Ausgabe 05/2020
16 Jahre tariflos
Rund 70 Frauen und Männer stehen mit Plakaten und Transparenten vor der Geschäftsstelle von uni-assist e.V. in Berlin-Tempelhof. "Streiken ist gut. Verhandeln ist besser" und "Tarifvertrag für alle statt Befristungsfalle" ist auf einigen Schildern zu lesen. Es ist schon der dritte Warnstreik in dieser Woche. Der achte seit Ende Juni. Und auch morgen wird wieder gestreikt.
Von den rund 180 uni-assist Beschäftigten sind mittlerweile über 100 bei ver.di organisiert. Sie kämpfen gemeinsam für einen Tarifvertrag und aktuell um die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Denn trotz der vielen Warnstreiks der letzten Wochen wurden die von der Arbeitgeberseite eingefrorenen Verhandlungen mit der ver.di-Tarifkommission nicht wieder aufgenommen. Am 2. März 2020 war der bisher letzte Verhandlungstermin.
"Seitdem fanden keine Gespräche mehr statt, es gab nicht mal Möglichkeiten nachzufragen", sagt Stijn Kox, uni-assist-Beschäftigter und Mitglied der Tarifkommission. Es sei krass, wie der Arbeitgeber mit ihnen umgehe. "Er versucht uns zu spalten und müde zu machen, indem er uns ignoriert. Ich bin stolz, dass wir hier noch zusammen streiken – sowohl die unbefristet Beschäftigten als auch die befristet Beschäftigten."
uni-assist e.V. wurde im Jahr 2004 von deutschen Hochschulen gegründet, um Bewerbungen von internationalen Studieninteressierten an deutschen Hochschulen prüfen zu lassen – Zeugnisse, Sprachzertifikate und andere Zugangsvoraussetzungen der jeweiligen Hochschulen. Eine Tätigkeit, die vorher jede Hochschule selber machte. Der Verein ist eine Art outgesourcter Betrieb und Dienstleister für aktuell rund 170 Hochschulen in ganz Deutschland. "An sich sinnvoll, eine bundesweite Stelle, wo die Kompetenzen gebündelt sind", sagt Kox, "aber verbunden mit Tarifflucht." Während an den deutschen Hochschulen nach Tarif des öffentlichen Dienstes gezahlt wird, gibt es bei uni-assist bis heute keinen Tarifvertrag. Viele verdienen kaum mehr als den Mindestlohn.
50 Prozent befristet
"Wir übernehmen eine wichtige öffentliche Aufgabe und werden dafür nicht nach Tarif bezahlt", sagt Isabel, die seit 2018 bei uni-assist arbeitet und fast bei jedem Streik dabei ist. "Das ist ungerecht." Unerhört sei es, dass man hier seit 16 Jahren tariflos unterwegs sei,sagt Jana Seppelt, zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin. "Obwohl in der Satzung steht, dass die gleichen Bedingungen wie an den Mitgliedshochschulen gelten sollen." Seit März 2019 schon versucht ver.di mit uni-assist einen Haustarifvertrag zu verhandeln, der neben der Bezahlung nach Tarif des öffentlichen Dienstes auch Regelungen zu Befristungen und Entfristungen beinhaltet.
Etwa 50 Prozent der uni-assist-Beschäftigten sind befristet angestellt – viele mit sogenannten Lückenverträgen. Sie bekommen zwei Verträge, einen zum Frühjahr und einen zum Herbst. Dazwischen – im März und von September bis Oktober – sind sie arbeitslos. "Wir akzeptieren, dass wir ein Saisonbetrieb sind und nicht ohne Befristungen auskommen", sagt Stijn Kox. "Aber so was wie Lückenverträge, wo Leute über Jahre bei uns arbeiten und immer wieder drei Monate im Jahr arbeitslos gemacht werden, solche Kettenbefristungen möchten wir einfach zum Ende bringen und den Leuten stabile unbefristete Verträge anbieten."
Existenzängste, Schwierigkeiten bei Finanz- und Familienplanung und bei der Wohnungssuche – all das bedeutet ein befristeter Arbeitsvertrag. "Du bekommst keine Wohnung mit einem befristeten Vertrag in Berlin", so Isabel, die mittlerweile "zum Glück festangestellt" ist und kürzlich – dank ihres unbefristeten Vertrags – einen Mietvertrag unterschreiben konnte. "Aber viele meiner Kolleg*innen, die mit mir 2018 angefangen haben, sind immer noch befristet."
So auch Sarah, die heute auch wieder beim Warnstreik dabei ist. Sie ist seit März 2018 bei uni-assist beschäftigt, im mittlerweile 5. Vertrag. Zum 31. August läuft der wieder aus. "Erst im letzten Monat erfährt man, ob man weiter angestellt wird, und zwischendurch ist man immer wieder arbeitslos." Neben Sarah verlieren weitere 20 uni-assist-Beschäftigte der Abteilung Begutachtung zu Ende August ihren Job. Die Unsicherheit macht allen zu schaffen.
"Wir sind große Schritte auf den Arbeitgeber zugegangen, haben große Zugeständnisse gemacht", sagt Kox. Zurückweichen wollen sie aber nicht bei den Be- und Entfristungsregelungen. Daneben sind bessere Überleitungsregeln in den Tarifvertrag der Länder und eine angepasste Jahressonderzahlung für echte Saisonbeschäftigte wichtige Forderungen. Kox und seine Kolleg*innen hoffen, dass die Warnstreiks Wirkung zeigen und "dass die Hochschulen Druck machen auf uni-assist".
Die Verhandlungsverweigerung der Arbeitgeberseite gefährde die Zulassung zehntausender Bewerber*innen mit ausländischen Zeugnissen an den deutschen Mitgliedshochschulen, sagt Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für Bildung und Wissenschaft. "Jetzt ist auch der Bund gefordert, zu einer Lösung beizutragen, denn uni-assist erfüllt als Player im Rahmen der Internationalisierungsstrategie wichtige bundesweite Aufgaben."
Die Internetseite der Tarifinitiative ist jedenfalls voll mit Unterstützermails, auch von Mitarbeiter*innen von Hochschulen. Dr. Alexander Gallas von der Universität Kassel schreibt zum Beispiel: "Überall im Hochschulbereich werden Daueraufgaben von prekär Beschäftigten erledigt. Das kann nicht so weiter- gehen. Umso wichtiger Eure Initiative – viel Erfolg!" Oder Elisabeth Drescher von der HWR Berlin: "uni-assist leistet einen unverzichtbaren Beitrag für die Internationalisierung der Hochschulen und arbeitet direkt in deren Auftrag. Die Arbeitsverträge sollten selbstverständlich denen des öffentlichen Dienstes entsprechen und insbesondere sozialverträgliche Arbeitszeitmodelle beinhalten."
Bis zum Redaktionsschluss am 12. August waren die uni-assist-Beschäftigten noch im Warnstreik. Sollte die Arbeitgeberseite weiterhin nicht zu Verhandlungen bereit sein, kommt es am 18. August zur Urabstimmung für einen unbefristeten Streik.
Aktuelle Informationen unter: