Mehr als 500 Beschäftigte aus 18 Ikea-Häusern kamen zum bundesweiten Aktionstag am 20. September zur Deutschland-Zentrale in Wallau. Gleichzeitig wurde in vielen Häusern gestreikt

von Andreas Hamann

Die Wurzeln des Widerstands reichen in der 14.000-Seelen-Gemeinde Edingen-Neckarhausen weit zurück. Direkt am Neckar zwischen Mannheim und Heidelberg gelegen, spielte der Ort schon in der Märzrevolution 1848 gegen die preußische Monarchie eine herausragende Rolle. 165 Jahre später sorgen viele Einzelhandelsbeschäftigte dafür, dass ihre Interessen nicht unter die Räder kommen. Bereits an 65 Tagen haben sie den Markt der SB-Warenhauskette Real bestreikt. Das ist nicht nur für die aktuelle Tarifrunde im Einzelhandel ein beachtlicher Rekord.

Um die vom Handelsverband angepeilten schlechteren Tarifverträge zu verhindern und endlich eine bessere Bezahlung durchzusetzen, legen auch die Belegschaften anderer Märkte im ver.di-Bezirk Rhein-Neckar eine enorme Streikenergie an den Tag: Neben Real sind dort Kaufland, H&M, Galeria Kaufhof und Ikea häufig von Arbeitsniederlegungen betroffen. Selbst in der Ferienzeit sind die Aktivitäten nicht versiegt. "So intensiv war der Arbeitskampf noch nie", sagt Stephan Weis-Will, der zusammen mit Sabine Möller die Streiks leitet. "Es zeigt sich, dass mehrtägige Streiks die Arbeitgeber stark treffen - oft kriegen sie ihre Logistik nicht mehr auf die Reihe oder müssen beispielsweise die Fleischtheke dichtmachen."

Arbeit auf Abruf

Im September sind die Streiks auch bundesweit intensiviert und ausgeweitet worden. In baden-württembergischen und bayerischen Betrieben, die bis dahin nicht einbezogen waren, sprachen sich die Belegschaften mehrheitlich für Arbeitsniederlegungen aus.

"Es wird immer deutlicher, dass es den Arbeitgebern nicht um Modernisierung der Tarifverträge geht, sondern allein um weitere Kosteneinsparungen", sagte in Bayern ver.di-Verhandlungsführer Hubert Thiermeyer nach der vierten Runde am 16. September. Wie berichtet, haben fast alle regionalen Handelsverbände auch die Manteltarifverträge gekündigt. Sie sind bereit, 2,5 Prozent mehr zu zahlen und im nächsten Jahr 1,5 Prozent. Bedingung ist, dass ver.di auf tarifliche Schutzregeln verzichtet und materiellen Einschnitten bei Verkaufs- und Kassiertätigkeiten und beim Einräumen der Waren, der sogenannten Verräumung, zustimmt.

Zum geplanten Kahlschlag gehören auch völlig flexibilisierte Arbeitszeiten. "Den Handelskonzernen geht es vor allem auch darum, Arbeit auf Abruf durchzusetzen", kritisiert ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. "Das alles machen die Beschäftigten nicht mit, wie die vielen Streiks zeigen."

Beifall von den Falschen

Um einen Lösungsweg aufzuzeigen, haben die ver.di-Tarifkommissionen in Hamburg und Bayern im August und September Entwürfe für Tarifverträge vorgelegt. Damit soll für 2014 ein umfassender Reformprozess der Branchenverträge eingeleitet werden, wenn die Arbeitgeber sich jetzt mit ver.di auf akzeptable Entgelterhöhungen einigen und den Manteltarifvertrag ohne Abstriche wieder in Kraft setzen. Auch in Baden-Württemberg, NRW und anderen Tarifgebieten wurde ein solcher Weg diskutiert. Doch darauf ließen sich die Einzelhändler nicht ein.

Beifall bekommen die Konzerne vom DHV-Verband. Dessen Vorsitzender äußerte großes Verständnis für die bundesweit koordinierte Kündigung der Manteltarifverträge durch die Arbeitgeber. Zur Erinnerung: Der DHV gibt sich als Gewerkschaft aus, ist aber weder willens noch in der Lage, Arbeitskämpfe zu organisieren. Gleichzeitig bietet er sich für Dumping-Tarifverträge an, zum Beispiel in der Warenverräumung.

Eine Abwärtsspirale wird es mit ver.di nicht geben, das stellen die Tarifkommissionen immer wieder klar. Gleichzeitig wurde ein heißer Herbst mit bundesweiten Aktionswochen, Schwerpunktstreiks in bestimmten Unternehmen und vielen Überraschungen eingeläutet. "Die Beschäftigten sind stocksauer und werden sich weiter wehren", sagt Stephan Weis-Will. Und das trifft auf viele Tarifgebiete zu.