Vielleicht bewirbt er sich eines Tages noch um die deutsche Staatsbürgerschaft. Aldo Castillo Ledesma lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Er ist Musiker mit Leidenschaft, hauptberuflich Straßenbahnfahrer - und Verfechter einer bunten Gewerkschaft

Von Claudia von Zglinicki

Augustusplatz Leipzig, Stadtmitte. Hier stehen Oper, Universität und Gewandhaus. Auf dem Dach des Uni-Hochhauses blicken Menschen über die Stadt. Es ist Feiertag in Sachsen, man kann sich Zeit nehmen, Thomaskirche und Völkerschlachtdenkmal sehen. Einheimische entdecken noch mehr markante Punkte, aber ein Mann weiß richtig gut Bescheid. Er kann beschreiben, wie es damals, zur Völkerschlacht, hier ausgesehen haben mag. Er weiß, wo die künftige U-Bahn-Trasse entlangführen wird. Doch Stadtführer ist er nicht. Und Sachse auch nicht.

Aldo Castillo Ledesma kommt aus Peru. Seit 33 Jahren lebt er in Deutschland, seit Anfang der 90er Jahre in Leipzig. Schon oft hat der Straßenbahnfahrer mit südamerikanischen Studenten hier oben auf dem Dach der Universität gestanden und ihnen Leipzig und die Sachsen erklärt, weil ihm das Spaß macht. Er will Kenntnisse weitergeben, redet gern, erzählt schwungvoll - und schnell sowieso. Der Mann mit dem ver.di-Rucksack hat Indios und Deutsche unter seinen Vorfahren. Die indianische Seite sieht man seinem brünetten Teint und den glänzenden schwarzen Haaren an, die er zu einem Pferdeschwanz bindet. Auf einem Wandgemälde im Gewandhaus findet man unter den vielen dargestellten Musikern einen mit derselben Frisur. Besuchern zeigt er das Bild gern, dem gemalten Musiker fühlt sich Aldo verwandt. Weil der 59-jährige Peruaner auch musiziert. Er spielt Panflöte und Gitarre, hat das jahrelang in westdeutschen Städten mit anderen Latino-Musikern getan, auf der Straße und in Restaurants, in bunte Ponchos gehüllt. Anfang der 80er Jahre konnte man damit noch gut Geld verdienen, erzählt er und lacht. "Die Leute kannten das noch nicht und waren spendabel."

Vor ein paar Monaten stand Aldo in Berlin mal wieder mitten im Publikum. Ein Überraschungsauftritt auf einer ver.di-Party. Er, ein paar Frauen und Männer aus dem Bundesmigrationsausschuss der Gewerkschaft mischten sich plötzlich unter die Feiernden und sangen, Aldo spielte Gitarre. Auch Erdogan Kaya war als Sänger dabei, ein Berliner Busfahrer, Türke mit deutschem Pass und Vorsitzender des ver.di-Bundesmigrationsausschusses. Den Auftritt fand Erdogan klasse: "Das war typisch Aldo, spontan und aktiv. Er hat Ideen, er traut sich was - und hat uns sogar zum Singen gebracht! Das war nicht leicht."

Die beiden Männer kennen sich durch ver.di, auch Aldo ist im Bundesmigrationsausschuss. Er will die Gewerkschaft bunt haben und gerade unter Einwanderern für ver.di werben. Schließlich leben in Leipzig Menschen aus 160 Ländern. ver.di sollte aktiver auf sie zugehen, meint er, sie einladen. Viele brauchten Beratung. Manche könnten den Mitgliedsbeitrag nicht bezahlen, "aber sie gehören eigentlich zu uns". Deshalb hat er sich gerade für ein Projekt zur Mitgliedergewinnung in Sachsen gemeldet.

