Nur rund die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland werden von einem Betriebs- oder Personalrat vertreten. In den anderen Betrieben verzichten sie auf die ihnen zustehende Interessenvertretung. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe in der Dienstleistungsbranche sind oft noch betriebsratslos. Wie wichtig sie sind und was sie gerade dort erreichen können, zeigen unsere vier Beispiele Arbeit, die überzeugt

Unterschiedliche Wahl-Erfahrungen machten Farid Kezadri (l.) und Nils Humboldt

Competence Call Center | Farid Kezadri ist seit Mai 2012 Betriebsratsvorsitzender beim Competence Call Center (CCC) in Leipzig. Seit der ersten Betriebsratswahl vor dreieinhalb Jahren war die Zahl der Beschäftigten auf rund 600 gestiegen, daher gab es Neuwahlen. ver.di-Mitglied Farid Kezadri stellte sich zur Wahl, um einiges im Betrieb zu verändern. Mit Flyern und Gesprächen haben alle Kandidat/innen vor der Wahl die Belegschaft informiert, worum es ihnen inhaltlich bei der Betriebsratsarbeit geht. Der Arbeitgeber stellte den Beschäftigten dazu Zeit zur Verfügung.

„Diese Treffen waren auch für den Arbeitgeber konstruktiv: Es wurde klar, was die Menschen an der Basis bewegt und wo der Schuh drückt“, sagt Farid. Beim CCC sind außer ver.di die „Kommunikationsgewerkschaft” DPVKOM und die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) vertreten. Da es inhaltliche Schnittstellen gab, stellten sie eine gemeinsame Wahlliste auf.

Als Betriebsratsvorsitzender ist Kezadri von seiner Arbeit als Callcenter-Agent freigestellt. Aus seiner Sicht profitieren von der betrieblichen Interessenvertretung Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber. Die Beschäftigten können ihre Rechte besser wahrnehmen. Dienstpläne, Überstunden, Pausenzeiten – in all diesen Fragen hat der Betriebsrat ein Wort mitzureden. Vor jeder Kündigung muss er angehört werden. Er wacht darüber, dass Gesetze, Schutzvorschriften und Tarifverträge eingehalten werden. „Beim Thema Urlaubsplanung arbeiten wir aktuell an einer Betriebsvereinbarung. Für die Beschäftigten stellen wir sicher, dass die Vereinbarung in Ordnung ist. Für den Arbeitgeber werden so Fragen zur Urlaubsplanung gebündelt, und er bekommt nicht 600 Einzelanfragen.“ Weitere Beispiele: Der Betriebsrat habe den Arbeitgeber überzeugen können, in eine neue Klimaanlage für die Büroräume zu investieren. Das Argument, durch die verbesserten Arbeitsplatzbedingungen seltener kranke Beschäftigte und somit weniger Ausfälle zu haben, überzeugte.

Nun werde das Lohnsystem bei CCC geprüft, sagt Kezadri. Regelungen zu flexibleren Arbeitszeiten und Arbeitszeitkonten nützen den Beschäftigten und dem Arbeitgeber gleichermaßen. Die Callcenter-Branche sei bisher eine weitgehend tariffreie Zone. Ein Betriebsrat könne die wichtigsten Belange zumindest vorerst einmal in Betriebsvereinbarungen regeln.

Dass Aufträge an ein Callcenter storniert werden, weil es einen Betriebsrat gibt, ist aus Kezadris Sicht völliger Unsinn. Auch den Auftraggebern gebe ein Betriebsrat Rechtssicherheit, zum Beispiel hinsichtlich der geregelten Arbeitszeiten, und das wüssten diese zu schätzen. gvg


Kündigung statt Wahl

TAS AG | Einen Betriebsrat oder gewerkschaftliche Vertrauensleute gibt es beim Callcenter der TAS AG in Leipzig bisher nicht. Stattdessen sogenannte Vertrauenspersonen, die sich einmal im Monat zum „Meeting“ mit der Geschäftsleitung einfinden. Das wollte Nils Humboldt ändern und eine Betriebsratswahl einleiten, wie sie gesetzlich vorgesehen ist. Eine demokratisch legitimierte Interessenvertretung sollte her.

