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Immer mehr Arbeitnehmer*innen leiden unter Zeitdruck und Arbeitsverdichtung. So ergab eine repräsentative Umfrage nach dem DGB-Index Gute Arbeit unter 6.574 Beschäftigten, dass sich 53 Prozent häufig oder sehr häufig bei der Arbeit gehetzt fühlten. Verglichen mit dem Vorjahr musste jede*r Dritte deutlich mehr Arbeit in derselben Zeit schaffen. Entsprechend bewältigt ein Viertel der Befragten die geforderte Arbeitsmenge nicht in der vorhandenen Arbeitszeit. "Arbeiten am Limit – Themenschwerpunkt Arbeitsintensität" hat der DGB seinen im Dezember erschienenen Report 2019 betitelt.

Als "geborene Verkäuferin" bezeichnet sich Monika Berger (Name geändert). Die 50-Jährige ist ihr ganzes Arbeitsleben in einem Berliner Karstadt-Haus beschäftigt. Doch seit einigen Jahren nimmt die Belastung so stark zu, dass sie die Freude an der Arbeit verliert. Die Gründe: Weniger Personal muss dasselbe Pensum aus Warenverräumung, Beratung und Kassieren schaffen. Kund*innen erwarten viel von den Verkäufer*innen. Dazu kommt die Unsicherheit, wie es trotz der tariflichen Einigung mit den Warenhäusern nach der Fusion von Karstadt mit Galeria Kaufhof weitergehen wird. "Bis zur Rente halte ich die Arbeit unter diesen Bedingungen nicht aus", fürchtet Monika Berger.

Damit gehört sie zu einer wachsenden Gruppe von Beschäftigten, die bezweifeln, bis zu ihrem regulären Renteneintritt arbeiten zu können. Laut der DGB-Befragung gehen 40 Prozent davon aus, dass sie wahrscheinlich nicht bis zu diesem Alter in ihrem Job durchhalten werden. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen: Gerade Beschäftigte in Dienstleistungsberufen mit Kundenkontakt oder auch in Gesundheitsberufen befürchten mehrheitlich, nicht bis zur Rente arbeiten zu können.

Entlastung vereinbart

Obwohl das Problem der zu hohen Arbeitsbelastung seit Jahren bekannt sei, so schreibt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann in der Broschüre, habe sich in der Praxis nicht viel geändert. "Angesichts dieser Situation sprechen Wissenschaftler schon von der ,erschöpften Arbeitswelt'." Dringend müsse gegengesteuert werden mit mehr Mitbestimmung bei der Personalplanung und bei der Leistungssteuerung. Als guten Ansatz bezeichnet er Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zum Thema Belastungsschutz.

Seit einigen Jahren wird in Krankenhäusern und Universitätsklinika auf diesem Gebiet sehr viel getan. "Den Anfang gemacht haben die Kolleg*innen der Berliner Charité, die in einer langjährigen Auseinandersetzung erstmals einen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz und für mehr Personal durchsetzten", heißt es in der kürzlich neu aufgelegten Broschüre "Krankenhäuser – Entlastung per Tarifvertrag" des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Inzwischen konnte ver.di in bundesweit 15 Kliniken tarifliche oder betriebliche Vereinbarungen zur Entlastung der Beschäftigten abschließen.

So auch am Universitätsklinikum des Saarlandes. Dort hatten sich 2018 nahezu 98 Prozent der ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen, um auf den Arbeitsdruck durch Personalmangel hinzuweisen. In dieser Situation unterschrieb der Arbeitgeber eine Vereinbarung zur Entlastung, die unter anderem 145 zusätzliche Stellen, 130 davon für den Pflegebereich, vorsah.

Doch bis heute hat sich die Personalsituation kaum verändert, weiß Susanne Reimer-Jahr, langjährige OP-Krankenschwester und Vorsitzende des Landesfachbereichs 3. "Durch Neueinstellungen konnten wir in etwa das ausgleichen, was wir an Abgängen hatten, aber ein Stellenzuwachs in der Pflege ist nur bedingt gelungen."

Was in die Praxis umgesetzt wird, sind die 2018 ebenfalls vereinbarten Entlastungstage, die im Universitätsklinikum "ver.di-Tage oder auch "UDO-Tage" heißen, nach der "Unterbesetzungsdokumentation", in die die Pflegekräfte ihre Mehrbelastung eintragen: Für jede personell unterbesetzte Schicht gibt es danach einen Punkt. Für 12 Punkte ist ein UDO-Tag fällig. "Die Punkte aus den drei laufenden Dienstplanmonaten müssen im folgenden Dienstplanturnus bei den freien Tagen unter Absprache mit den Beschäftigten berücksichtigt werden", so Susanne Reimer-Jahr.

Für Freizeit punkten

Derzeit verhandelt die ver.di-Tarifkommission mit dem Arbeitgeber über eine Anpassung der Vereinbarung, weil sich die Punktezahl für die bezahlten UDO-Tage jedes Jahr reduzieren soll, von zwölf auf elf auf zehn. Außerdem sollen die Teilzeitkräfte den vollarbeitenden Kolleg*innen gleichgestellt werden beim Anspruch auf die Extra-Freizeit. Vor allem aber sollte endlich der Pflegepersonalspringerpool mit den vereinbarten 49 Vollzeitstellen aufgebaut werden, findet Susanne Reimer-Jahr. "Es gibt sehr viele Pflegekräfte, die etwa nach und in der Elternzeit gerne wieder arbeiten würden, aber zu bestimmten Zeiten. Leider sind wir hier an der einen oder anderen Stelle noch zu unflexibel." Ein Umdenken sei dringend nötig.

Gudrun Giese