Von Silke Leuckfeld

Am liebsten würde ich alle Jugendlichen in einer betrieblichen Ausbildung sehen", sagte Dilek Kolat (SPD), Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin, im Herbst auf einer ver.di-Diskussionsveranstaltung zur Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Während im bundesweiten Durchschnitt die Jugendarbeitslosigkeit bei jungen Leuten zwischen 15 und 25 im September acht Prozent betrug, sieht die Situation in Berlin wesentlich schlechter aus. Im Oktober 2012 lag sie bei 12,9 Prozent - damit ist die Hauptstadt das Schlusslicht aller Bundesländer. Diese Zahlen erfassen alle Jugendlichen, mit und ohne Migrationshintergrund. Fehlende Ausbildungsplätze und doppelte Abiturjahrgänge tragen zum Problem bei. Hinzu kommt, dass viele junge Leute schon seit mehreren Jahren vergeblich einen Ausbildungsplatz suchen und immer noch keine Stelle gefunden haben. Die Konkurrenz ist daher groß, und junge Migrant/innen haben häufig schlechtere Chancen.

Was heißt eigentlich Migrationshintergrund?

Nach dem Datenreport 2012 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) werden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem erheblich benachteiligt. Das führe dazu, dass sie beim Verlassen der allgemeinbildenden Schule viel häufiger als Schulabgänger ohne Migrationshintergrund nur einen Hauptschulabschluss haben oder gar keinen Abschluss vorweisen können. Damit sind ihre Chancen auf eine Berufsausbildung ungünstiger als bei denen mit Schulabschluss.

Das BIBB hat dabei mit seiner Definition genau festgelegt, wer gemeint ist, wenn der sperrige Begriff "Migrationshintergrund" ins Spiel kommt, und um wen es nicht geht: Jemand, der - oder die - in Deutschland geboren wurde, ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und Deutsch als Muttersprache gelernt hat, ist Deutsche/r ohne Migrationshintergrund. Bei allen anderen wird von einem "Migrationshintergrund" ausgegangen.

Eine Bewerberbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung im Jahr 2010 ergab folgenden Unterschied: Nur 24 Prozent der jungen Migrant/innen mit Hauptschulabschluss bundesweit wechseln nach der Schule sofort in eine betriebliche Ausbildung. Haben sie den mittleren Schulabschluss, sind es aber auch nur 29 Prozent, also bloß fünf Prozent mehr. Bei jungen Leuten ohne Migrationshintergrund liegen die Zahlen hingegen bei 28 und 48 Prozent. Der mittlere Schulabschluss nutzt ihnen also weitaus mehr auf ihrem Weg ins Berufsleben.

Bei Bewerber/innen mit türkisch-arabischem Hintergrund ließ sich überhaupt kein Vorteil durch den mittleren Schulabschluss erkennen: Den Übergang in die Berufsausbildung schafften nur 20 Prozent von ihnen - ebenso wenige wie in der Gruppe mit Hauptschulabschluss. Selbst wenn diese Bewerber/innen die Fachhochschul- oder Hochschulreife vorweisen konnten, blieben ihre Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz mit 26 Prozent vergleichsweise gering.

Das sind Zahlen, die auch Senatorin Dilek Kolat alarmieren. Sie sagt: "Es wird gefährlich, wenn Jugendliche jetzt resignieren und meinen: Ich brauche mich nicht anzustrengen; mich nimmt ja doch keiner, egal mit welchem Abschluss."

Interkulturell im öffentlichen Dienst

"Es wird gefährlich, wenn Jugendliche jetzt resignieren und meinen: Ich brauche mich nicht anzustrengen; mich nimmt ja doch keiner, egal mit welchem Abschluss."

Mit dem Programm "Berlin Arbeit" will Kolat unter anderem Jugendliche mit Migrationshintergrund fördern. Rund 27 Prozent von ihnen würden im ersten Jahr die Ausbildung abbrechen. Um sie gerade in den ersten Monaten der Ausbildung zu unterstützen, sollen sie Mentor/innen erhalten.

Ein weiteres Ziel von "Berlin Arbeit" ist, den Anteil der Migrant/innen unter den Auszubildenden im öffentlichen Dienst und in Unternehmen, an denen das Land Berlin mehrheitlich beteiligt ist, bis 2015 zu erhöhen: von derzeit 17,5 Prozent auf rund 25 Prozent. "Das Land Berlin bildet in 69 verschiedenen Berufen aus, fast überall sind auch Migranten vertreten", sagt Ines Rohde, Vorsitzende der Haupt-Jugend- und Auszubildendenvertretung (HJAV) des Landes Berlin. Mit der Imagekampagne "Berlin braucht Dich" werbe der öffentliche Dienst gezielt um junge Migrant/innen. "Aber die Amtssprache ist Deutsch", betont Ines Rohde. "Gefragt ist vor allem die interkulturelle Kompetenz der Bewerber." Es sei von Vorteil, wenn Beschäftigte im öffentlichen Dienst die kulturellen Besonderhei-ten von Migrant/innen aufgrund ihres eigenen kulturellen Hintergrunds kennen würden. Das würde den Umgang miteinander erleichtern. Ines Rohdes Fazit: "Migrantinnen und Migranten werden also gerade in den Rathäusern gebraucht."

