"Ganz unterschiedliche Menschen kommen zu uns: Senioren, Familien, die junge Mutter, die ins Frauenhaus geflüchtet ist, Arbeitsuchende, Studenten oder auch ein Professor", sagt Sibylle Sacher, Vermieterin bei der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Mit jedem Kunden und seinen spezifischen Wohnungswünschen müssen die Beschäftigten klarkommen. Das ist nicht immer leicht. Die Arbeit erfordert viel Erfahrung und besondere Kompetenzen.

Wie Sacher und ihren Kolleg/innen geht es vielen Beschäftigten. Das Arbeiten im Dienstleistungssektor braucht nicht nur fachspezifisches Können, sondern auch zwischenmenschliche Kommunikation, sogenannte Interaktionsarbeit. "Egal ob in Verwaltungen, beim Friseur, im Handel, bei Banken oder einem Telekommunikationsunternehmen, die Mehrheit aller Beschäftigten, 66 Prozent, arbeitet sehr oft oder oft mit Menschen", sagt Nadine Müller, die bei ver.di für das Thema Gute Arbeit zuständig ist. " Zwischenmenschliche Interaktion gehört zu ihrer fachlichen Arbeit dazu, wird aber leider noch viel zu wenig gesehen und gewürdigt. Das wollen wir ändern."

Deshalb hat ver.di eine Veranstaltungsreihe zur Interaktionsarbeit begonnen. Das erste Treffen fand 2016 statt. Dabei ging es darum, Betroffene, betriebliche Experten und Wissenschaftler an einen Tisch zu holen, um zu klären, was an Erkenntnissen und Erfahrungen vorhanden ist und was für die Beschäftigten getan werden muss. "Schon jetzt ist deutlich: In Dienstleistungsberufen muss der Fokus künftig wesentlich stärker auf die Interaktionsarbeit gerichtet werden und darauf, wie sie gut gestaltet werden kann", stellt Anke Thorein von ver.di fest. Das sei nicht nur für die Menschen wichtig, die die Dienstleistungen erbringen, sondern auch für die Daseinsfürsorge derjenigen, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Nicht passend gestaltete Interaktionsarbeit sowie Zeitdruck und Personalmangel erschwerten die Arbeit mit Menschen.

Der Faktor Zeit

Gelingende Integrationsarbeit ist mit hohen Anforderungen verbunden. "Das ist keine Arbeit, die nebenbei passiert", weiß Sibylle Sacher aus Erfahrung. Zur Wohnungssuche kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bildung, Religion oder Sprache. Mit diesen Menschen umzugehen, die dringend eine Wohnung benötigen und oft verzweifelt sind, das lerne man nicht in der kaufmännischen Ausbildung, sagt sie. Interaktionsarbeit bedarf des Fingerspitzengefühls. "Der Kunde soll auch zufrieden sein, wenn er seine Wunschwohnung nicht bekommen kann. Das funktioniert nicht in Hektik", sagt Sacher.

"Für Interaktionsarbeit muss Raum geschaffen werden, wenn die Dienstleistung in der Pflege oder der Therapie Erfolg haben soll", so sieht es auch Klaus Thomsen, Psychotherapeut und Betriebsrat an der Helios Rehaklinik Damp. Um im Klinikalltag gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, müsse die Arbeit zeitlich entschleunigt werden. Doch das Gegenteil sei in Kliniken der Fall. Schlechte Arbeitsorganisation, stetiger Druck von oben und Beschäftigte, die sich als Blitzableiter für vermeintliche oder reale Missstände fühlen, das sei immer häufiger Alltag. "Nur noch Zahlen sind wichtig, die Interaktionsarbeit wird nicht genug gewürdigt", sagt er. Für Lösungen fehle es an allen Enden: Gute Interaktionsarbeit erfordere mehr Personal, mehr Wertschätzung, entsprechende Schulungen der Führungsebene, eine gesetzliche Personalbemessung in der Pflege, eine Mindestbesetzung der Schichten, mehr Zeit für die Patienten sowie Pausen zur eigenen Erholung.

Belastende Konflikte

"Es ist nicht gut, wenn die Probleme in den Kleidern hängen bleiben und man sie dann abends mit nach Hause nimmt", sagt Klaus Thomsen. Doch das passiert. Diese Erfahrung hat auch Sibylle Sacher gemacht. "Die Kunden erwarten, dass man immer freundlich bleibt", sagt sie. Aber man brauche manchmal auch selbst Rat und Zeit, um die eigenen Emotionen verarbeiten zu können. Das bestätigt Nadine Müller von ver.di: "Bei Interaktionsarbeit können belastende Gefühle entstehen." Wie etwa Ablehnung, Angst, Hilflosigkeit, Frust oder Trauer. Doch der Umgang mit Kunden und Patienten verlange eine positive Gefühlsebene, die Vertrauen erzeuge, damit die Dienstleistung erfolgreich ist. Hinzu komme zusätzlicher Druck durch nicht planbare Ereignisse, beispielsweise wenn Kunden und Patienten anders reagieren als erwartet.

Materielle Aufwertung

"Unumstritten ist, dass psychische und emotionale Belastungen durch Interaktionsarbeit entstehen", sagt Anke Thorein. Diese Belastungen könnten stark beanspruchen. Zudem nehmen Hektik und Hetze am Arbeitsplatz zu, wie ver.di aus aktuellen Befragungen weiß. Noch weniger Zeit bleibt übrig, um die emotionalen Belastungen abzubauen. Langfristig sei das ungesund. Deshalb komme es darauf an, Interaktionsarbeit so zu gestalten, dass sie nicht krank macht. Zeit, Rückzugsräume und psychische Unterstützung seien für gute Arbeit wichtig. Aber auch eine materielle Aufwertung sei erstrebenswert. "Die Gesellschaft muss Interaktionsarbeit mehr anerkennen und wertschätzen", sagt Nadine Müller.