Nicht mehr nur warten

Der Pfleger Attila Kis verständigt sich wortlos mit den ihm anvertrauten Menschen, aber auch auf Deutsch

"Am Anfang hatte ich Angst, dass ich hier eine schlechte Figur mache, weil ich die Sprache nicht perfekt spreche", erinnert sich Attila Kis. Der 23-Jährige aus der siebenbürgischen Stadt Targu Mures hat nach dem Abitur in Rumänien eine Ausbildung zum Krankenpfleger abgeschlossen. Rund 250 Euro hätte er im Monat in einem rumänischen Krankenhaus erhalten, für einen Vollzeitjob - wenn er denn einen bekommen hätte. Doch die Chance auf Arbeit war gering, weil die Sparprogramme der rumänischen Regierung Neueinstellungen im öffentlichen Sektor verhindern. Kis beschloss deshalb, sich um ein Praktikum in Deutschland zu bewerben, für 350 Euro im Monat, dazu ein Zimmer und die Perspektive auf eine Vollzeitbeschäftigung nach sechs Monaten und einer Prüfung. "350 Euro, das geht natürlich gar nicht", kommentiert das ver.di-Sekretär Björn Jadzinski aus dem Fachbereich Gesundheit in Oberhausen. "Auch ein Praktikum muss so bezahlt werden, dass die Existenz gesichert ist, erst recht bei einem ausgebildeten Kollegen."

Doch die Rechnung ging aus Attilas Sicht auf. Er begann als Pflegekraft bei den städtischen Seniorendiensten in Mülheim an der Ruhr. Die Prüfung hat er inzwischen bestanden. Seitdem ist er froh über seine Stelle, den unbefristeten Arbeitsvertrag und "die Bezahlung nach Tarif, wie bei den deutschen Kollegen. Ich bekomme jetzt etwa 1 700 Euro netto im Monat."

Heinz Rinas, der ehemalige Geschäftsführer der Seniorendienste, erklärte, sie hätten dringend Arbeitskräfte gebraucht. "Mit den neuen Mitarbeitern aus Rumänien haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie haben nicht nur schnell Deutsch gelernt, sie sind eine Bereicherung, weil sie aufgrund ihrer rumänischen Ausbildung über die Kompetenzen verfügen, die wir suchen."

Noch vor kurzem war es nicht so einfach, jemanden aus Rumänien einzustellen. Bis Ende 2013 galt die "eingeschränkte Freizügigkeit der Arbeitskräfte", was bedeutete, dass längst nicht alle Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Deutschland Arbeit suchen durften. Hochschulabsolventen, Selbstständige und einige andere waren schon damals willkommen, für alle übrigen mussten deutsche Arbeitgeber bei den Arbeitsämtern eine Arbeitsgenehmigung beantragen. Das Verfahren war bürokratisch.

Diese Hürden sind jetzt gefallen. Attila Kis würde sich freuen, wenn noch mehr Kollegen aus seiner alten Heimat nach Mülheim kämen. Man würde sie brauchen. "Kurz nach der Wende", sagt er, "als wir noch Kinder waren, hat man uns versprochen, dass wir bald den westeuropäischen Lebensstandard erreichen werden, wenn wir fleißig arbeiten. Dann stellte sich heraus, dass das nicht so einfach ist." Viele in seiner Generation seien langsam ungeduldig geworden und hätten beschlossen, nicht länger zu warten. Ihre Eltern und Großeltern hätten immer auf etwas gewartet: "Darauf, dass die Diktatur zusammenbricht, darauf, dass Rumänien der EU beitritt ... Jetzt können wir in ganz Europa hin- und herpendeln."

Gekommen, um zu bleiben

Bundesweit lebten Anfang 2014 rund 430 000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Deutschland. Nach jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik bleibt Polen bei der Einwanderung auf dem ersten Platz. Doch in den Medien wird über Migranten aus den beiden Balkanländern diskutiert, eine "Armutseinwanderung" wird befürchtet, manche Politiker schlagen Alarm. Und manche Stadtviertel sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

"Deutschland und andere westeuropäische Länder müssen sich an diese Realität gewöhnen", sagt die rumänischstämmige Politologin Alina Mungiu Pippidi von der Hertie School of Governance in Berlin. Die meisten früheren "Gastarbeiter" seien nie in ihre Ursprungsländer zurückgekehrt. "Auch die meisten Rumänen und Bulgaren kommen heute, um zu bleiben." Das Wohlstandsgefälle, das damals viele Südeuropäer nach Mitteleuropa zog, zieht jetzt Menschen aus den beiden Balkanländern an, die 2007 der EU beigetreten sind. Inzwischen hat die Einwanderung das Straßenbild und das Leben in den Großstädten dauerhaft geprägt.