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Die Chancen stehen schlecht in Spanien, Italien und anderen Ländern, gerade für junge Leute. Immer mehr Europäer/innen wandern deshalb nach Deutschland aus. Sie hoffen hier auf eine sichere Zukunft

Eros Avena 2012 in Berlin. Unten: Italiener 1970 auf dem Weg in den Heimaturlaub. Griechinnen am Band in einer deutschen Fabrik (1963)

Von Susanne Kailitz

Manchmal ärgert sich Eros Avena über das Bild, das viele Deutsche von seinen Landsleuten haben. "Es heißt immer, wir jungen Italiener seien schreckliche Muttersöhnchen, weil viele von uns lange bei ihren Eltern leben. Aber wie soll man bei einem Verdienst von weniger als 1000 Euro eine Miete von mehr als 500 Euro in Städten wie Turin zahlen?"

Eros Avena selbst lebt seit gut zwei Jahren weit weg von seiner Familie. Er gehört zu den vielen jungen Südeuropäern, die, frustriert von den Auswirkungen der Euro-Krise und ohne Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz, ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben und jetzt in Deutschland auf ein besseres Leben hoffen. Um 24 Prozent ist die Zahl der Zuwanderer aus EU-Ländern in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres gestiegen, auf 306.000. So kamen aus Spanien, Griechenland und Portugal insgesamt rund 32.700 Menschen - 64,4 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des vorigen Jahres.

Für eine faire Chance

Ausschlaggebend ist für viele dabei nicht das Geld, das sie zum Leben brauchen, sondern vielmehr die Hoffnung, in Deutschland - anders als daheim - eine faire Chance zu bekommen. Eros Avena hätte in Italien ziemlich sicher wenigstens irgendeinen Job gefunden. "Ich wollte nach dem Studium aber noch promovieren. Weil ich jedoch aus einer ganz einfachen Arbeiterfamilie komme, hatte ich einfach kein Vitamin B. Das braucht man in Italien aber in fast jedem Lebensbereich." Als man dem Ethnologen das Angebot machte, seine Dissertation an einer Berliner Universität zu schreiben, griff Avena also zu. Jetzt forscht er über den Zugang von Asylbewerbern zum deutschen Gesundheitssystem.

Über den Europäischen Freiwilligendienst arbeitete Avena außerdem zunächst in einem Kinderhospiz, inzwischen hat er eine Stelle als Honorarkraft in einer Köpenicker Jugendeinrichtung gefunden. In Leipzig, seiner neuen Heimatstadt, engagiert er sich außerdem in der Deutsch-Italienischen Gesellschaft: In dem Projekt "Giocantando Italiano" singt er mit Kindern und bringt ihnen auf diesem Wege die italienische Sprache und sein Heimatland nahe. Die vielen Projekte, das gibt er lächelnd zu, machten sein Leben "manchmal etwas chaotisch" - und ihn auch ganz sicher nicht reich. Er ist aber überzeugt davon, "dass es gut ist, wenn man sich engagiert". Es ist selbstverständlich für den 31-Jährigen, dem Land, in das er eingewandert ist und in dem er eine Chance bekommt, auch etwas zurückzugeben.

An manches in Deutschland hat er sich aber bis heute nicht gewöhnt. Etwa daran, "dass man total fixiert ist auf einen bestimmten Abschluss und es gar keine Rolle spielt, ob der Bewerber vielleicht schon viel Erfahrung in dem Bereich hat". Das versteht er nicht, doch insgesamt hat er das Gefühl, hier viel freier zu sein als in Italien. "Die politische Entwicklung dort hat mich krank gemacht. Es frustriert mich, dass die Jugendlichen dort überhaupt keine Zukunft mehr haben. Für mich gab es durch das Bafög in Italien und verschiedene Förderprogramme wenigstens noch die Möglichkeit zu studieren. Aber die Leute, die jetzt 20 sind, werden das nicht mehr haben."

Und wo finde ich ver.di?

Auch Sonja Marko, die in der ver.di-Bundesverwaltung für das Thema Migration zuständig ist, hat beobachtet, dass es nicht immer pure Not und Armut sind, die die Migrant/innen aus den EU-Staaten treiben. "Viele von ihnen sehen den europäischen Arbeitsmarkt als enorme Chance, ihr Leben zu gestalten. Im Ausland Arbeit suchen und finden zu können, ist für sie auch ein Stück Normalität." Als normal empfinde auch ver.di diese Entwicklung: "Das entspricht einfach unseren Beschlüssen, überhaupt unserer Politik." Dennoch bleibe für die Gewerkschaften noch viel zu tun, um für diese Migrant/innen zum Ansprechpartner zu werden und sie vielleicht als Mitglieder zu gewinnen. Viele wüssten nichts vom Beratungsangebot der Gewerkschaft, bislang beschränkten sich die mehrsprachigen Informationen auch im Wesentlichen auf Übersetzungen ins Russische und Türkische.

Auch Eros Avena hatte bislang keine Ahnung, wo er mit den deutschen Gewerkschaften in Kontakt treten könnte. "Ich finde diese Interessenvertretung eigentlich sehr wichtig, auch wenn sie leider nicht mehr so stark ist wie noch in den 80er Jahren. Aber seit ich in Deutschland lebe, habe ich noch keine Werbung und kein einziges Plakat von ihnen gesehen." Dabei glaube er sicher, dass ver.di und andere Gewerkschaften den Migranten gute Tipps geben und ihnen so helfen könnten, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. "Aber ich habe das Gefühl, dass der Zugang zu ihnen noch sehr verschlossen ist."

http://migration.verdi.de

Seite M2 Kommentar: Solidarität über Grenzen