Viel Post wird Robert Marhan, Geschäftsführer der Amazon Logistik GmbH mit Sitz in Bad Hersfeld, in den nächsten Wochen bekommen. Briefe von Kundinnen und Kunden des Versandhändlers, in denen sie ihn fragen, wie sie sich über ihr neu erworbenes Produkt freuen sollen, "wenn die Menschen, die es verpacken und verschicken, unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden". Marhan wird aufgefordert, nach Tarif zu zahlen und sich gegenüber der Konkurrenz durch Innovationen zu behaupten und nicht durch Lohndrückerei. Bei ver.di organisierte Amazon-Beschäftigte und die beiden hessischen ver.di-Projektsekretäre Julian Jaedicke und Heiner Reimann haben sich die Brief-Aktion ausgedacht. In Bad Hersfeld kommen alle bundesweiten Retouren an, also Waren, die Kund/innen bei Nichtgefallen wieder an Amazon zurückschicken.

Der Leidensdruck der Amazon-Beschäftigten ist groß. "Leistungsdruck, Befristungen, kein Tarifvertrag", benennt Julian Jaedicke die drei größten Probleme. Zurzeit arbeiten rund 5000 Beschäftigte an zwei Standorten in Bad Hersfeld, etwa 60 Prozent von ihnen mit befristeten Verträgen. Befristungen zählen bei Amazon zur Personalpolitik. So werden die Beschäftigten unter enormen Leistungsdruck gesetzt, denn sie hoffen auf eine Festeinstellung. "Die Hoffnung erfüllt sich jedoch nur für die wenigsten", sagt Jaedicke.

Hinzu komme die schlechte Bezahlung. In Bad Hersfeld hat es Anfang September 2011 die erste Lohnerhöhung seit fünf Jahren gegeben. Dennoch, rechnet ver.di vor, hat ein Amazon-Packer, der nur in der Frühschicht arbeitet, im Jahr 2 526 Euro weniger als ein Kollege, der nach dem Tarif des Einzel- und Versandhandels bezahlt wird. Mit Wechselschichtzuschlag summiert sich der Unterschied auf 4228 Euro. Außerdem fehlen den Amazon-Packern tarifliche Zuschläge für Sonn- und Feiertage, Einmalzahlungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen und der volle Lohn von Anfang an. Nach dem Tarif hätten sie auch mehr Urlaub.

Am Standort Leipzig zahlt Amazon den rund 1500 Beschäftigten noch weniger. Stundenlöhne von 8,65 Euro waren bis Ende September für die Entfristeten die Regel, berichtet ver.di-Sekretär Thomas Schneider. Im August mussten die Leipziger sogar Beschäftigte eines neuen Werkes in Graben bei Augsburg anlernen, die mit mehr als neun Euro pro Stunde einsteigen. "Das sorgt für viel Unmut in Leipzig. Auch dadurch steigt der ver.di-Organisationsgrad dort gerade stark an", sagt Thomas Schneider.

Kranker Leistungsdruck

Während des ver.di-Bundeskongresses besuchte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske eine Betriebsversammlung bei Amazon in Leipzig. "Ich habe ja schon einiges erlebt, aber einen Arbeitgeber, der wegen zweimaliger Inaktivität innerhalb von fünf Minuten einen Kollegen abmahnt, doch noch nicht. Das spricht Bände über den Leistungsdruck, der da herrscht", berichtete er später den Delegierten. Über Handscanner, die die Beschäftigten für ihre Arbeit bei sich tragen, ist es möglich, jeden Schritt nachzuverfolgen. Bsirske forderte die Kolleg/innen auf, sich zu organisieren und über einen Tarifvertrag bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

Das soll das Ziel sein, in Leipzig und in Bad Hersfeld, aber sicherlich auch an den Standorten in Graben bei Augsburg und im nordrhein-westfälischen Rheinberg, wo Amazon bis Ende 2011 neue Logistik-Zentren eröffnen wird. Sowohl in Leipzig als auch in Bad Hersfeld hat ver.di die Mitgliederzahl schon verdreifacht. Dieser Erfolg ist der Geschäftsführung in Bad Hersfeld wohl zu viel geworden. In einem Brief untersagt sie Julian Jaedicke und Heiner Reimann, sich in der Kantine oder auf dem Gelände aufzuhalten. Dadurch können die beiden ver.di-Sekretäre zurzeit nur den Betriebsrat besuchen. Sie haben die Geschäftsführung aufgefordert, das Verbot zurückzunehmen. Geschieht das nicht, werden sie juristisch dagegen vorgehen.

Wer Robert Marhan schreiben möchte, kann den Brief herunterladen unter www.amazon-verdi.de/aktion