Die Gewerkschaften wollen jetzt dafür sorgen, dass Themen wie der gesetzliche Mindestlohn oder eine strengere Regulierung des Arbeitsmarktes bei den Koalitionsverhandlungen mit diskutiert werden

Ein klares Ergebnis hat die Bundestagswahl am 22. September gebracht: Die FDP wurde abgewählt. Es fanden sich nicht mehr genügend Wähler/innen, die bei der Partei der sozialen Kälte ihr Kreuz machen wollten. Hinzu kam eine peinlich anmutende Zweitstimmenkampagne, mit der die liberalen Parteioberen der CDU deren Wähler/innen abspenstig machen wollten. So wollten sie das Wahldebakel abwenden, das sich seit der Landtagswahl in Bayern abzeichnete - und mobilisierten damit wahrscheinlich weitere CDU-Sympathisant/innen und Unentschlossene.

Damit ist den Unionsparteien aber auch ihr Wunschkoalitionspartner abhanden gekommen. Doch wenn man eine Bilanz der vergangenen vier Regierungsjahre von Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, zieht, stellt man fest, dass sie nicht viel von dem umgesetzt hat, was sich die Partei damals vorgenommen hatte. Dagegen stand offensichtlich die Taktik der Kanzlerin, Regierungs- und Parteiprogrammatik schrittweise immer wieder an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen.

Geschadet hat ihr das in der Gunst der Wähler/innen nicht. Noch im September hatte sich bei einer Umfrage von Infratest dimap eine Mehrheit der Befragten für einen Regierungswechsel ausgesprochen. Allerdings wollte diese Mehrheit weiter von Angela Merkel regiert werden. Auch bei Gewerkschaftsmitgliedern konnte die Union 7,4 Prozent mehr Stimmen gewinnen als noch vor vier Jahren. Verliererinnen sind hier die FDP mit einem Minus von 6,7 und die Linkspartei mit einem Minus von 6,1 Prozent. Das hat eine Auswertung der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des DGB-Infodienstes Einblick ergeben.

Unterdessen hat die Suche nach möglichen Bündnispartnern begonnen. Die SPD zierte sich anfangs bei der Frage nach einer großen Koalition, Gespräche mit den Grünen lehnte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer ab. Doch es gäbe auch ohne die Union eine Mehrheit im Bundestag. SPD, Grüne und Linkspartei haben acht Stimmen Vorsprung. Diese rot-rot-grüne Konstellation könnte das Soziale wieder in den Mittelpunkt politischen Handelns rücken. Nur: Wahrscheinlich ist diese politische Konstellation nicht. Bisher lehnen SPD und Grüne sie ab, auch wenn der Verzicht auf diese Machtoption bei einem Vergleich der Wahlprogramme kaum zu begründen ist. Schon am Tag nach der Wahl mehrten sich die Stimmen in der SPD, die vor der Übernahme von Regierungsverantwortung nur als Juniorpartner der Union warnte.

Während die Suche nach möglichen politischen Bündnispartnern bei Redaktionsschluss weiterging, ist es für die Gewerkschaften wichtig, ihre politischen Forderungen in die Koalitionsverhandlungen einzubringen. "Nach diesem Wahlkampf muss jetzt Ernst gemacht werden mit dem gesetzlichen Mindestlohn, der erleichterten Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, mit einer Pflegepersonalverordnung und mit Regeln, wie die Versorgungssicherheit bei der Energiewende gewährleistet wird", forderte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Insbesondere für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns stehen die Chancen nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag gut. Überdies muss der zunehmend prekarisierte Arbeitsmarkt endlich so reguliert werden, dass Vollzeitarbeit wieder zum Leben reicht und ausreichend Sicherheit bietet. Auch das hat eine Umfrage von Infratest dimap gezeigt: Angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen sowie eine gute Absicherung im Alter waren für die Befragten wichtige Themen bei der Bundestagswahl.

Fast übersehen wird bei der Analyse die anhaltend geringe Wahlbeteiligung. Sie lag mit 70,6 Prozent - ungültige Stimmen abgezogen - gerade einmal um 0,8 Prozent höher als vor vier Jahren. Schaut man auf die Lager, zeigt sich, dass die Wählerschaft in Deutschland nahezu dreigeteilt ist. Neben einem Drittel Nichtwähler/innen hat ein weiteres Drittel für Rot-Rot-Grün gestimmt. Das verbleibende Drittel ist dem bürgerlich-konservativen Lager zuzurechnen, zu dem CDU/CSU, FDP und die populistische Allianz für Deutschland (AfD) zählen. Letztere ist wie die FDP knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Freie und gleiche Wahlen sind ein - hart und lang erkämpftes - zentrales Grundrecht in einer repräsentativen Demokratie. In welchem Umfang es wahrgenommen wird, ist ein Maßstab dafür, wie die Bürger/innen diese Demokratie und ihre Repräsentant/innen akzeptieren und hinter ihnen stehen.