Ein Gespräch mit der Band Deichkind über den Zwang zur Selbstoptimierung, gekündigte Fans auf Facebook und die Kraft karnevalistischer Bühnenshows

Mit dem Album Befehl von ganz unten konnte Deichkind seinen bislang größten Charterfolg feiern. Das fünfte Studioalbum der Hamburger Elektropunk und Hip Hop Band kletterte in kurzer Zeit bis auf Platz 2. Doch in der gleichen Hochgeschwindigkeit, in dem der Titel Leider geil in die Umgangssprache überging, knallten bei einem Arbeitgeber wegen des Deichkinds-Songs Bück dich hoch alle Sicherungen durch. Im Mai 2012 postete ein Beschäftigter aus dem Kreis Herford den Song auf seiner Facebook-Seite und schrieb dazu: "Hm, mal überlegen. Wieso gefällt mir ausgerechnet das Lied von Deichkind, my friends." Und erhielt postwendend die fristlose Kündigung. Begründung seines Arbeitgebers: Die besungenen Arbeitsbedingungen ("Halt die Deadline ein, so ist's fein! Hol‘ die Ellenbogen raus, burn dich aus!") würden mit denen gleichgesetzt, die im Betrieb herrschen. Wir haben mit La Perla, auch bekannt als DJ Phono, und Björn Beneditz von Deichkind kurz vor dem letzten Konzert ihrer Befehl von ganz unten-Tour in Dresden gesprochen.

ver.di PUBLIK | Wie habt ihr reagiert, als ihr von der Kündigung in Herford erfahren habt? Es scheint ja, dass Bück dich hoch dadurch zur Anti-Hymne auf die moderne Arbeitswelt geworden ist.

La Perla | Wir hatten aus der Zeitung davon erfahren, und es ist schon ein dicker Hund, dass ein Arbeitgeber jemanden wegen des Postens eines Songs kündigt. Anstatt einen ironischen Umgang mit sich selbst zu pflegen und Kritik zuzulassen, wird der Arbeitnehmer gefeuert. Absolut unreif. Woran lag der Frust bei dem Angestellten denn wohl? Vielleicht an den Arbeitsbedingungen?

ver.di PUBLIK | Bück dich hoch scheint ganz gut die derzeitige Stimmung aufzugreifen. Vor ein paar Jahrzehnten traf das noch auf Ich will nicht werden, was mein Alter ist von Ton Steine Scherben zu, das 1983 von Slime gecovert wurde. Aber heute auch auf Arbeit nervt von euch. Kann man mit der heutigen Arbeitswelt nur noch ironisch umgehen?

Björn | Der Song ist natürlich eine Reaktion auf die Veränderung des Arbeiterbilds, in dem der Zwang zur Selbstoptimierung immer wichtiger wird. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, dass die Notwendigkeit, kreativ sein zu müssen, schon lange kein Markenzeichen nur des Künstlers ist, sondern alle Berufe erfasst - seien es Bankangestellte oder Ingenieure. Für mich ist der Song eine Kritik an der "Arbeit ist Religion"-Haltung, die um sich greift.

La Perla | Arbeit nervt entstand aus der eigenen Genervtheit heraus, immer produktiv sein zu müssen. Auch wenn unsere Arbeit, wie etwa solche Bühnenshows auf die Beine zu stellen, kaum vergleichbar ist mit den Jobs der meisten anderen. Der ironische Grundton von Bück dich hoch ist eher eine karnevalistische Form, auf den Zeitgeist zu reagieren, überspitzt und überzeichnet. Dieser Kultur des sich bedingungslosen Aufopferns halten wir den Spiegel vor. Auf der anderen Seite gibt es die Entwicklung, dass sogar schon junge Beschäftigte bei Einstellungsgesprächen nach der Work-Life-Balance im Job fragen. Und das finde ich richtig.

Björn | Das nennt man dann wohl den Wohlfühl-Index, den es jetzt in manchen Unternehmen geben soll.

ver.di PUBLIK | Unternehmer seid ihr auch. Aber ihr seid bei dem ganzen Thema der illegalen Downloads ziemlich locker und liefert den Freunden der Produktpiraterie mit Illegale Fans sogar noch eine Partyhymne. Hättet ihr überhaupt eine andere Wahl? Denn sich darüber zu beschweren, passt ja nicht so richtig zu Deichkind, oder?

La Perla | Selbstverständlich ist es für einen Künstler wichtig, um seinen Wert zu wissen. So gleichgültig stehen wir dem Thema dementsprechend nicht gegenüber. Aber etwas anderes ist es, wie man diesen Wert einfordert. Und die restriktive Variante ist nicht die unsrige. Wir versuchen vielmehr, über die Auftritte Energie auszustrahlen und Interesse für uns zu wecken. Und unsere Lust auf den Moment des Konzerts trifft aktuell auf viel Gegenliebe. So können wir von dem, was wir machen, ganz gut leben und haben mehr finanzielle Möglichkeiten, um uns noch komplexere Ideen für die nächsten Konzerte auszudenken.

Björn | Was ich an der Download-Kultur problematisch finde, ist, dass sie sich so auf das Netz fixiert, aber nicht die Grenzen antastet, die uns ansonsten durch die kapitalistische Logik gesetzt werden. Es ist wichtig, die Marktlogik nicht nur in punkto Zugang zu Kultur und Informationen in Frage zu stellen, sondern auch beispielsweise beim Thema Wohnen. Letztlich geht es doch um Teilhabe, und um die zu sichern, müssten gemeinschaftliche Güter in vielen Bereichen gestärkt werden.

ver.di PUBLIK | Und wie haltet ihr es mit der Teilnahme von Frauen? Ihr seid ja eine reine, gemein gesagt, Boyband und eure Performance wirkt sehr jungslastig.

La Perla | Männlichkeit oder die Auseinandersetzung damit ist, auch wenn bei uns keine Frau mitmacht, schon ein wichtiges Thema für uns. Deichkind ist ja keine auf Dauer gestellte Kumpelsauftour.

Björn | Die Botschaft verstehen die Leute auch, die zu unseren Konzerten kommen. Selbst bei solchen prolligen Songs wie Hört ihr die Signale mit Hooklines wie "Kein Gott, kein Staat, lieber was zu saufen!" singen nicht nur die Typen mit. Das Publikum ist eh eher ein "weiches", der Frauen-Männer-Anteil ist ziemlich ausgeglichen. Wäre ja auch schlimm, wenn es anders wäre.

ver.di PUBLIK | Und was heißt das für die Zukunft von Deichkind?

La Perla | Wir werden dieses Jahr sicherlich mit der Arbeit zu einem neuen Album anfangen und unsere Forschung auf bestimmte Themen richten. Aber jetzt wird erst mal gechillt.

Interview: Romin Khan

"Der ironische Grundton von Bück dich hoch ist eher eine karnevalistische Form, auf den Zeitgeist zu reagieren, überspitzt und überzeichnet. Dieser Kultur des sich bedingungslosen Aufopferns halten wir den Spiegel vor."