Solidarität, mehr als ein Wort

Aldos Vater war Indio, stammte aus einer Bauernfamilie in der peruanischen Provinz. Er schaffte es, Ingenieur zu werden und an der Universität zu lehren. "Er war nach seinem Abschluss der jüngste Ingenieur Perus", sagt sein Sohn und ist heute noch stolz auf den Vater. "Er hat immer von Solidarität gesprochen", sagt er. "Und nicht nur gesprochen. Er hat an vielen Wochenenden mitgeholfen, Kanäle für ein kleines Dorf zu bauen, ohne Geld dafür zu nehmen." Vom Vater habe er gelernt, andere Menschen zu respektieren. Gitarre habe sein Vater auch sehr gut gespielt, fügt Aldo hinzu. "Das alles hat mich geprägt." Wie die katholische Schule, an der sein Philosophielehrer mit den Schülern über Sokrates und Kant diskutierte und ihnen beibrachte, vor anderen eine Meinung zu vertreten. "Er war Kommunist", sagt Aldo. "Das war gefährlich. Uns haben auch Männer unterrichtet, die im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hatten. Eine gute Schule."

"Man muss die alten Tatrazüge anders fahren, sensibler. Immer einen klaren Kopf bewahren - und vorausschauen muss man sowieso."

Nach dem Abschluss wollte Aldo in Lima studieren. Um Geld zum Leben zu haben, jobbte er bei einem Busunternehmen. Bei den Chauffeuren der klapprigen Greyhound-Busse durfte er manchmal auf Überlandtouren mitfahren. "Das war lehrreich. Sie steckten voller Geschichten über das Land. Ich bereue nur, dass ich mir damals nicht alles notiert habe." Auf den Touren hatte Aldo häufig Kontakt zu Reisenden aus Europa, auch zu Entwicklungshelfern aus Deutschland. Die sagten ihm: "Wenn du mal nach Deutschland kommst, brauchst du nur anzurufen. Wir sind für dich da."

Er besuchte sie tatsächlich in Bayern - und blieb. Lernte Deutsch, begann ein Informatik-Studium und machte Musik, was besser lief als die Seminare an der Uni. "Ich hab's einfach nicht geschafft. Mathe auf hohem Niveau - und dann noch auf Deutsch... Nach dem Vordiplom bin ich durchgefallen." An der Fachhochschule in Regensburg versuchte er es 1987 noch einmal. Lernte "wie ein Blöder. Aber es half nichts."

Regensburg erwähnt er manchmal in Gesprächen, weil er dort zum ersten Mal in Deutschland feindselig behandelt wurde. Weil er anders aussah, anders sprach, anders war als die deutschen Studenten. Als er sich Kommilitonen auf dem Weg in die Mensa anschließen wollte, fragte man ihn: "Was willst du denn? Mit uns essen gehen? Das willst du vielleicht. Wir nicht." Ein Erlebnis, das Aldo nicht aus dem Kopf geht.

Mit der Wende nach Sachsen

Er machte weiter Musik, diesmal in einem griechischen Restaurant. Bayern verließ er schließlich Anfang der 90er Jahre, der Liebe wegen. Die Mauer war gefallen, die deutsch-deutsche Grenze weg, und er hatte eine Leipzigerin getroffen. Ihr folgte er nach Sachsen, wo er nun wohl bleiben wird. Auch wenn er inzwischen geschieden ist. "Vielleicht bemühe ich mich sogar noch um die deutsche Staatsbürgerschaft", sagt er. Wenn er das tut, dann hat Leipzig, die Stadt mit ihrem Bezug zur Musik, mit Bach und der Nikolaikirche, daran Anteil. Auf dem ersten Kirchentag nach der Wende spielte Aldo im Kirchentagsnachtcafé der Stadt und erzählte die Geschichten seiner Lieder. Musik war immer mehr als ein Nebenjob für ihn. Er habe viel Respekt vor ihr, sagt er. "Musik ist eine große Aufgabe." An dem Leipziger Projekt "Notenspur" hat er mitgearbeitet, das Einheimische und Besucher durch Leipzig führt, auf vielen Wegen zu den musikalischen Bezugspunkten der Stadt. An manchen, wie dem Gewandhaus, fährt er manchmal mit der Straßenbahn vorbei.