Gemeinsam mit zwei Kollegen legte er los. Per Einschreiben informierten sie Arbeitgeber und Beschäftigte. Sie hängten im Betrieb Plakate auf, um zur Betriebsversammlung einzuladen, auf der ein Wahlvorstand gewählt werden sollte. Ein Wahlvorstand organisiert die Wahlen und sorgt dafür, dass sie ordnungsgemäß ablaufen. Doch schon zu der Versammlung kam es nicht. Nachdem das Trio dazu eingeladen hatte, schrieben andere Beschäftigte einen offenen Brief, in dem sie die drei beleidigten: Sie seien „Profilierungssüchtige“. Ihnen wurde vorgeworfen, durch eine Betriebsratsgründung Auftraggeber abzuschrecken. Nils Humboldt und seinen beiden Kollegen wurde fristlos gekündigt. Gemeinsam mit dem ver.di-Rechtsschutz haben sie mittlerweile Kündigungsschutzklage eingereicht. Und ver.di will Strafanzeige wegen Behinderung der Betriebsratswahlen stellen.

„Im Nachhinein weiß ich, dass wir die Betriebsratswahl noch besser hätten vorbereiten müssen“, sagt Nils Humboldt heute. Wichtig sei es, frühzeitig Kontakt zur Gewerkschaft aufzunehmen, damit diese die Betriebsversammlung einberufen kann, auf der der Wahlvorstand gewählt wird. Denn erst die Mitglieder des Wahlvorstandes genießen Kündigungsschutz. Außerdem würde er sich mehr Zeit nehmen, um die Kolleg/innen im Betrieb über Sinn und Funktion eines Betriebsrats zu informieren, und zu erklären, warum man das mache.

In einem Betrieb wie der TAS AG, die seit 20 Jahren besteht, in der Pausenzeiten rar sind und mit Zeiterfassungsgeräten penibel gemessen werden, herrschen Ängste in der Belegschaft – vor allem vor einem Jobverlust. Die Sorgen der Belegschaft müsse man ernst nehmen, sagt Humboldt. Dann könne man auch klarstellen, dass ein Betriebsrat nicht bedeute, dass das Unternehmen keine Aufträge mehr bekomme oder gegen den Betrieb gearbeitet werde. „Und man muss den Kollegen klar machen, dass sie sich nicht äußern müssen, wenn sie zur Betriebsratswahl gefragt werden – so können sie nämlich nicht unter Druck gesetzt werden!“ gvg


Fabian Kunow achtet in drei Clubs in Berlin-Kreuzberg auf die Rechte der Beschäftigten

Wenn der Chef nicht mehr mit fegt

Festsaal Kreuzberg | „Fabian Kunow? Der Name sagt mir jetzt gar nichts“, sagt die sehr jung klingende Stimme am Telefon des Festsaals Kreuzberg in Berlin. Dabei ist Fabian Kunow seit rund vier Jahren der Betriebsratsvorsitzende des Szeneclubs mitten in Berlin, wo sich neben türkischen Hochzeitsgesellschaften immer auch wieder das linke Partyvolk zu politischen Veranstaltungen trifft. Seit 2008 gehören zum Unternehmen noch zwei weitere Clubs. Die vier Betreiber beschäftigen sechs Festangestellte und rund 45 Teilzeitkräfte, meist Studierende und Schüler/innen.

Fabian Kunow kennt sie alle, eigentlich. Wenn jemand neu anfängt, geht er hin und stellt sich vor. „Manche denken, der Betriebsrat ist eine Art Personalchef, der sie kontrolliert“, sagt er. „Die anderen sagen: Ist ja toll, dass die Chefs so etwas erlauben.“ Aber im Grunde hätten die alle null Ahnung von Betriebsräten und ihrer Arbeit. Dass die junge Frau aus dem Büro ihn nicht kennt, verwundert ihn auch nicht. „Hier arbeiten viele Praktikanten, die ständig wechseln.“ Auf seiner Website sucht der Festsaal aktuell Praktikanten für den technischen und kaufmännischen Bereich. Manche von denen sieht Fabian nie, und sie ihn auch nicht.

