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Eine Stadt ohne Autos ist keine Utopie mehrFoto: Paul Langrock/laif

Großstädterinnen und Großstädter werden sich eines Tages hoffentlich nicht nur daran erinnern müssen, wie ruhig und klar die Luft in der Stadt während der Corona-Pandemie gewesen ist. Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 war es nachts in Deutschlands Städten auf einmal nahezu still und die Luft roch fast wie auf dem Land. Der massive Rückgang des Auto- und Luftverkehrs – zumindest während dieses ersten Lockdowns – hatte die Menschen der Großstadt spüren lassen, wie lebenswert ein Leben in der Stadt sein kann. Eine andere Stadt, eine gesündere, eine Stadt mit deutlich weniger Auto- und deutlich mehr Rad- und Fußverkehr ist möglich – zumindest unter Pandemie-Bedingungen. Doch was lässt sich davon mit in das Leben nach der Krise nehmen?

"Die Zeit ist gekommen, die urbane Welt zu überdenken und umzugestalten. [...] Wir haben die Chance, besser aus der Krise hervorzugehen, indem wir die Städte widerstandsfähiger, inklusiver und nachhaltiger machen", sagte Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ende Juli 2020 in einer Videobotschaft. Vielerorts habe die Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass schneller als geplant neue Radwege und Fußgängerzonen entstanden. Vor allem die Luftqualität in den Städten habe sich dadurch nachweislich verbessert. Eine ökologische Wende in den Metropolen der Welt könne klimafreundliches Wachstum bringen und neue Arbeitsplätze schaffen, so Guterres. Nur, ob es soweit kommt oder wann es soweit sein wird, hängt von wichtigen Faktoren ab.

Öffentlichen Nahverkehr stärken

Mit dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr wurde der internationale Passagierflugverkehr auch von deutschen Flughäfen aus weitgehend eingestellt. Bei der Lufthansa blieben rund 700 von rund 760 Flugzeugen am Boden; die allermeisten verharren auch derzeit noch dort. Der Personenfernverkehr der Bahn nahm zwischenzeitlich um 90 Prozent ab, der städtische Personennahverkehr, der ÖPNV, um 70 Prozent im Vergleich zum Vor-Krisen-Niveau. Und obwohl viele Menschen auf den eigenen PKW umstiegen, um das Ansteckungsrisiko zu mindern, ging dennoch auch der Autoverkehr insgesamt deutlich zurück. Allein der Individualverkehr zu Fuß und per Rad hat zugelegt, ergibt die Studie "Ein anderer Stadtverkehr ist möglich", auch bekannt als "Agora Verkehrswende", die vom Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, dem VDV, dem Verband der deutschen Verkehrsunternehmen, und dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) beauftragt wurde.

Die sieben Leitlinien der Studie empfiehlt auch ver.di in ihren Forderungen nach einer ökologischen Verkehrswende mit Blick auf die in diesem Jahr im September anstehende Bundestagswahl. "Die kommunale Infrastruktur braucht Mobilitätskonzepte, die den öffentlichen Personennahverkehr stärken und dabei auch den ländlichen Raum einbeziehen. In diesen Konzepten müssen Anforderungen an Barrierefreiheit sowie an darüber hinausgehende individuelle Mobilitätsanforderungen enthalten sein. Ebenso die Nutzung nachhaltiger Energie im kommunalen ÖPNV (Stadt und Land) statt den Ausbau des Individualverkehrs mit Elektroantrieb", heißt es in den ver.di-Anforderungen an die Wahlprogramme 2021 der Parteien.

"Wir haben die Chance, besser aus der Krise hervorzugehen, indem wir die Städte widerstandsfähiger, inklusiver und nachhaltiger machen"
Antonio Guterres, UN-Generalsekretärt

Digitalisierung ist dabei im ÖPNV nicht mehr wegzudenken. Die meisten öffentlichen Verkehrsunternehmen stecken schon mitten drin im digitalen Wandel. Nicht nur der reine Fahrbetrieb wird durch neue digitale Technologien verändert, sondern auch die Werkstätten, der Service, das Marketing und die Verwaltung. Unter dem Projekttitel "Arbeitssteuerung 4.0" hat zum Beispiel die Aktiv Bus Flensburg GmbH schon 2016 das "Elektronische Fahrerhandbuch" in Form eines Tablets eingeführt. Mit dem E-Fahrerhandbuch werden allen Fahrer*innen in einer App betriebliche Informationen zur Verfügung gestellt, unter anderem Dienstpläne, Dienstanweisungen, Tarifinformationen, Baustellenumleitungen, Personalinformationen, Schadensmeldungen und auch Betriebsratsinformationen.

Ersatzteil aus dem 3D-Drucker

Fast futuristisch erscheint das 3D-Druck-Projekt der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG: Es geht dabei um Einsatzmöglichkeiten und Rahmenbedingungen für den 3D-Druck im Infrastruktur- und Werkstattbereich. Herausgefunden werden soll, ob und wann es praktikabel und sinnvoll ist, bestimmte Werkstücke selbst genau dann, wenn sie benötigt werden, mit einem 3D-Drucker herzustellen. Welche Tätigkeiten sich dadurch verändern, wie sich betriebliche Prozesse durch die Einführung von 3D-Druckern wandeln und welche Folgen dies für die Kompetenzentwicklung in der Arbeit und in den Qualifikationsstrukturen hat, sind Fragen, die im Projekt untersucht wurden und werden.

Solche Projekte brauchen Geld, viel Geld, das weder die Kommunen noch die Verkehrsbetriebe derzeit haben. Der krisenbedingte massive Rückgang der Fahrgäste im ÖPNV hat zu entsprechend großen Einnahmeverlusten geführt. Doch auch schon vor der Krise bezifferte das Difu den kommunalen Investitionsstau mit einer Höhe von 147 Milliarden Euro. Da müssen Bund und Länder einspringen, fordert ver.di. "ÖPNV-Unternehmen sind sehr breit aufgestellt: Fahrdienst, Werkstatt und Infrastruktur, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Verkehrsplanung. In allen Abteilungen kann Digitalisierung sinnvoll sein. Innovation erfordert aber zeitliche und finanzielle Ressourcen. Im Lichte des Kostendrucks, unter dem die Unternehmen stehen, wird Entwicklung schwer sein", sagt Mira Ball, ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Busse und Bahnen in der Broschüre "ÖPNV 4.0 – Den digitalen Wandel der Arbeit sozialpartnerschaftlich gestalten" (s. Meldungsspalte). Der ÖPNV stehe vor vielen Herausforderungen, wie hohem Altersdurchschnitt, Fachkräftemangel, und belastenden Arbeitsbedingungen.

Tatsächlich steht und fällt eine ökologische Verkehrswende mit den Investitionen und Fachkräften. In den nächsten zehn Jahren werden mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte in den Kommunen in Rente gehen, darunter auch viele ÖPNV-Beschäftigte. Schon heute fehlen dem ÖPNV aber rund 15.000 Fachkräfte. Laut der Agora-Studie sind Kommunen und Verkehrsunternehmen wegen der Arbeitsbelastung mangels Personal kaum noch in der Lage, neue Aufgaben zu übernehmen. Es ist daher an der Politik, jetzt die richtigen Weichen zu stellen.