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Augenoptiker*innen in der Ausbildung – auch das Anpassen einer Brille will gelernt sein, vor allem wenn man wie in diesem Beruf den Kund*innen sehr nahe kommtSeeberg/Caro

Ob es ums Haareschneiden, die Pflege Kranker oder die Ausstellung eines Passes geht – bei all diesen unterschiedlichen Aufgaben steht die Arbeit mit Menschen im Mittelpunkt. Die besonderen Anforderungen an Dienstleistungsbeschäftigte beleuchtet die Studie "Arbeit mit Menschen – Interaktionsarbeit", die der ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit herausgegeben hat.

"Manche Kundinnen und Kunden erwarten sehr viel von uns", sagt Angela Schirmer, 58, langjährige Betriebsratsvorsitzende bei Real im oberfränkischen Kulmbach, die an der Befragung für die Untersuchung teilgenommen hat. "Als Beschäftigte eines SB-Warenhauses können wir aber nicht jede Detailfrage zu Produkten beantworten." Doch die Vorgabe der Geschäftsleitung ist eindeutig: In jeder Lage freundlich und positiv sein! Schwierig werde die Umsetzung solcher Regeln auch in wiederkehrenden Stresssituationen, weiß Schirmer. "Immer freundlich zu bleiben, wenn wir lange Warteschlangen an den Kassen, weinende Kinder und allgemeine Hektik im Markt haben, ist eine hohe Kunst."

Wenig Zeit

Mehr als zwei Drittel der für die Studie befragten Dienstleistungsbeschäftigten haben sehr häufig oder oft direkten Kontakt zu Kund*innen, Patient*innen oder Bürger*innen. "In der Praxis bedeutet das hohe Anforderungen im Umgang mit Menschen", sagt Nadine Müller, die für den ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit für die Studie mitverantwortlich ist. "Viele dieser Beschäftigten müssen ihre Gefühle verbergen und sind etwa Streitigkeiten mit der Kundschaft ausgesetzt. Die Anforderungen und Belastungen werden bei der Arbeitsgestaltung, beim Lohn und Gesundheitsschutz bisher unzureichend berücksichtigt."

Hinzu kämen oft eine hohe Arbeitsintensität und ungünstige Arbeitszeiten, so im Einzelhandel oder dem Pflegebereich. Für diese beiden Bereiche sowie für die Informations- und Kommunikationstechnik, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und die öffentliche Verwaltung sind die erhobenen Zahlen gesondert ausgewertet worden. Insgesamt wurden annähernd 6.000 Beschäftigte aus dem Dienstleistungssektor zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Menschen im Berufsalltag befragt.

Dass vor allem der zunehmende Arbeitsdruck und die allgegenwärtige Hetze den nötigen Austausch mit Patient*innen wie auch Kolleg*innen verhindert, bemerkt seit längerem Silke Behrendt, 53, die seit über 25 Jahren in der Altenpflege arbeitet und Betriebsratsvorsitzende in einem Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt in Bochum ist. "Es wird zu wenig Zeit für den Austausch über den Arbeitsalltag eingeplant", sagt sie.

Entscheidungen der Leitungsebene würden zudem oft schlecht vermittelt, sodass sich viele der Pflegenden mit ihren Problemen allein gelassen fühlten. "Der Personalmangel spielt auch eine große Rolle bei der Überlastung", sagt Behrendt. Aus ihrer Sicht ist das Thema Pflegenotstand bereits seit mehr als zehn Jahren von der Politik verschleppt worden. Und die Bedingungen seien in der Altenpflege härter als in der Krankenpflege. "Bei uns wird noch schlechter gezahlt, was zur Folge hat, dass manche qualifizierte Kollegin in die Krankenpflege wechselt."

Viel Arbeit

Die ver.di-Studie hat für den Pflegebereich eine insgesamt starke Belastung festgestellt: "Die Arbeit ist hier durch hohe emotionale und körperliche Anforderungen, durch Stress und Mehrfachbelastungen geprägt", sagt Nadine Müller. Die Beschäftigten hätten besonders viele Kontakte, etwa zu Patient*innen, Angehörigen, Kolleg*innen und müssten zudem oft "abends, nachts oder am Wochenende arbeiten".

Interne Konflikte

Silke Behrendt nennt einen weiteren belastenden Aspekt: "In der Altenpflege arbeiten vorwiegend Frauen, die oft ihre eigenen Interessen allem anderen unterordnen. Für sie ist eine Gewerkschaftszugehörigkeit und der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen alles andere als selbstverständlich."

Im Real-Markt in Kulmbach leiden die rund 110 Beschäftigten unter einer zusätzlichen Belastung. Nach der Tarifflucht der bisherigen Metro-Tochter, die zum Verkauf steht, werden die langjährig Beschäftigten in allen 277 Real-Häusern zwar wegen der Nachwirkung nach dem von ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag entlohnt. Doch neu Eingestellte erhalten rund 30 Prozent weniger Entgelt, sodass das Betriebsklima zusätzlich belastet ist. Die Kulmbacher Betriebsratsvorsitzende Angela Schirmer wünscht sich und ihren Kolleg*innen ein Ende dieses Zustands.

"Alle wollen, dass es weitergeht!", sagt sie. Auch nach dem vom Bundeskartellamt genehmigten Verkauf der Real-Märkte an den Immobilieninvestor Redos bleibt offen, welche Standorte von anderen Unternehmen weiterbetrieben werden und ob dann wieder nach Tarif bezahlt wird. Für den Umgang der Kolleg*innen untereinander, so Angela Schirmer, wäre das sehr wichtig.