Ausgabe 04/2012
Mein Leben mit dem Geld der anderen
Wer zu Christina Stönner in die Filiale der Berliner Sparkasse kommt, dessen Geldkarte ist nicht selten gesperrt. Aus dem Alltag einer Bankkauffrau
VON Claudia von Zglinicki
Sie sagt "Bankerin", wenn sie von ihrem Beruf redet, wie viele ihrer Kollegen. Banker, das sind sie. Und die anderen, das sind die Vorstände der Banken, die Manager, die Männer mit den ungeheuren Bonuszahlungen und der Verantwortung für die Finanzkrise und auch dafür, dass so viele einfache Kund/innen ihr Erspartes verloren haben. Da zieht Christina Stönner die Grenze - zwischen sich und jenen anderen.
Die junge Frau mit dem langen blonden Haar und dem glatten Pony sagt, dass sie ihren Beruf liebt - wegen der Arbeit mit den Kunden. Auch wenn sie weiß, wie der Ruf der Branche gelitten hat, gerade in den letzten Jahren. Aber für die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen kann sie einstehen. "Für meine eigene sowieso!" Sie lacht. "Ich drehe keinem Kunden Produkte an, die ich selbst für überflüssig halte oder für falsch in seiner Situation." Der Kontakt mit den Menschen sei das Faszinierende an dem Job. "Fürs Callcenter bin ich nicht geboren; ich will dem Gegenüber direkt in die Augen gucken." Die Kunden sollen schließlich wiederkommen. Viele tun das, um weiter von der vertrauenerweckenden Frau Stönner beraten zu werden. Manche haben ihr das schon so gesagt. Die bringen dann beim dritten Termin die Familie mit, und die Verwandten wechseln das Geldinstitut, ihretwegen, das kam schon vor. Als die Bankberaterin davon erzählt, lächelt sie und schüttelt leicht den Kopf; die silbernen Ohrringe schwingen.
Vom Kind, das gern rechnet
Christina Stönner ist in Laage aufgewachsen, einer Kleinstadt zwischen Rostock und Güstrow. Sie liebt die Ostsee und den Sandstrand - das ist das Einzige, was sie in Berlin vermisst. Nach dem Abitur vor acht Jahren wollte sie einen Beruf mit geregelten Arbeitszeiten. Nur nicht ständig unterwegs sein wie ihr Vater, der Fernfahrer. Doch vor allem ging es ihr um zweierlei: raus aus der Kleinstadt und auf eigenen Füßen stehen. Also trotz des guten Abis nicht studieren, sondern einen Beruf erlernen, arbeiten und Geld verdienen.
"Fürs Callcenter bin ich nicht geboren; ich will dem Gegenüber direkt in die Augen gucken. Die Kunden sollen schließlich wiederkommen."
Geld ist ein gutes Stichwort bei einer Frau, die mit dem Geld der anderen arbeitet. Kann man sagen, sie mag Geld? Als Mittel zum Zweck, als angemessenen Lohn, als Sicherheit, aber auch ganz direkt, ja. Sie hat als Schulkind alle zwei Tage ihr Sparschwein auf den Kopf gestellt und die Münzen gezählt. Die Klassenkasse und die Finanzierung der Abifahrt - darum hat sie sich gekümmert, das war klar. Sie rechnet auch gern, obwohl das inzwischen nur noch am Rechner geschieht. Damals, als sie noch mit ihren Eltern spazieren ging, hat sie mit ihnen gerechnet, um die Langeweile zu vertreiben. Hat bei den Rechenspielen ein falsches Ergebnis eingebaut und die Mutter ertappt, wenn die das nicht bemerkt hat. Bis die Eltern genervt waren von der rechnenden Tochter, und sie nicht mehr mitgehen musste bei den Spaziergängen.
Auf alle Fälle ein dickes Fell
Es ist Mittwoch, die Sparkasse schließt um drei. Fünf nach drei ist die Schlange der Wartenden am "EP", dem Empfangsplatz in der hohen Halle, verschwunden. Dem letzten Kunden fällt auf dem Weg zu Christina Stönner sein Portemonnaie herunter. Viele Münzen springen über den blanken Boden. Blitzschnell ist sie bei ihm und hilft beim Aufsammeln. Und im Nu steht sie wieder an ihrem Stehtisch mit dem Computer drauf. Der Kunde braucht Geld, er bekommt es nur hier, nicht am Automaten, weil eine Pfändung läuft. Doch sie kann ihm heute nichts geben, denn sie sieht am Bildschirm: Die Überweisung vom Jobcenter ist noch nicht da. Sie kann nicht klären, warum das so ist; sie muss ihn bitten, morgen wiederzukommen. Der dunkelhäutige Mann widerspricht nicht, er geht einfach.
Manchmal wird jemand ausfallend, beschimpft sie derb - für diese Fälle hat sie sich ein dickeres Fell zugelegt. "Ohne das geht's nicht", sagt sie leise. Vor zwei Stunden war jemand da, der lange mit ihr diskutiert hat, sich aufregte, von seiner Herzkrankheit sprach. Und nun müsse er noch mal aufs Amt! Sie verstand ihn, helfen konnte sie ihm nicht. So ist der Alltag hier, sagt Christina Stönner.
