Hier geht‘s zu Hartz IV. Proteste am 29. Oktober gegen Standortschließungen der Telekom in Erfurt. Mehr als 60 Arbeitsplätze würden in der Stadt verschwinden

Von Ute Christina Bauer

Jürgen Flachmann arbeitet seit vielen Jahren bei der Telekom in Bielefeld. Er wohnt in der Nähe von Herford, hat dort ein Fachwerkhaus saniert. Er sagt: "Trotz vieler Umstrukturierungen habe ich mich bei meiner Arbeit voll eingesetzt. Von dem jetzt anstehenden Standortkonzept bin ich zutiefst enttäuscht." Eine geplante Verlegung seines Arbeitsstandorts nach Hannover würde für ihn drei bis vier Stunden tägliche Fahrzeit bedeuten. Einen Umzug kann er sich nicht leisten. Sein Fazit: "Die Zukunft macht mir Angst."

Die Geschäftsführung der T-Deutschland GmbH hat Schließungen und Verlagerungen der Standorte im IT-Betrieb sowie im Geschäftskundenservice und -vertrieb angekündigt. Beim Geschäftskundenbereich sollen in 58 Städten 113 Standorte wegfallen; der IT-Betrieb soll von 96 auf nur noch fünf Standorte schrumpfen. Erklärt wird die drohende Maßnahme mit Kostennachteilen im Wettbewerb und nicht mehr zeitgemäßen Strukturen.

Dem widerspricht Lothar Holzwarth, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Telekom Deutschland: Eine dezentrale Arbeitsorganisation mit Präsenz in der Fläche und kurzen Wegen zum Kunden sei kein Wettbewerbsnachteil, sondern vielmehr ein Vorteil. "Der Markt fordert Kundennähe."

Familienfeindlicher Plan

Läuft alles nach Plan, müssen sich rund 5000 Telekom-Mitarbeiter in den kommenden zwei Jahren auf deutlich längere Fahrtzeiten zur Arbeit oder einen Umzug einstellen. Wieder einmal am stärksten betroffen sind Teilzeitkräfte − überwiegend Frauen −, Schwerbehinderte und Alleinerziehende. Mit ihrem familienfeindlichen Vorhaben verletzt die Telekom den Grundsatz der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Zwei schulpflichtige Kinder zieht Jutta Reese, die in Wallenhorst bei Osnabrück lebt, allein groß. Ein Arbeitsplatzwechsel von Osnabrück zur Telekom-Filiale in Hannover würde der Teilzeitkraft eine zusätzliche Fahrtzeit von täglich vier bis fünf Stunden bescheren, außerdem Kosten in Höhe von 3200 Euro pro Jahr. "Ich wäre rund 60 Stunden in der Woche für meinen Arbeitgeber unterwegs. Meine Kinder könnte ich in der Woche nicht selbst betreuen." Wegen der Kinder und ihrer betreuungsbedürftigen Eltern ist für sie ein Umzug nach Hannover kaum möglich.

Auf kaltem Weg verdrängt

Lothar Schröder, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Bereich Telekommunikation, hält die Telekom für unglaubwürdig: "Es geht nicht um eine Optimierung der Strukturen, sondern darum, Menschen auf dem kalten Weg der Arbeitsplatzverlagerung aus dem Unternehmen zu drängen." Hinterher könne man dann sagen, sie seien freiwillig gegangen. Menschen, die sich für die Telekom über Jahre krumm gelegt hätten, sollen durch billigere Leute ersetzt werden. Ein Trick mit Methode: Beim vergleichbaren Konflikt um die Callcenter der Telekom-Kundenservicesparte verließen bis heute etwa 1000 Mitarbeiter/innen das Unternehmen. "Wir glauben, dass der Konzern alle Organisationseinheiten im Blick hat", sagt Lothar Schröder. "Die Restrukturierung steht erst am Anfang."

Die Telekom wirbt mit den Vorzügen der "E-Kollaboration": Sie proklamiert, dass mit Hilfe elektronischer Medien räumlich getrennte Organisationseinheiten international zusammenarbeiten können. Entgegen ihrer Vision "Ihr Büro ist da, wo Sie sind", scheint diese Devise für Deutschland nicht zu gelten. Reinhold Laukamp, Betriebsrat im Betrieb IT erklärt: "Wir haben die technischen Möglichkeiten, die Arbeit zu den Menschen zu bringen. Schon aus Imagegründen sollte die Telekom das nutzen." Ein weiterer Punkt: Der Konzernvorstand schreibt sich eine Reduzierung der CO2-Emissionen auf die Fahnen, macht diesen Ansatz jedoch durch drastisch weitere Anfahrtswege zur Arbeitsstelle wieder zunichte.

Das wird kein leiser Protest

Der Gesamtbetriebsrat wurde von den Plänen überrascht. Gespräche im Aufsichtsrat habe der Arbeitgeber zunächst abgeblockt, weil es sich "nur um eine operative Maßnahme" handele. "Die Telekom kehrt damit zu ihrem schon überwunden geglaubten Konfliktkurs gegenüber den Arbeitnehmern zurück", so Schröder.

ver.di, die Betriebsräte und die Schwerbehindertenvertretungen bei der T-Deutschland GmbH wollen sich gegen die Politik des Unternehmens wehren. Lothar Schröder stellt fest: "Wir haben erreicht, dass der Versuch gescheitert ist, den Betriebsrat innerhalb von 14 Tagen zu überfahren." Man habe Zeit gewonnen, so dass der Betriebsrat ordentliche Verhandlungen führen könne. Im Dezember komme das Thema jetzt in den Aufsichtsrat. Bis dahin wolle man überall in Deutschland Proteste organisieren. "Das wird keine leise Veranstaltung. Wir wollen erleben, was verbindet, und nicht erleiden, was verschwindet."