Das ist kein leichter Job, im Schichtbetrieb, unter Zeitdruck, mit Baustellen an der Strecke und manchmal mit Fahrgästen, die ihm nicht recht sind. "Nazis." Er nennt die Dinge beim Namen. Er hat erlebt, wie eine Gruppe einstieg und "Ausländer raus" rief. Wie Migranten in der Straßenbahn geschlagen wurden. Damals fuhr er die Bahn noch nicht selbst, zu der Zeit hatte er eine ABM-Stelle als "mobile Servicekraft" bei den Verkehrsbetrieben. Als er seinem Chef von den Vorfällen berichtete, erwiderte der nur: "Das kann nicht sein." Aldos Antwort war deutlich: "Sie fahren nicht Straßenbahn, deshalb erleben Sie das nicht mit. Ich schon."

Er lenkt alle drei Bahntypen, die in Leipzig noch unterwegs sind, auch die alten Tatrazüge. Die seien gut für den Winter, wenn Schnee liegt, sagt er. "Man muss sie anders fahren, sensibler. Immer einen klaren Kopf bewahren - und vorausschauen muss man sowieso."

Aldo Castillo Ledesma wurde 1953 in Peru geboren, absolvierte eine katholische Schule und arbeitete danach in der Landvermessung. Anfang der 80er Jahre reiste er nach Leipzig und Ostberlin und besuchte Freunde in Bayern, wo er blieb, um dort zu studieren. Deutsch lernte er an der Universität in Erlangen.

1981 bis 1986 spielte er in einer Gruppe mit Musikern aus Peru, Bolivien und Mexiko, danach trat er als Solist auf. Aldo spielt Panflöte und Gitarre. Er begann ein Studium der Informatik, das er aber abbrach, und zog 1991 nach Leipzig. Dort arbeitete er im Verein "Felsenblume" mit, der Migrant/innen und Asylsuchende beraten hat. Es folgten Praktika, eine Fortbildung zum IT-Kaufmann und verschiedene ABM-Stellen, u. a. bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. 2009 ließ der Peruaner sich zum Straßenbahnfahrer ausbilden, seitdem fährt er auf verschiedenen Linien durch Leipzig.

Gewerkschaftsmitglied ist Aldo seit dem Jahr 2000, er arbeitet bei ver.di u. a. im Bundesmigrationsausschuss mit. Er hat eine erwachsene Tochter und ist geschieden.

"Man muss die alten Tatrazüge anders fahren, sensibler. Immer einen klaren Kopf bewahren - und vorausschauen muss man sowieso."

Aldo Castillo Ledesma wurde 1953 in Peru geboren, absolvierte eine katholische Schule und arbeitete danach in der Landvermessung. Anfang der 80er Jahre reiste er nach Leipzig und Ostberlin und besuchte Freunde in Bayern, wo er blieb, um dort zu studieren. Deutsch lernte er an der Universität in Erlangen.

1981 bis 1986 spielte er in einer Gruppe mit Musikern aus Peru, Bolivien und Mexiko, danach trat er als Solist auf. Aldo spielt Panflöte und Gitarre. Er begann ein Studium der Informatik, das er aber abbrach, und zog 1991 nach Leipzig. Dort arbeitete er im Verein "Felsenblume" mit, der Migrant/innen und Asylsuchende beraten hat. Es folgten Praktika, eine Fortbildung zum IT-Kaufmann und verschiedene ABM-Stellen, u. a. bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. 2009 ließ der Peruaner sich zum Straßenbahnfahrer ausbilden, seitdem fährt er auf verschiedenen Linien durch Leipzig.

Gewerkschaftsmitglied ist Aldo seit dem Jahr 2000, er arbeitet bei ver.di u. a. im Bundesmigrationsausschuss mit. Er hat eine erwachsene Tochter und ist geschieden.