Ausgabe 03/2013
Roulette mit Kaisers Schleusen
Reparatur im Frühjahr: In Brunsbüttel wird an der Schleuse Schlick abgesaugt
von Eckhard Stengel
Hausbesitzer kennen das Problem: Wenn ständig die Heizung ausfällt, stellt sich irgendwann die Frage, was günstiger ist: die Anlage mal wieder reparieren - oder eine neue anzuschaffen. So ähnlich ist das mit Staatsbesitz. Wenn Kitas, Kliniken und Kanäle zunehmend verfallen, kommen wiederholte Notreparaturen womöglich teurer als eine Grundsanierung. Ganz abgesehen vom Schaden für die Allgemeinheit, wenn einsturzgefährdete Turnhallen geschlossen oder Brücken für schwere Lkw gesperrt werden müssen.
Ein typisches Beispiel ist der Nord-Ostsee-Kanal (NOK). Die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt mit 35.000 Schiffspassagen pro Jahr stammt von 1895 - und so sieht sie teilweise auch aus. Die jeweils vier Schleusenkammern an den beiden NOK-Enden sind Relikte aus der Kaiserzeit, die immer wieder repariert werden müssen. Eine kleinere Kammer in Kiel-Holtenau ist schon seit Jahren dicht.
Im März waren wegen dringender Reparaturen die beiden großen Schleusenkammern in Brunsbüttel für acht Tage gesperrt, so dass Schiffe mit mehr als 125 Metern Länge einen bis zu 960 Kilometer langen Umweg um Dänemarks Nordspitze machen mussten. Neben Landespolitikern und Wirtschaftsvertretern ärgern sich auch Gewerkschafter über solche Folgen des Sanierungsstaus.
"Das ist ein nicht zumutbares Roulettespiel: Gehen die Schleusen, oder gehen sie nicht?", klagt der Personalratsvorsitzende im Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Kiel-Holtenau, Mathias Stein. Die Transportwirtschaft müsse sich darauf verlassen können, "dass so ein Vollausfall nie wieder passiert". Sonst würde womöglich manch Containerschiffslinie einen Bogen um Hamburg machen. Immerhin ein Drittel des dortigen Hafenumschlags, so hieß es im April auf der Jahreskonferenz der norddeutschen Ministerpräsidenten in Bremen, erreiche bisher über den NOK den Ostseeraum.
Aber auch der Süden profitiert von der Abkürzung: "Es ist der Maschinenbauer in Baden-Württemberg, der den Kanal braucht für seinen Export", sagte Schleswig-Holsteins Regierungschef Torsten Albig, SPD, auf der 8. Nationalen Maritimen Konferenz in Kiel. Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, räumte auf der Kieler Konferenz ein: "Vieles hat sich über Jahrzehnte aufgestaut." Aber das solle sich allmählich ändern.
Was das konkret heißt, erläuterte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, CDU: Bis 2025 sollen 1,3 Milliarden Euro fließen, etwa für eine Vertiefung des östlichen Abschnitts und für den kürzlich ausgeschriebenen Bau einer zusätzlichen Schleusenkammer in Brunsbüttel.
WSA-Personalrat Stein fürchtet allerdings, dass die angekündigte Summe nicht reicht. "Das ist nicht seriös geschätzt, sondern das sind politische Zahlen."
Außerdem fehle bei den Wasser- und Schifffahrtsämtern in Kiel und Brunsbüttel das nötige Personal, um die Maßnahmen zu planen und zu begleiten. "In den siebziger Jahren waren wir zusammen 1700 Leute", sagt der Gewerkschafter. "Heute sind es nur noch 1000." Und Verkehrsminister Peter Ramsauer, CSU, will das Personal noch weiter ausdünnen. Zwar würden dann verstärkt externe Ingenieurbüros herangezogen, sagt Stein, aber die Abläufe würden sich dadurch verzögern und "extrem teurer" werden.
Ein Sanierungsfall von vielen
Dabei ist der NOK nur einer von vielen Sanierungsfällen. Für die 7350 Kilometer langen Bundeswasserstraßen, also für die großen Flüsse und Kanäle, gab der Bund 2011 insgesamt zwei Milliarden Euro aus, davon 600 Millionen für Um- und Neubauten. Laut Stein würde eigentlich eine weitere halbe Milliarde gebraucht. Doch sogar die vorhandenen Mittel würden nicht immer verbaut - wegen Personalmangels.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung schätzte schon 2009, dass für Verkehrsinvestitionen in Deutschland jährlich 60 bis 70 Milliarden Euro nötig wären; ausgegeben würden aber nur 17 Milliarden. Allein für den Erhalt der Verkehrswege, so berechnete eine von Länderverkehrsministern eingesetzte Kommission 2012, wären zusätzlich 7,2 Milliarden Euro pro Jahr fällig. Etwa für Eisenbahnbrücken: Jede dritte ist über hundert Jahre alt.
Um das Budget zu erhöhen, fordern SPD und Grüne zum Beispiel eine Ausweitung und Erhöhung der Lkw-Maut - bisher vergeblich. Weiter wachsen wird der öffentliche Sanierungsstau, wenn 2020 die "Schuldenbremse" greift. Dann hinterlässt der Staat den künftigen Generationen zwar kaum noch zusätzliche Schuldenberge, aber dafür umso mehr marode Kitas, Kliniken und Kanäle.