Schwierig genug ist es schon, die Beschäftigten zusammenzubringen. Die Fluktuation unter ihnen ist groß, sagt Kunow. Irgendwann ist das Studium beendet und die erste Stelle da. Oder man wechselt den Club. Kunow selbst hat nie gewechselt. „Am Anfang war das hier eine überschaubare Angelegenheit. Wir waren eine Clique, und man hat auch außerhalb der Schichten miteinander zu tun gehabt“, erzählt er. Als 2008 ein vierter Chef und zwei neue Clubs dazukamen und das Personal anstieg, war es mit der „Cliquenwirtschaft” vorbei. Die Arbeit verdichtete sich, die Anweisungen wurden strikter, und die neuen Arbeitsverträge belegten: Alle sollten mehr für das gleiche Geld arbeiten. Effizienz waltete, wo einst ein alternatives Projekt eine soziale Nische versprach. „Es ist ein Unterschied, ob man den Chef selbst mit fegen oder im Büro sitzen sieht“, so der Betriebsratsvorsitzende.

Es war der Moment, in dem der heute 32-Jährige einen Betriebsrat wollte. Schon einmal, als 18-jähriger Schüler, hatte er die Gründung eines Betriebsrats versucht, in einem Callcenter, in dem er jobbte. Damals wurden er und die anderen Initiatoren mit einer hohen Abfindung rausgeworfen. Das sollte dieses Mal nicht passieren. Dieses Mal sollte es klappen. Aus der ersten Erfahrung wusste er: bloß nicht mit offenen Karten spielen. Und: von Anfang an die Gewerkschaft mit ins Boot nehmen. Seit knapp vier Jahren hat der Festsaal jetzt einen dreiköpfigen Betriebsrat, wenn auch immer noch keinen Tarifvertrag. Aber die Absenkung der Beschäftigten-Einkommen, das konnte der Betriebsrat verhindern. Und was Fabian Kunow im Prinzip viel wichtiger ist: „In einigen anderen Berliner Clubs wollen sie jetzt auch Betriebsräte gründen.“ pewe


Sie arbeiten, wo andere Urlaub machen (v.l.): Heike Fronert, Marion Kruse, Nina von Osten

Ohne Betriebsrat ging es nicht

Tourismus GmbH Dornum | Seit März dieses Jahres gibt es bei der Tourismus GmbH in Dornum einen Betriebsrat. Wieder muss man sagen, denn zur turnusgemäßen Wahl im Jahr 2010 hatte sich niemand mehr gefunden, der oder die für die Wahl kandidieren wollte. Die Sorge wegen der zeitlichen Belastung durch das Ehrenamt war zu groß.

Doch keine zwei Jahre später war für die Beschäftigten der Tourismus GmbH an der ostfriesischen Küste klar, dass es ohne Betriebsrat nicht geht. „Es lagen schon einige Dinge im Argen“, erinnert sich Marion Kruse, Mitglied des neu gewählten dreiköpfigen Betriebsrats. Es geht um Gehälter, befristete Verträge, um Arbeitsbedingungen. In Gesprächen schilderten sich die Beschäftigten gegenseitig ihren Frust und kamen schnell an den Punkt, an dem eine erneute Betriebsratswahl naheliegend war.

Als ver.di-Mitglied nahm Marion Kruse Kontakt zu Frank Buscher auf, dem zuständigen ver.di-Sekretär des Bezirks Weser-Ems. Bei einem Treffen mit Beschäftigten – Mitgliedern und Nichtmitgliedern – erläuterte er ihnen den Ablauf der Wahl und die Vorteile eines gewählten Betriebsrats. Sechs Kandidat/innen fanden sich.

Die hohe Beteiligung an der Wahl zeigte, dass die Beschäftigten wieder von einem Betriebsrat vertreten werden wollten. Ein Rückhalt, den das dreiköpfige Gremium auch in der täglichen Arbeit spürt. So ist im Sommer Hochsaison für die 48 Beschäftigten der Tourismus GmbH. Zwölf von ihnen sind nur für diese Zeit eingestellt. Dennoch sei es auch zur Zeit kein Problem, so Marion Kruse, für die wöchentlichen Betriebsratssitzungen Vertretungen zu finden, die in dieser Zeit die berufliche Arbeit der Betriebsratsmitglieder mit übernehmen.

Gemeinsam mit ihrer Betriebsratskollegin Heike Fronert arbeitet sie im Hauptgebäude der Tourismus GmbH. Die beiden Frauen bieten einmal wöchentlich eine Sprechstunde an. Doch viele ihrer Kolleg/innen sprechen sie und die Betriebsratsvorsitzende Nina van Osten auch gerne außerhalb dieser Zeit an und berichten von ihren Problemen. Erfolge haben die drei Frauen trotz ihrer kurzen Amtszeit auch schon zu verbuchen: So wurde der Container für die Anmeldung am Campingplatz ausgetauscht, er war von Schimmelpilzen befallen. Und die Arbeitsbelastung? „Wir haben es noch nicht bereut“, sagt Marion Kruse.

