ver.di fordert ein medizinisches Kompetenzzentrum für die Diagnose und Behandlung von Betroffenen nach Fume Events, den Vorfällen mit schlechter Kabinenluft

Schadstoffbelastete Atemluft in Flugkabinen, sogenannte Fume Events, werden seit Jahrzehnten beobachtet. Doch wie krank machen sie wirklich? Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) hat in den Jahren 2006 bis 2013 bei deutschen Fluggesellschaften 663 Fälle registriert, bei denen es zu Ausdünstungen und Abgasen in der Kabine gekommen ist. Ein Vorfall in einem Germanwings-Airbus beim Landeanflug auf Köln Ende 2010 ist besonders im Gedächtnis geblieben: Pilot und Copilot setzten Sauerstoffmasken auf, nachdem sie einen merkwürdigen Geruch wahrgenommen hatten und ihnen übel wurde. Die Maschine landete zum Glück unversehrt.

Der preisgekrönte Dokumentarfilm des Berliner Journalisten und Filmemachers Tim van Beveren, Ungefiltert eingeatmet - Die Wahrheit über das aerotoxische Syndrom, zeigt die Hintergründe dieses Syndroms und lässt Mediziner, Wissenschaftler, Luftfahrtexperten sowie betroffene Besatzungsmitglieder und Passagiere zu Wort kommen. Tim van Beveren beleuchtet die Vorgänge um die Kabinenluft und zeigt das hartnäckige Leugnen der Luftfahrtindustrie und Behörden. Er sagt auch, die Fume Events nähmen zu.

Nicht abstreiten können Behörden und Flugzeugbauer, dass die Atemluft für die Kabinen seit den 60er Jahren über die Triebwerke abgezapft wird. Dadurch können übelriechende und gesundheitsschädliche Dämpfe von erhitzten Ölen ins Cockpit gelangen. Doch in den abgeschlossenen Druckkabinen lässt sich kein Fenster öffnen - wenn es stinkt, bleibt für Piloten nur der Griff zur Sauerstoffmaske, Passagiere und Flugbegleiter sind gänzlich ungeschützt.

Mediziner des Universitätsklinikums Göttingen haben in den vergangenen drei Jahren über 140 Betroffene nach solchen akuten Vorfällen medizinisch untersucht. Dabei fanden sie in Urin- und Blutproben Hinweise auf toxische Substanzen aus der Kabinenluft. Darunter unter anderem die schon lange bekannten, sogenannten Organophosphate, aber auch leicht flüchtige Stoffe, die Nerven, Herzkreislaufsysteme und Atemwege angreifen.

Schadstofffreie Atemluft

"Die Luft an Bord muss frei von jeglichen giftigen Rückständen sein", fordert ver.di-Luftfahrtexperte Robert Hengster. Bislang seien insbesondere die Ölrückstände im Fokus der Betrachtung gewesen. Nun aber würden die neuen arbeitsmedizinischen Erkenntnisse des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen auf eine Reihe weiterer potenzieller Verursacher für vorübergehende, aber auch chronische Erkrankungen von Flugpersonal hinweisen. In Blut- und Urinproben von Besatzungsmitgliedern fanden das Institut und externe Labore Rückstände von Stoffen, die seitens des Gesetzgebers schon vor Jahren verboten wurden, darunter auch toxische Abwandlungsprodukte von Enteisungsflüssigkeiten, die bisher als unbedenklich eingestuft wurden.

ver.di fordert die Einrichtung und Anerkennung eines medizinischen Kompetenzzentrums am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, um Betroffene von Kabinenluft-Vorfällen behandeln zu können. Es müssten zudem neue Wege und Strategien gesucht werden, um Fume Events zu vermeiden und die Atemluft in Flugzeugen schadstoff- frei zu halten. Das Präventionsprinzip sei konsequent anzuwenden, sagt Hengster. "Ein erster Schritt, den wir als ver.di zur Aufklärung und Prävention unternehmen, ist die Information unserer Mitglieder über Verhaltensmaßnahmen bei Vorfällen sowie eine fachliche Diskussion über das Thema." Hersteller, Fluggesellschaften, Behörden und die Politik müssten endlich tätig werden, um die Gefährdung von Passagieren und Besatzungsmitgliedern zu stoppen. Marion Lühring