Protestmarsch von Bedburg-Hau nach Uedem: Ines Gerken, Heike Slansky, Giann Hannen, Dana Artz, Margret Schmittgen (v.l.n.r.) - Mitarbeiterinnen vor der Kita "Lebensbaum"

"Ich habe seit zwei Stunden nasse Füße", sagt Claudia Kölling, stellvertretende Leiterin der Kita Lebensbaum in Bedburg-Hau. Kein Wunder. Mit etwa 30 Kolleginnen wandert sie an diesem nass-kalten Tag Ende Januar 20 Kilometer durch die niederrheinische Tiefebene, vom Kreishaus Kleve bis zur Mühle in Uedem. Zum Wandern gibt es schönere Tage, doch die frierende junge Frau hat wie alle, die hier kurzen Rast machen in einer kalten Kaffeebude, einen ernsten Grund dafür: Seit dem 8. Januar streiken sie, 60 Mitarbeiterinnen aus vier von der Lebenshilfe gGmbH in Kleve betriebenen Kitas, unbefristet für die Angleichung ihrer Verträge an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, TVöD.

Das g in der gGmbH steht für "Gemeinnützigkeit". Davon, findet Christel Spitz-Güdden, Mitglied der Streikleitung, sei derzeit nichts zu spüren. Die Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Kita Lebensgarten in Uedem ist "sehr enttäuscht von der geringen Wertschätzung, die unserer Arbeit entgegen gebracht wird, auch für die Not der Eltern hat man bei der Lebenshilfe kein Verständnis". Um die Versorgung in den dringendsten Fällen sicherzustellen, haben die Beschäftigen Notgruppen für 22 Kinder eingerichtet.

In der Tat muss man den Eindruck bekommen, dass die Lebenshilfe, die 450 Menschen im Kreis Kleve beschäftigt, die Leistungen ihrer Mitarbeiter/innen nicht würdigt. "Wir laufen gegen eine Wand", sagt Claudia Kölling, die ebenfalls in der Streikleitung und Betriebsratsmitglied ist. Ihr Arbeitgeber verweigert gleichen Lohn für gleiche Arbeit, obwohl er die Mittel dazu habe. "Selbst die Kirchen orientieren sich am TVöD", sagt Christel Spitz-Güdden.

Zwischen 30 und 400 Euro weniger im Monat

Harald Hüskes, zuständiger Gewerkschaftssekretär und seit Monaten an der Seite der jetzt Streikenden, sagt: "Seit März vergangenen Jahres verhandelt ver.di, zwei Warnstreiks im Sommer haben nichts bewirkt - außer stärkerer Solidarität der Beschäftigten untereinander." Zwischen 30 und 400 Euro beträgt der Unterschied zu den Vergütungen im öffentlichen Dienst. 90 Prozent ihrer Mittel erhält die Lebenshilfe nach dem Kinderbildungsgesetz, KiBiz, vom Land Nordrhein-Westfalen, wie alle anderen Träger auch, der Kreis Kleve schießt in unbekannter Höhe zu. Dieses Geld bekommt die Lebenshilfe weiterhin auch seit Streikbeginn - ohne etwas davon auszugeben, verdient sie noch am Streik. Auch die Eltern müssen weiter zahlen. Die Streikenden bekommen nur Streikgeld. Harald Hüskes hat recherchiert, dass die Lebenshilfe zum 31. Dezember 2012 elf Millionen Euro Rücklage hatte. Trotzdem bleibt die Geschäftsführung stur. Die Mieten seien zu hoch, lautet ein Argument. Harald Hüskes sagt: "Dann soll sie ihre Aufgaben an die öffentliche Hand zurückgeben!"

Der zuständige Landrat Wolfgang Spreen, CDU, ehrenamtlich Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Lebenshilfe, hält sich komplett aus dem Konflikt heraus, weshalb der Spruch "Spreen, wir wollen dich seh'n" einer der beliebtesten Sprechchöre der Streikenden auf ihren zahlreichen Demos ist. Spreen trägt als Landrat beziehungsweise Lebenshilfe-Gesellschafter auch Verantwortung für die "Freudenberg GmbH", die die Grundstücke und Gebäude an die Kitas vermietet und mehrheitlich im Besitz des Kreises Kleve und der Lebenshilfe ist. "In Konfliktfällen verhandelt also Landrat Spreen mit Gesellschafter Spreen über die Lebenshilfe-Einrichtung unter den Fittichen von Herrn Spreen", sagt Wolfgang Cremer, ver.di-Fachbereichsleiter für Wohlfahrt und soziale Dienste in NRW.