Nur der Arbeitgeber ist nicht angetan von seinem neu gewählten Betriebsrat: Man könne doch Probleme auch im persönlichen Gespräch regeln. So kämpft das Trio immer noch um die gemeinsame Teilnahme an der Grundschulung für Betriebsratsmitglieder. „Wir haben im Wahlkampf versprochen, voll und ganz für die Kolleg/innen einzutreten, und das halten wir auch“, sagt Marion Kruse. Und wenn sie mal fachlich nicht weiterkommen, holen sie sich Hilfe bei Frank Buscher, der den neu gewählten Betriebsrat auch nach der Wahl weiter unterstützt. hla


Wo kann ein Betriebsrat gewählt werden?

In jedem Betrieb, der mindestens fünf Arbeitnehmer/innen ständig beschäftigt, kann ein Betriebsrat gewählt werden. Dabei ist es egal, ob sie voll- oder teilzeitbeschäftigt sind. Turnusgemäß werden alle vier Jahre neue Betriebsräte gewählt, die nächsten Wahlen finden vom 1. März bis zum 31. Mai 2014 statt. Gibt es jedoch in einem Unternehmen keinen Betriebsrat, kann jederzeit gewählt werden. Ob ein Betriebs- oder Personalrat gewählt wird, hängt allein von der Rechtsform des Unternehmens ab. Betriebsräte sind in der Privatwirtschaft aktiv, Personalräte im öffentlichen Dienst. Die Größe des Betriebsrats und eventuelle Freistellungen richten sich nach der Zahl der Beschäftigten.

Was ist vor einer Wahl zu tun?

Wer die Wahl eines Betriebsrats initiieren möchte, sollte so früh wie möglich mit der zuständigen ver.di-Geschäftsstelle Kontakt aufnehmen. Hier sitzen Rechtsexpert/innen, die alle Fallstricke rund um die Wahl kennen. So ist es sinnvoll, dass ver.di zu der Betriebsversammlung einlädt, auf der der Wahlvorstand gewählt wird – denn erst die Mitglieder des Wahlvorstands genießen Kündigungsschutz. ver.di kennt auch alle Formalitäten, die bei einer Wahl beachtet werden müssen.

Was macht ein Betriebsrat?

Die Mitglieder eines Betriebsrats kümmern sich im Wesentlichen um vier Themenfelder:

  • Soziale Angelegenheiten
  • Gesundheitsschutz und Arbeitsplatzgestaltung
  • Personelle Angelegenheiten und Berufsbildung
  • Wirtschaftliche Angelegenheiten

Sie achten nicht nur darauf, dass der Arbeitgeber Gesetze, Verordnungen und Tarifverträge einhält, sie können auch Betriebsvereinbarungen aushandeln und setzen sich für die Rechte der Beschäftigten ein. Sie genießen Kündigungsschutz. Im Betriebsverfassungsgesetz sind die Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber und der von den Arbeitnehmer/innen gewählten betrieblichen Interessenvertretung geregelt.

ver.di unterstützt Betriebsräte auch nach der Wahl, unter anderem mit Schulungen für alle Bereiche. Außerdem stehen die Kolleg/innen in den ver.di-Geschäftsstellen ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

Weitere Informationen:

www.stimmt.verdi.deAuf der Seite zur Betriebsratswahl 2010 stehen viele immer noch aktuelle rechtliche Hinweise, Präsentationen und Praxisbeispiele.

www.verdi-bub.de/service/wahlenDer Bildungsträger ver.di Bildung+Beratung hat für Betriebsratswahlen, aber auch für Wahlen von Jugend- und Auszubildendenvertretungen, Schwerbehindertenvertretungen und Personalratswahlen wesentliche Fakten zusammengestellt.

https://mitgliedernetz.verdi.deUnter dem Suchwort „Betriebsratswahl“ werden ver.di-Mitgliedern zur Zeit 38 hilfreiche Beiträge zum Thema angezeigt.

Ihr wollt jetzt auch einen Betriebsrat wählen? verdi.tv gibt die wichtigsten Infos. Einfach QR-Code rechts mit dem Smartfon scannen.