Die Filiale auf der lauten Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln sieht wohlhabend aus, fast pompös, die Kunden sind es nicht. Wer hierherkommt, dessen Geldkarte ist nicht selten gesperrt. Als Christina Stönner im Sommer 2006 nach der Ausbildung im noblen Bezirk Steglitz hierher versetzt wurde, mit einem vorerst befristeten Arbeitsvertrag und einer Liste der Produkte, die sie im nächsten halben Jahr verkaufen sollte, war die Umstellung gewaltig. Von einem Schock redet sie nicht gerade, "aber anders ist das Leben hier schon, gerade in der Bank spüre ich das. Mehr Armut, mehr Kunden ohne Deutschkenntnisse, mehr Bedürftigkeit."
"Man wurde zum Verkauf geprügelt. Das hatte ich mir vor der Ausbildung anders vorgestellt. Morgens Ansagen wie ‘Heute noch drei Bausparer!' - das ist nicht meins."
Zu Stönners Aufgaben gehört neben dem Sparverkehr und den Krediten auch der Verkauf von Sachversicherungen: Haftpflicht und Hausrat, Rechtsschutz. Damit kann sie gut umgehen. Seit 2010 ist sie für Lebensversicherungen und Wertpapiere nicht mehr zuständig. "Als ich solche Produkte noch vertreiben musste, hab ich mich schwer damit getan. Aber man wurde zum Verkauf geprügelt. Das hatte ich mir vor der Ausbildung anders vorgestellt. Morgens Ansagen wie ‚Heute noch drei Bausparer!' - das ist nicht meins." Sie erzählt, dass sie schon mal Kunden woandershin geschickt hat, "wenn unser Produkt für sie wirklich nicht geeignet war. Ich will schließlich das Beste für sie. Wenn der Arbeitgeber das anders sieht, ist mir das egal." In ihrem Privatkundencenter fühlt sie sich aber gut aufgehoben, genauso wie im Team mit ihren sieben Kolleginnen.
Streikwanderung auf dem Kurfürstendamm
Es ist der erste heiße Tag in Berlin seit Wochen. 600 Menschen ziehen über den abgesperrten Kurfürstendamm. Vorn tragen drei Frauen eine breite Stoffbahn, auf der steht ein einziges Wort: "Bankenstreik". Die drei tragen kein Businesskostüm. Der Dress-Code ist bunt im Zug; ein paar Dutzend Bankberater in dunklen Anzügen und mit Gel im Haar sind auch dabei. Christina Stönner trägt eine ver.di-Jacke über der eleganten Hose; nach dem Warnstreik wird sie noch eine Stunde arbeiten, "dann muss ich bloß schnell das Oberteil wechseln". Sie hätte sich mehr Streikende gewünscht, gerade Azubis, in dieser Tarifrunde, in der die Bankenarbeitgeber so zäh alles ablehnen, was die Gewerkschaft fordert. Für Stönner steht ein Punkt unter den Forderungen ganz vorn: Die Banken sollen mehr ausbilden und alle jungen Leute übernehmen, die den Abschluss schaffen. Bankfachleute werden überall dringend gebraucht, sie kennt die Personalknappheit aus eigener Erfahrung. "Und für die Straße ausbilden - das ist das Letzte." Das regt sie auf, darüber hat sie sogar schon auf Betriebsversammlungen gesprochen, vor 1500 Menschen.
Zur Gewerkschaft kam Christina eigentlich nur aus Neugier. "Eine Kollegin hat mich bequatscht, mal mitzugehen zu einem Treffen der Jugend- und Auszubildendenvertretung." Bei den nächsten Wahlen, 2006, ist sie schon gewählt worden, zwei Jahre später erneut. "Mit den Azubis reden, ihnen bei Streit über ihre Beurteilung zur Seite stehen, eine Gegendarstellung schreiben - das war richtig gut!" Sie strahlt. Zwei Betriebsräte gewannen sie dann auch für ver.di: "Nicht mit den praktischen Vorteilen, für mich ging es dabei um das riesige Netzwerk, das ver.di ist. Davon wollte ich ein Teil sein."
Dass es ein paar Tage nach dem Warnstreik auch in der dritten Tarifverhandlungsrunde Anfang Mai kein Ergebnis gab, hat die junge Frau schon erwartet. "Jetzt müssen wir wieder auf die Straße, um uns durchzusetzen", sagt sie, "mit viel mehr Leuten!"
Fragt man sie nach ihrer Zukunftsvorstellung, spricht sie von Familie. Sie wolle irgendwann heiraten und Kinder haben, "so platt" seien ihre Pläne. Und die Karriere? Sieht sie sich auch in zehn Jahren noch bei der Berliner Sparkasse? Die Antwort kommt ohne Zögern: "Ja. Im Betriebsrat." Den Kollegen kann das ja nur recht sein. Und ver.di auch.
Christina Stönner, 27, kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, lebt in Berlin, ist Bankkauffrau und Bankfachwirtin bei der Berliner Sparkasse. Mitglied in den Vorständen der ver.di-Bundes- und Landesfachgruppe Privates Bankgewerbe, für die ver.di-Jugend in der Tarifkommission, bei der Berliner Sparkasse im Vorstand der ver.di-Betriebsgruppe.
"Fürs Callcenter bin ich nicht geboren; ich will dem Gegenüber direkt in die Augen gucken. Die Kunden sollen schließlich wiederkommen."
"Man wurde zum Verkauf geprügelt. Das hatte ich mir vor der Ausbildung anders vorgestellt. Morgens Ansagen wie ‘Heute noch drei Bausparer!' - das ist nicht meins."