Mahnwache vor dem Werktor in Gelsenkirchen

Völlig unerwartet kam Ende Oktober die Nachricht für die 96 Beschäftigten der "Wellpappe Gelsenkirchen", eines Tochterunternehmens der Aalener Palm-Gruppe: Der Betrieb sei geschlossen, sie seien von der Arbeit freigestellt. Ein Insolvenzverfahren werde eingeleitet. Der Betriebsrat wurde nicht informiert, geschweige denn in die Entscheidung über die Zukunft des Standorts eingebunden.

"Es gab Aufträge, und erst kurz vor der Schließung hatte ein Vertreter der Wirtschaftsförderung in Gelsenkirchen bei Palm nachgefragt, ob Unterstützung nötig sei", berichtet Bärbel Sumagang, die zuständige ver.di-Sekretärin im Bezirk Emscher-Lippe Süd. "Doch Geschäftsführer Wolfgang Palm hatte kein Interesse daran, den Standort zu erhalten." So habe das Unternehmen Grundstück, Gebäude, Maschinen und weitere Teile des Betriebsvermögens in Gelsenkirchen bereits vor längerem veräußert und anschließend gemietet. Damit sei "Wellpappe Gelsenkirchen" auch nicht mehr für potentielle Käufer interessant.

Perfides Verhalten

Als besonders perfide empfinden Beschäftigte, Betriebsrat und ver.di die Art und Weise, wie die Palm-Gruppe die Werksschließung umsetzte. Bärbel Sumagang: "Da der Unternehmenschef sich bis heute weigert, eine dringend erforderliche Unterschrift zu leisten, erhielten die Beschäftigten ihr Insolvenzausfallgeld erst verzögert - und nur, weil der vorläufige Insolvenzverwalter Rolf Weidmann sich dafür einsetzte." Der Betriebsrat (BR) habe sich zudem vor einem Gericht das Recht erkämpfen müssen, die eigenen Räume im Werk wieder betreten und dort die Arbeit für die Belegschaft fortsetzen zu können.

Gegenüber der Schwäbischen Zeitung behauptete Wolfgang Palm, die Gelsenkirchener Mitarbeiter/innen hätten weniger effizient gearbeitet als die Beschäftigten in den übrigen Wellpappe-Werken des Unternehmens. Investitionen hätten sich nicht gelohnt. Diese Vorwürfe kamen für den BR-Vorsitzenden Bodo Steigleider überraschend. Die Auftragslage sei gut gewesen, die Beschäftigten hätten sogar unbezahlt länger gearbeitet, erklärte er. Bärbel Sumagang vermutet, dass Palm eher unbequeme Arbeitnehmer/innen loswerden wollte, denn Wellpappe Gelsenkirchen ist seit langem ein Streikbetrieb und außerdem das einzige Wellpappe-Werk in der Palm-Gruppe, das durch ver.di vertreten wird. "Palm hat viele Betriebe übernommen. Bei denen gelten die schlechteren Tarifverträge der IG BCE", so Steigleider.

Solidarität in Gelsenkirchen

Das Insolvenzverfahren soll Anfang 2017 eingeleitet werden. Der Betriebsrat und ver.di haben inzwischen Geschäftsführer Palm in einem Brief aufgefordert, eine Million Euro für eine Transfergesellschaft zur Verfügung zu stellen. Außerdem haben die Arbeitnehmervertreter Strafanzeige gegen Palm erstattet wegen "schuldhafter Herbeiführung einer Insolvenz". Die Beschäftigten halten nach wie vor Mahnwachen vor "ihrem" Betrieb, auch wenn die Hoffnung auf eine Reaktivierung gesunken ist, seit sie wissen, dass das Unternehmen das Betriebsvermögen verscherbelt hat. Mut macht vor allem die Solidarität der Gelsenkirchener Bürger/innen, die die Beschäftigten mit Einladungen und Spenden unterstützen.

Gudrun Giese