Liman Shala aus dem Kosovo. Er putzt in einer Schule in Bad Doberan (Mecklenburg-Vorpommern)

Von Elke Hannack

Es ist kaum zu glauben: Die Diskussion um Einwanderung, Integration und ihre Verweigerer - gut gemischt mit dem Schreckensruf "Fachkräftemangel!" - wird in den letzten Wochen und Monaten in unsäglicher Art und Weise geführt. Haben wir denn nicht über Jahre hinweg in Deutschland versucht, mehr Realitätssinn, mehr Sachkenntnis und Sensibilität gegenüber den Betroffenen zu entwickeln? Doch, das haben Gewerkschaften, Parteien und Experten getan. Ich erinnere nur an die "Expertenkommission Zuwanderung" unter der Leitung von Rita Süssmuth, die ein Bündel von Maßnahmen zur besseren Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft vorgelegt hatte. Mittlerweile haben wir einen Integrationsplan für Deutschland und eine Vielzahl von neuen Maßnahmen, besonders auf der kommunalen Ebene. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sieht unsere Erfolgsbilanz in Sachen Zuwanderung gar nicht so schlecht aus. Das hat der Sachverständigenrat "Zuwanderung" in seinem letzten Bericht bestätigt. Ja, es gibt Probleme, aber die sind lösbar.

Und dann schafft es das Sachbuch des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), dessen Markenzeichen die Unsachlichkeit ist, begleitet von einer Medienkampagne die Wellen hochschlagen zu lassen. Die Reaktionen der Bevölkerung zeigen Verunsicherung, Wut und Angst. Das ist nicht verwunderlich. Die Menschen haben ja in Zeiten der Wirtschaftskrise und der sozialen Zumutungen Grund zu Sorge. War die Ablenkung von den Ursachen und Verursachern der Krise gar gewollt? Jedenfalls haben die alten, destruktiven Reflexe in Sachen Zuwanderung im Politik- und Medienbetrieb wieder einmal funktioniert.

Das ist erneut Anlass für uns als Gewerkschaft, einen nüchternen Blick auf die Lage zu werfen. Wenn wir uns mit den Fakten auseinandersetzen, stellen wir fest: Wir müssen die Diskussion vom Kopf auf die Füße stellen.

Die wirklichen Probleme

Migrantinnen und Migranten sind unsere Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. Wir haben gemeinsame Probleme. Und die wollen wir durch gemeinsames gewerkschaftliches Engagement lösen. Das große Problem der Einwanderer sind ihre geringen Einkommen. Im Durchschnitt liegen die Familieneinkommen ein Drittel unter dem deutscher Haushalte. Sie sind weit überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit und Armutslöhnen betroffen. Die Jugendlichen haben es sehr viel schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Die beste Integrationsmaßnahme der Bundesregierung wäre deshalb ein gesetzlicher Mindestlohn. Vielfältige Initiativen mit guten Ansätzen drohen durch die radikale Kürzungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung zu ersticken. Dagegen protestieren die Gewerkschaften mit ihren Aktionen.

Nehmen wir zur Veranschaulichung das Programm "Soziale Stadt". Über ein Jahrzehnt wurde hier beispielhaft mit Geld von Bund, Ländern und Kommunen eine Vielzahl von kleinen Programmen in Stadtteilen finanziert, die mit Jugendbetreuung, Müttersprachkursen oder gemeinsamen Stadtteilgärten etwas Lebensqualität in vernachlässigte Stadtteile mit hohem Migrantenanteil gebracht haben. Auch die kleinen Handwerksbetriebe vor Ort haben profitiert. Dieses Programm soll im nächsten Bundeshaushalt zu rund 80 Prozent eingedampft werden. Wir müssen den politisch Verantwortlichen klar machen, dass damit Integrationserfolge aufs Spiel gesetzt werden.

Entscheidend für Integration aber ist ein guter Job mit fairer Bezahlung - die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Das ist unsere Erfahrung mit der Zuwanderung - seit Jahrzehnten. ver.di organisiert Menschen aus über 100 Ländern. Durch gemeinsames gewerkschaftliches Handeln haben wir Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Das Betriebsverfassungsgesetz ist eines der wenigen Gesetze in Deutschland, das keine Nationalitäten kennt. Viele Migrant/innen haben sich als Betriebsräte engagiert und unsere demokratischen Rechte mit gestaltet. Wir müssen das Modell demokratischer und wirtschaftlicher Teilhabe verteidigen und ausbauen, wenn im nächsten Jahr neue Migrantengruppen aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit nutzen. Ein soziales Europa für alle Arbeitnehmer/innen ist unser Ziel. Dafür werden wir gemeinsam streiten.

Elke Hannack ist Mitglied im ver.di-Bundesvorstand