Psychische Belastung durch Missachtung

Die Solidarität für die streikenden Erzieherinnen indes ist groß, auch bei den Eltern. Die Lokalpresse berichtet wohlwollend, die SPD-Kreistagsfraktion ist empört: "Die kategorisch ablehnende Haltung der Lebenshilfe und auch die bisherige Untätigkeit des Landrats als Vertreter unseres zuständigen Kreisjugendamtes halten wir für sehr kritisch und verurteilen dies mit allem Nachdruck", heißt es in einer Erklärung. Eine Schlichtung lehnt die Lebenshilfe als "zu umständlich" ab. Bizarr reagierte sie, als Harald Hüskes kürzlich einen Moderator, den Geschäftsführer der Solinger Lebenshilfe, vorschlug. "Der sei zu teuer! Dabei war von Geld gar keine Rede", sagt Hüskes und guckt dabei immer noch verblüfft.

Am Ende der Wanderung, auf dem die Streikenden von Passanten Zuspruch und Gummibärchen bekommen, treffen sich die Läuferinnen an der Uedemer Mühle, hinzu kommen zahlreiche Eltern mit ihren Kindern und weitere Kolleginnen, die im Schein von Fackeln und Kerzen eine kleine Kundgebung abhalten. "Es ist so ungerecht", sagt Monika Stockhorst, auch Mitglied der Streikleitung und stellvertretende Leiterin in der Kita Lebensgarten. Claudia Kölling, inzwischen mit trockenen Socken versorgt, sagt: "Je länger wir streiken, desto wütender werde ich und desto sicherer weiß ich, dass wir Recht haben." Aber sie sagt auch: "Diese Missachtung unserer Arbeit ist eine psychische Belastung."

Entschlossen zieht die Gruppe durch Uedem zur Mitgliederversammlung der Lebenshilfe. "Wir woll'n TVöD", skandiert sie, singt selbstgedichtete Streiklieder. Thomas Keuer, Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Duisburg/Niederrhein und auch dabei, sagt: "Wenn Frauen streiken, hat das etwas ganz Besonderes, die haben so tolle Ideen." Der Lebenshilfe-Geschäftsführer Hermann Emmers kommt aus dem Versammlungslokal, gerät ins Trillerpfeifenkonzert, wird von einer verzweifelten Mutter angeschrieen: "Mein Kind weint, weil es nicht in die Kita darf, wir haben kein Geld mehr für die private Betreuung." Emmers weicht aus, will "konstruktiv mit Einzelnen reden". "Das ist alte Arbeitgebertaktik", ruft Thomas Keuer, "sich Einzelne raus-picken, teile und herrsche. Das durchschauen wir". Landrat Spreen lässt sich nicht sehen.

Der Arbeitgeber droht mit der Schließung

Christel Spitz-Güdden ist nachdenklich: "Wir sind in einen sozialen Beruf gegangen, weil wir für gutes und harmonisches Miteinander stehen. Menschen wie wir sind nicht auf Konfrontation aus. Aber hier wird unsere Geduld aufs Äußerste gereizt."

Emmers und Spreen spielen auf Zeit, spekulieren mit der Not der Eltern, erst Ende Februar wisse man, wie die wirtschaftliche Lage sei. "Unsere Rebellenführerin" nennt Harald Hüskes Christel Spitz-Güdden. Sie ist wie alle 60 Mitstreiterinnen erst seit einem guten Jahr ver.di-Mitglied. Sie will "gar nicht glauben, dass die von uns erwirtschafteten Gewinne nicht bei uns ankommen. Man beutet doch nicht die eigenen Mitarbeiter aus." Leider doch: Statt über die Anwendung des TVöD zu verhandeln, droht die Geschäftsführung den rund 60 Beschäftigten jetzt in persönlichen Briefen mit der Schließung der Einrichtung und "personalrechtlichen Konsequenzen".

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