Schule für interkulturelle berufliche Bildung "Paulo Freire":

www.migrationsdienste.org/angebote/qualifizierung/gesundheit.html

www.pflege-lernen.org

Programm der Berliner Feuerwehr:

www.einsatz-berlin.de

Programm des Landes Berlin:

www.berlin-braucht-dich.de

Ausbildungsportal der Deutschen Telekom:

www.telekom.com/karriere/Schueler/ausbildungsplaetze/38608

Nach der Ausbildung will Lisa vielleicht noch studieren

Ausbildung bei der Deutschen

Telekom Technik ist spannend

Lisa Thiele-Wiegmann lernt Systemelektronikerin bei der Telekom. "Momentan bin ich im Außendienst in Berlin-Schöneweide und dort für die Leitungen vom Hauptverteiler bis zum Haus zuständig", erzählt sie. Systemelektroniker installieren auch Router und Telefongeräte bei Geschäftskunden. Sie sorgen, kurz gesagt, dafür, dass der Kunde telefonieren kann.

Lisa hat einen Teil ihrer Kindheit in den Vereinigten Staaten verbracht. Sie ist dort geboren, weil ihre Familie zeitweise in den USA lebte, und hat einen US-amerikanischen Pass.

Ein Freund hatte ihr von der Ausbildung bei der Telekom erzählt. Sie fand den Beruf interessant, ihr gefiel die Idee, als Frau einen technischen Beruf zu erlernen. "Es waren auch noch Ausbildungsplätze frei, und ich habe mich beworben", sagt sie. Sie sei nicht benachteiligt, aber auch nicht bevorzugt worden, weil sie keine deutsche Staatsbürgerin ist. "Es wird deshalb niemand diskriminiert bei der Telekom", betont sie. Das sei auch, fügt sie hinzu, ein Verdienst der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV). JAV-Vertreter/innen sind bei Bewerbungsgesprächen mit künftigen Auszubildenden immer dabei.

"Die Ausbildung bei der Telekom ist sehr abwechslungsreich. Wenn ich zu einem Thema mehr wissen möchte, kann ich einen Tag oder eine Woche im Ausbildungszentrum verbringen", erklärt Lisa. Dort kann sie sich weiterbilden, um immer auf dem aktuellen Stand der Technik zu sein.

Ihre dreijährige Ausbildung hat sie im September 2011 begonnen, sie will die Zeit auf zweieinhalb Jahre verkürzen und wird dadurch vermutlich schon im März oder April nächsten Jahres fertig sein. Und dann kommt ein Problem auf sie zu: Die Übernahmequote ist bei der Telekom sehr gering. Deshalb will Lisa nach ihrer Ausbildung wahrscheinlich noch IT studieren - dafür ist der Beruf der Systemelektronikerin eine gute Grundlage. sil


In so einem Büro kann Jale sich ihre berufliche Zukunft vorstellen

Ausbildung im Rathaus

Meine Amtssprache ist Deutsch

Jale Aĝaç lernt Verwaltungsfachangestellte im Berliner Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Sie hatte sich schriftlich um einen Ausbildungsplatz beworben und gehofft, dass es klappt. Dutzende Tests brauchte sie nicht zu bestehen, denn elf Berliner Bezirksämter und die Senatsverwaltungen haben die Bewerber/innen im Jahr 2010 zentral geprüft. So musste sie nur noch einen zweiten Test absolvieren, um auch beim zwölften Bezirksamt noch in die Auswahl zu kommen. Es lief gut; sie konnte schließlich zwischen drei Bezirksämtern wählen und selbst entscheiden, in welchem der drei sie ihre Ausbildung absolvieren wollte.

"In meinem Lebenslauf stand, dass ich türkische Staatsangehörige bin", sagt Jale Aĝaç. "Das war kein Problem." Am öffentlichen Dienst schätzt sie die Aufstiegsmöglichkeiten, die sie nutzen will, aber auch, dass die Arbeitsbedingungen klar geregelt sind. Und sie macht die Erfahrung, dass die Ausbildung sehr gut läuft. "Es gibt noch viele Vorurteile gegenüber den Behörden. Es heißt immer wieder, sie seien rassistisch." Doch dem widerspricht sie energisch: "Das ist nicht der Fall."

