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Stadtgärten, in denen Städter*innen wie hier auf dem Tempelhofer Feld in Berlin Gemüse anbauen, sind schon seit Jahren ein neuer grüner DealFoto: Joerg Brueggemann/Ostkreuz

Die Wissenschaft hat in den letzten Wochen mehrfach auf den engen Zusammenhang von Artenschwund und Ausbrüchen von Pandemien hingewiesen. Im Klartext: Wenn wir weitermachen wie bisher, wird bald die nächste Viruswelle auf uns zu rollen. Zwar fokussiert sich die Aufmerksamkeit gegenwärtig fast vollständig auf Corona und die Folgen. Tatsächlich aber ist die Lage noch viel dramatischer. Klimaerhitzung und Verlust der Biodioversität bedrohen die Zukunft der Menschheit. Überschwemmungen und Dürren nehmen zu, ganze Lebensräume drohen zu kollabieren, Missernten, Hungerkatastrophen und daraus resultierende Kriege sind absehbar. Wir müssen umsteuern, weil es ums Ganze geht.

In der Not regelt der Markt nichts

Die Corona-Krise eröffnet die einmalige Chance für einen sozialökologischen Umbau. In den vergangenen Wochen ist auch deutlich geworden: Der Staat ist fähig zu radikalen Schritten – und der Markt regelt in Notsituationen gar nichts. In den kommenden Monaten wird unvorstellbar viel öffentliches Geld fließen, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Wie diese Milliarden eingesetzt werden, entscheidet über die Zukunft.

Die Gefahr ist groß, dass die Bundesregierung mit den Milliardenhilfen die gleichen Fehler macht wie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Damals stabilisierte sie das Alte. Sie rettete Banken, unterstützte die Autoindustrie durch eine Abwrackprämie und setzte südeuropäische Länder unter Druck, ihre Sozialsysteme abzubauen. Wenige Jahre später waren die Vermögenden noch reicher als zuvor und die CO₂-Emissionen im Verkehr sind weiter gestiegen.

In Deutschland haben sich die Automanager mal wieder in die Pole-Position manövriert. Sie verlangen von der Politik „Umweltprämien“ zur Absatzsteigerung – nachdem sie den Umstieg auf Elektromobilität verschlafen und im vergangenen Jahr so viele SUVs verkauft haben wie nie zuvor. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) signalisierten bereits Unterstützung. Derweil stehen viele Läden, Theater, Kneipen und Verlage vor der Pleite, Millionen Menschen drohen ihre Arbeit zu verlieren. Zugleich schießen die Umsätze des Onlinehändlers Amazon durch die Decke.

Was tatsächlich systemrelevant ist, zeigt die Corona-Krise. Dazu gehören funktionierende Gesundheits-, Forschungs- und Bildungssysteme, die Versorgung mit Lebensmitteln, menschliche Fürsorge, digitale Kommunikation und eine intakte Natur. Ziel der riesigen Konjunkturpakete muss deshalb sein, sichere Arbeitsplätze zu schaffen, die dem gesellschaftlichen Bedarf entsprechen und umweltschonend sind: Beschäftigte bilden junge Menschen aus und unterstützen Ältere bei der beruflichen Neuorientierung. Andere dämmen Wohnungen, bauen Infrastrukturen für erneuerbare Energien und emissionsfreie Mobilität.

Auch im Gesundheitswesen und in der Pflege braucht es mehr Personal. Benötigt werden zudem zusätzliche Arbeitskräfte, die gute Nahrungsmittel für den regionalen Markt produzieren und die Landschaft pflegen. Schließlich müssen auch Software-Programme geschrieben werden, die eine ressourcenschonende Mobilität, Wissensaustausch und demokratische Entscheidungsfindungen ermöglichen – Datenschutz inklusive.

Emissionen senken, Arbeitsplätze schaffen

Zu tun gibt es genug. Doch dass die Entwicklung in diese Richtung geht, setzt klare politische Vorgaben voraus. Ein Schlagwort macht die Runde: „Green New Deal“. Die Grundidee wurde vor über zehn Jahren entwickelt und sieht eine massive Förderung klimafreundlicher Techniken vor. Im vergangenen Herbst hat die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Ansatz zum Leitmotiv erkoren. „Der Green Deal wird die Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und unsere Lebensqualität verbessern“, kündigte sie an, blieb bei der konkreten Ausgestaltung jedoch vage. 13 EU-Umweltminister*innen forderten jetzt, bei den anstehenden Konjunkturprogrammen „den Versuchungen kurzfristiger Lösungen als Antwort auf die gegen-wärtige Krise“ zu widerstehen.

