Im Frankfurter Bahnhofsviertel: Hier lebt Familie R.

Ein Klappsofa, ein alter Fernseher, ein schmaler Tisch mit Plastiktischdecke, zwei Stühle. Das ist alles auf den zehn Quadratmetern. Hinter diesem Raum liegt ein weiterer, genauso winzig. Auch hier: nur ein Bett und ein Schrank. Dahinter folgen noch zwei Zimmer, in einem steht ein Wäscheständer. Direkt am Eingang der Wohnung die Küche, ohne Fenster, nur mit zwei Türen. Zwei der vier Zimmer sind vermietet, die beiden hinteren unbewohnt.

Die 34-jährige Bulgarin Zivka R. sitzt in einem der vorderen Räume. Schwarze Haare umrahmen ihr blasses Gesicht. Sie lebt hier mit ihrem Mann (37) und den drei Kindern (11, 12 und 15). 500 Euro Miete zahlt die fünfköpfige Familie laut Mietvertrag für die beiden Zimmer, die sie nutzt. Doch seit die Mieter aus den hinteren Räumen ausgezogen sind, sollen Zivka und ihr Mann Andreev das Doppelte zahlen. "Das können wir nicht", sagt sie.

Scheinselbstständigkeit und Wuchermieten

Ihre Heimat in Bulgarien hat die Familie vor fünf Jahren verlassen, um der Armut zu entkommen. Zivka und ihr Mann stammen aus einem Dorf im Norden, einer ländlichen Region, in der es keine Arbeit gibt. Zivkas Bruder kommt ebenfalls nach Deutschland, auch Freunde sind schon hier. Jede/r spricht von der Hoffnung. Jede/r kennt jemanden, dem es besser geht. Daran klammert sich auch Zivka. Zuerst zieht die Familie nach Frankfurt, dann nach Osnabrück, anschließend wieder nach Frankfurt. Die junge Mutter ist nicht krankenversichert und erleidet hier eine Fehlgeburt. Auf den Kosten des Noteingriffs bleibt sie sitzen. Inzwischen ist sie erneut schwanger. Aber jetzt ist sie immerhin krankenversichert.

Kirsten Huckenbeck von der gewerkschaftlichen Anlaufstelle "MigrAr" für Migrant/innen in prekären Arbeitsverhältnisen hat nicht nur bei der schwierigen Suche nach einer Krankenversicherung geholfen, auch bei Behördengängen unterstützt sie immer wieder. Die Beraterin verhandelt, erklärt und hilft beim Ausfüllen von Formularen. Heute lässt sie sich die Lohnabrechnungen zeigen. "Dein Mann hat noch immer kein Geld bekommen?" Zivka R. nickt. "Wäre er bereit, zur Polizei zu gehen?", fragt die Beraterin. Erneut nickt die Bulgarin. Ehemann Andreev arbeitet selbstständig auf Gewerbeschein im Trockenbau. Er legt Fliesen, repariert Dächer, entrümpelt Keller. Sein Auftraggeber und der Vermieter sind ein und dieselbe Person. Und weil der bulgarische Familienvater die überhöhte Miete nicht zahlen kann, erhält er weder den ihm zustehenden Lohn noch neue Aufträge.

500 Euro für zwei winzige Zimmer - für ein Dach über dem Kopf verlangen Immobilienbesitzer in Frankfurt Wuchermieten

"Die Familie ist in die Fänge eines stadtbekannten Immobilienbesitzers geraten", sagt Kirsten Huckenbeck. Ein Subunternehmer verwalte die Immobilien des Besitzers und verlange unglaubliche Mieten. "Die Ausbeutung und besondere Erpressbarkeit von Migrant/innen wird hier durch die Verknüpfung von Scheinselbstständigkeit und Unterbringung zu Wuchermieten besonders deutlich." Einen Brief habe MigrAr bereits an den Subunternehmer verschickt und mitgeteilt, dass die fristlose Kündigung der Wohnung unwirksam sei, doch der drohe weiter mit Räumung. Kirsten Huckenbeck verspricht, Kontakt zu einer Rechtsanwältin und dem Sozialamt aufzunehmen. Auch ein Gang zur Polizei sei möglich, wenn der Lohn nicht komme und weiter mit der Miete verrechnet werde.

Das Wohnungsamt ermittelt

Die Immobilien in der Leipziger Straße in Frankfurt am Main sind für viele Probleme bekannt. Mehrfach schon waren die Behörden dort, kontrollierten die Häuser auf Sicherheit und Überbelegung. Schaltete sich die Bauaufsicht ein, wurden Räumungsverfügungen vom Wohnungsamt ausgesprochen. Erst im Januar hat es in einer der Wohnungen gebrannt. 16 Menschen wurden dabei verletzt, ein Mann sogar lebensgefährlich. Erneut ermittelt das Wohnungsamt seither auf Überbelegung. "Doch die lässt sich schwer beweisen", sagt Huckenbeck. Auch mögliche Schwarzarbeit oder Scheinselbstständigkeit lässt sich angesichts der üblichen Bargeld-Geschäfte schwer belegen. "Polizei und die Finanzkontrolle der Schwarzarbeit könnten die Bücher des Besitzers hinsichtlich der Arbeitsaufträge überprüfen. Doch bei Werkverträgen haben wir immer das Nachweisproblem", sagt sie. Deshalb müsse die Familie aus der Wohnsituation raus, in der sie erpressbar sei.

Nicht alle Probleme kann Kirsten Huckenbeck an diesem Tag lösen. Aber Geduld ist ihre Stärke. Sie kommt wieder, sie macht Termine mit Ämtern, erklärt die nächsten Schritte und gibt Zivka und ihrer Familie neuen Mut. "Ihr habt Rechte. Dein Mann hat gearbeitet, dafür muss er auch seinen Lohn erhalten. Und wenn Ihr Euch mit den anderen Familien zusammentut, die für diesen Mann arbeiten, dann haben wir eine Chance."