Als Auszubildende wechselt sie alle paar Monate den Arbeitsplatz, momentan ist sie in der Ausländerbehörde eingesetzt, genau gesagt, in der Abteilung, die für die türkischen Staatsangehörigen zuständig ist. "Ich beantworte ihre Fragen, erkläre zum Beispiel, welche Unterlagen für eine Aufenthaltsgenehmigung gebraucht werden", sagt Jale. Auch wenn sie in ihrer Dienststelle mit türkischen Migrant/innen zu tun hat, spricht sie Deutsch mit ihnen. Nicht nur, weil es Vorschrift ist, sondern weil sie es richtig findet. "Die deutschen Kollegen können sonst nicht verstehen, was ich sage", erklärt sie. Das sei aber wichtig, falls es im Nachhinein zu Beschwerden kommen sollte. Dann müsse es Zeugen geben.

Wenn Jale im August des nächsten Jahres ihre Ausbildung beendet hat, möchte sie gern in einem Bereich mit viel Publikumsverkehr arbeiten und in ihrem Beruf Menschen verschiedenster Herkunft begegnen. Dass sie im öffentlichen Dienst bleiben will, ist für sie selbstverständlich. sil


Ausbildung bei der Feuerwehr

Als Feuerwehrmann Leben retten

Taylan Baykara ist in der Feuerwehrgrundausbildung an der Feuerwehrakademie Schulzendorf im Land Brandenburg. Eigentlich hätte der 19-Jährige eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen müssen, um dort angenommen zu werden. Doch über einen 18 Monate dauernden Lehrgang des Gemeinschaftsprojekts "Einsatz Berlin" der Berliner Feuerwehr, der Berliner Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit mbH und der Handwerkskammer Berlin konnte er sich auch ohne Abschluss für die Feuerwehrakademie qualifizieren. Damit hatte er schon mal sein ernsthaftes Interesse und Durchhaltevermögen bewiesen.

Zielgruppe des Projekts "Einsatz Berlin" sind alle Jugendlichen mit mittlerem Bildungsabschluss, mit und ohne Migrationshintergrund, wobei sich junge Leute aus Migrantenfamilien besonders angesprochen fühlen sollen. "Bei diesem Beruf ist es meiner Meinung nach auch besonders wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund dabei sind", sagt Taylan Baykara. "Im Einsatz kann es ja schließlich ein großer Vorteil sein, wenn Kollegen da sind, die zusätzlich noch eine andere Sprache sprechen und die Mentalität der Menschen kennen, die sie retten sollen."

"Im Einsatz kann es ein großer Vorteil sein, wenn Kollegen da sind, die zusätzlich noch eine andere Sprache sprechen und die Mentalität der Menschen kennen, die sie retten sollen."

Taylan Baykara

Nachdem Taylan Baykara die eineinhalb Jahre im Projekt "Einsatz Berlin" absolviert hatte, bewarb er sich um einen Ausbildungsplatz bei der Berliner Feuerwehr. Nach mehreren Eignungstests wurde er schließlich genommen. Im September nächsten Jahres wird er seine zweijährige Ausbildung zum Brandmeister voraussichtlich beenden. Berufsfeuerwehrmann ist sein Traumberuf. "Die Ausbildung macht mir sehr viel Spaß", sagt er. Und nein, er hatte bei seiner Bewerbung und auf dem Weg zur Feuerwehrakademie nicht das Gefühl, wegen seiner türkischen Wurzeln benachteiligt zu werden. Sein Appell an junge Migranten ist deshalb ganz eindringlich: "Bewerbt Euch, vielleicht sogar hier, denn es ist einer der besten Berufe, die es gibt! Strengt Euch an, Ihr werdet genauso bewertet wie alle anderen. Es liegt an Euch." sil

"Es wird gefährlich, wenn Jugendliche jetzt resignieren und meinen: Ich brauche mich nicht anzustrengen; mich nimmt ja doch keiner, egal mit welchem Abschluss."

Schule für interkulturelle berufliche Bildung "Paulo Freire":

www.migrationsdienste.org/angebote/qualifizierung/gesundheit.html

www.pflege-lernen.org

Programm der Berliner Feuerwehr:

www.einsatz-berlin.de

Programm des Landes Berlin:

www.berlin-braucht-dich.de

Ausbildungsportal der Deutschen Telekom:

www.telekom.com/karriere/Schueler/ausbildungsplaetze/38608

"Im Einsatz kann es ein großer Vorteil sein, wenn Kollegen da sind, die zusätzlich noch eine andere Sprache sprechen und die Mentalität der Menschen kennen, die sie retten sollen."

Taylan Baykara