Auch im EU-Parlament gibt es Initiativen; eine wird von Gewerkschafter*innnen, Managern und Nicht-Regierungsorganisationen unterstützt. Allerdings droht der Begriff „Green New Deal“ zu einer Wunder-Tüte zu verkommen, wenn alle was hineinpacken dürfen. So äußert der oberste Auto-Lobbyist Bernhard Mattes: „Der ,Green Deal' ist dann eine Chance für effektiven Klimaschutz, wenn er auf marktwirtschaftliche Instrumente setzt und die Kraft technischer Innovationen wirken lässt.“

Worauf es jetzt ankommt, ist die konkrete Ausgestaltung der Konjunkturprogramme, wer Einfluss darauf nimmt und wer davon profitiert. Geht es vor allem um ein Weiter-so, die Förderung neuer Geschäftsfelder und Techniken – oder um einen neuen Gesellschaftsvertrag?

Mehrere Milliarden Bäume

Um Voraussetzungen für einen echten Neuanfang auszuloten, lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher. „New Deal“ bedeutet: Die Karten neu mischen. Genau das tat US-Präsident Franklin Roosevelt in der Wirtschaftskrise nach dem Börsenkrach 1929, den riskante Wertpapiergeschäfte ausgelöst hatten. Viele Banken waren zusammengebrochen, Unter- nehmen gingen reihenweise pleite, fast ein Viertel der Beschäftigten verlor den Job. Die Lage vieler Menschen war verzweifelt, die Gesellschaft tief gespalten.

„Es muss eine strenge Überwachung aller Bankgeschäfte, Kredite und Investitionen eingerichtet werden, um den Spekulationsgeschäften mit anderer Leute Geld ein Ende zu machen“, sagte Roosevelt in seiner Antrittsrede am 4. März 1933. Er entmachtete den Finanzsektor, befreite die staatliche Geldpolitik von den Marktkräften und ordnete sie seiner demokratisch gewählten Regierung unter. Dann legte er ein gigantisches Investitionsprogramm auf, bei dem die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zentrum stand. Ländliche Regionen wurden elektrifiziert, Schulgebäude gebaut, das Sozialsystem verbessert – und weil die Leute Geld verdienten, bezahlten sie jetzt wieder Steuern. Außerdem ließ die Regierung mehrere Milliarden Bäume in den zentralen US-Bundesstaaten pflanzen, wo verheerende Staubstürme den Ackerboden wegfegten, nachdem Bauern über Jahre das Präriegras entfernt hatten.

Grundbedürfnisse und Gemeinwohl

Ein „Green New Deal“, der diesen Namen verdient, könnte wie seinerzeit in den USA soziale und ökologische Probleme gleichermaßen angehen. Im Zentrum stünden Grundbedürfnisse, das Gemeinwohl und die Rettung der Erde. Das wäre freilich ein Bruch mit der Wirtschaft der vergangenen Jahrzehnte, wo es vor allem darum ging, aus Geld mehr Geld zu machen. Gesundheit, Bildung, Kultur – alles wurde unter das Diktat der Effizienz und ökonomischen Verwertbarkeit gestellt. Weil viel privates Geld Anlagemöglichkeiten suchte, wurden ständig neue Konsumbedürfnisse geschaffen. Aktionäre profitierten, während sich für viele Beschäftigte das Hamsterrad immer schneller drehte.

„Die Reichen reden über das Ende der Welt, wir haben Angst vorm Monatsende“, skandierten die Gelbwesten in Frankreich, als sie gegen eine höhere Benzinsteuer demonstrierten, mit denen Präsident Emmanuel Macron Klimaschutz finanzieren wollte. Ein echter „Green New Deal“ würde genau diesen Interessenkonflikt auflösen.

„Es geht darum eine Politik zu entwickeln, die uns allen ermöglicht, uns um beides zu kümmern: Maßnahmen zur Absenkung der Emissionen zu ergreifen und zugleich die Beschäftigten vom wirtschaftlichen Druck zu befreien“, fasst es die kanadische Autorin Naomi Klein zusammen. Dafür müssten die Regierungen die Konjunkturprogramme entsprechend gestalten und die Finanzmärkte entmachten. Dass sie zu radikalen Schritten fähig sind, haben sie in der Corona-Krise bewiesen. Nun brauchen sie den Mut, den Weg weiterzugehen – und unsere Unterstützung.