten (BdV). Was so einfach klingt, ist es nicht. Denn die Bereiche, in denen es am häufigsten Streit gibt, sind meist ohnehin nicht abgedeckt. Kein Versicherer zahlt bei Ärger auf dem Bau und ganz wenige haben Scheidungen und Familienzwist eingeschlossen - und falls doch, dann zu horrenden Preisen.

ver.di bietet Schutz

Es gibt nur zwei Bereiche, die BdV-Experte Köster uneingeschränkt empfiehlt: Rechtsschutz im Berufsleben und im Verkehr. "Für beides braucht man aber nicht unbedingt eine Versicherung", gibt er zu bedenken. Für den Verkehr gebe es die Automobilclubs und im Arbeitsrecht die Gewerkschaften. Mitglieder von ver.di beispielsweise genießen Arbeitsrechts- und Sozialrechtsschutz über ihre Organisation. "Das ist eine der Serviceleistungen, die sich aus der Satzung ergibt", erläutert Torsten Tiefenbacher, der bei ver.di Referent für Recht und Rechtspolitik ist. Beratung in arbeitsrechtlichen Fragen bekommen alle Mitglieder direkt in ihrem Bezirk. Kommt eine Klage in Betracht, übernimmt ver.di auch die Vertretung vor Gericht. Selbstständigen und freiberuflich tätigen Mitgliedern zahlt ver.di den Anwalt. Das spart in jedem Fall Geld, denn bei Prozessen im Arbeitsrecht übernimmt in der ersten Instanz jeder seine eigenen Kosten, egal wie der Prozess endet. Und noch etwas spricht in Sachen Arbeitsrechtsschutz für die Gewerkschaft: Der Schutz gilt sofort, während Versicherungen immer mindestens eine Wartezeit von drei Monaten oder sogar noch länger haben.

Immer mehr Fälle

Während sich bei ver.di die Fallzahlen relativ konstant bei 35 000 pro Jahr halten, sind die Zahlen in der privaten Versicherungswirtschaft im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen. 642 000 Arbeitsrechtsfälle bearbeiteten die Versicherer 2009 - 13 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Mehr als eine halbe Milliarde Euro wendeten die Versicherer dafür auf. "Da zeigen sich die Auswirkungen der Wirtschaftskrise", sagt die Sprecherin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Katrin Rüter de Escobar. Auch in den anderen Bereichen müssen die Versicherer nun häufiger ran. Kommt es tatsächlich in einem versicherten Lebensbereich zu Ärger, übernimmt die Versicherung bei einem Rechtsstreit Anwaltsgebühren, Gerichtskosten, Entschädigungen für Zeugen und Sachverständige, Schlichtungsverfahren und - falls der Prozess verlorengeht - auch die Kosten des Gegners. Und das geht schnell in die Tausende.

Die Feinheiten

Der große Haken allerdings für den Kunden: Entscheidend ist, wann der Streitfall eingetreten ist. Manche Versicherungen stellen sich quer, weil die Ursache für ein aktuell auftretendes Problem weit in der Vergangenheit liegt, bevor eine Versicherung bestand, und berufen sich dann auf die "Vorvertraglichkeit". Ist beispielsweise der aktuelle Ärger mit dem Vermieter über die Sanierung des Badezimmers ursächlich mit dem Wasserrohrbruch im letzten Jahr in Verbindung zu setzen oder nicht? "Auf diese Feinheit sollte man besonders achten", rät Verbraucherschützerin Weidenbach. Denn der Spielraum der Versicherer ist erheblich. Den behalten sich die Unternehmen auch vor, wenn es um die Kündigung "unbequemer" Kunden geht. "Nach zwei Schadensfällen ist oft Schluss", sagt Elke Weidenbach. Sie rät deshalb zu einem Selbstbehalt von mindestens 150 Euro. Damit werde nicht nur die Prämie billiger, sondern: "Wer selbst etwas zahlen muss, überlegt sich genau, ob sich eine Klage rechnet."

Gute Policen sind rar

Rechtsschutzpolicen genießen nicht den besten Ruf. Verbraucherschützer halten die meisten ohnehin für entbehrlich, nur Arbeits- und Verkehrsrechtsschutz nicht. Die Stiftung Warentest hat 2009 nur siebenmal die Note "Gut" für die Verbraucherfreundlichkeit von Rechtschutzversicherungen vergeben, viele landeten bei "Befriedigend". Testsieger wurden Tarife der Auxalia, DAS und HDI Gerling. Bei einem aktuellen Test des Magazins Focus Money liegt die Advocard vorn. Bevor man sich für eine Paketlösung entscheidet, sollte man prüfen, ob eine Einzelpolice ausreicht.Wichtig sind die Reichweite des Versicherungsschutzes (weltweit), die Deckungssumme (mindestens 250 000 Euro), die Kaution (100 000 Euro), die Kostenübernahme bei Überprüfung der Erfolgsaussichten und die Ereignis-Theorie (Eintritt des Versicherungsfalles wird nicht auf ein früheres Ereignis zurückgeführt). Das Unternehmen sollte Mitglied beim Ombudsmann sein.