Ausgabe 06/2011
Vorteil durch Lohndumping
Einige Unternehmen zahlen ihren 400-Euro-Kräften fünf Euro pro Stunde, sparen Sozialabgaben und Steuern. Die ver.di-Frauen fordern die Abschaffung dieser Beschäftigungsform
Billig einkaufen - auch auf Kosten der Beschäftigten
Eine Ersparnis von knapp 630 Euro im Monat pro Arbeitskraft - welcher Arbeitgeber lässt sich die schon entgehen? Ein Beispiel aus dem Handel zeigt, wie das funktioniert. Eine Verkäuferin oder Kassiererin verdient laut Tarifvertrag rund zwölf Euro pro Stunde. Arbeitet diese Frau 80 Stunden im Monat, kostet das den Arbeitgeber rund 1150 Euro. 80 Stunden im Monat, also eine Teilzeitstelle, sind in einem sogenannten Minijob nicht ungewöhnlich. Dafür zahlt der Arbeitgeber der Frau maximal 400 Euro netto aus. Hinzu kommen für ihn 30,74 Prozent Abgaben für Sozialversicherung, Steuern und eine Umlage. Kosten insgesamt: knapp 523 Euro.
Seit die rot-grüne Bundesregierung im Zuge der Hartz-Reformen 2003 die Stundenbeschränkung bei geringfügig entlohnter Beschäftigung aufgehoben hat, boomen diese Jobs. Meist sind es Frauen, die sie annehmen, viele von ihnen sind verheiratet. Bei 80 Stunden im Monat kommen sie auf einen Stundenlohn von fünf Euro. Insgesamt waren rund sieben Millionen Minijobber/innen im März 2011 in Deutschland registriert. Der Begriff Minijob täuscht darüber hinweg, dass es sich für die meisten von ihnen um den einzigen Job handelt. "Die starke Zunahme der Minijobs spricht dafür, dass die Betriebe seit der Gesetzesänderung 2003 Personaleinsatzstrategien nutzen, die vermehrt auf Minijobber und Minijobberinnen setzen. Dabei sind Niedriglöhne sowie Arbeitsrechtsverletzungen verbreitet", heißt es im jüngst vorgelegten Sachverständigengutachten zum Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.
Weit verbreitet im Handel
Gerade im Handel ist geringfügig entlohnte Beschäftigung weit verbreitet. Hannelore Buls, Leiterin des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung, rechnet vor, dass die Öffnungszeit einer Filiale von 9 bis 20 Uhr an sechs Werktagen in der Woche mit fünf Frauen auf 400-Euro-Basis abgedeckt werden kann. Kosten für den Arbeitgeber: rund 2600 Euro im Monat. Bezahlt er den Frauen jeweils ihre 80 Stunden Arbeitszeit pro Monat nach Tarif, kommt er auf rund 3000 Euro mehr.
Vorteile für das Unternehmen sehe er darin nicht, sagte der Gründer des Textildiscounters KiK, Stefan Heinig, 2009 in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt: "Es ist nur für die Arbeitnehmer einfacher. Sie haben dann brutto für netto."
Allerdings bekommt eine verheiratete Frau, Steuerklasse fünf, mit einem Kind bei einer Bezahlung von zwölf Euro pro Stunde, für 80 Stunden im Monat rund 650 Euro ausgezahlt. Ein weiterer Vorteil: Sie ist eigenständig sozialversichert. Dieser Vorteil bleibt, auch wenn die hohe Besteuerung in der Steuerklasse fünf bei verheirateten Frauen dafür sorgt, dass der Nettolohn bei niedrigeren Stundenlöhnen nicht viel höher ist als 400 Euro. "Das Ehegattensplitting und die Steuerklasse fünf sind der ,ideale' Rahmen, um Frauen in diesen Niedriglohnbereichen festzuhalten", kritisierten die Delegierten der ver.di-Bundesfrauenkonferenz im Mai. Sie fordern, die Steuerklasse fünf abzuschaffen.
Fehlende Kinderbetreuung und der Wunsch insbesondere von Müttern nach Teilzeitarbeitsplätzen treiben die Frauen in die geringfügig entlohnte Beschäftigung. Für viele bleibt sie eine Sackgasse. Die Sachverständigen kritisieren in ihrem Gutachten zum Gleichstellungsbericht, dass geringfügig entlohnte Beschäftigung nur selten eine Brückenfunktion in Vollzeitarbeit und existenzsichernde Arbeit habe. Außerdem biete sie weder Arbeitgebern noch Beschäftigten einen Anreiz zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
"Für die Unternehmen liegt der Vorteil klar im Lohndumping", sagt Hannelore Buls. Sie hat das am Beispiel KiK durchgerechnet. 2009 verurteilte das Arbeitsgericht Dortmund den Textildiscounter, zwei Beschäftigten einen Stundenlohn von 8,21 Euro statt der bislang üblichen fünf Euro pro Stunde zu zahlen. Allein durch diese Differenz, die deutlich unter dem Tariflohn lag, sparte das Unternehmen im Jahr 19,3 Millionen Euro. Bei ihrer Berechnung geht Hannelore Buls davon aus, dass die Hälfte der rund 12.000 KiK-Beschäftigten in Deutschland geringfügig entlohnt wird. Rechnet man auf Basis von zwölf Euro pro Stunde, kommt ein satter Vorteil von 37,7 Millionen Euro im Jahr heraus. Seit Oktober 2010 bezahlt KiK nach eigenen Angaben einen Stundenlohn von mindestens 7,50 Euro.
Durch die geringere Lohnzahlung entgeht nicht nur den unterbezahlten Frauen Geld, auch Steuereinnahmen und Sozialbeiträge fehlen. Daher haben sich die ver.di-Frauen für die Abschaffung von geringfügig entlohnter Beschäftigung ausgesprochen. Auch die Aussage im Sachverständigengutachten dazu ist eindeutig: "Wenn die Reduzierung geschlechtsspezifischer Ungleichheit im Beschäftigungssystem ernst gemeint ist, wird die Abschaffung der Minijobs daher ein zentrales Element einer entsprechenden Politik sein müssen."