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Nicht nur beim Online-Lebensmittelhändler Picnic ist der Umsatz im Coronajahr 2020 enorm gewachsen, auch bei anderen Handelsketten – doch wenn es um gute Löhne im Handel geht, läuft es plötzlich überall zähFoto: Gambarini/dpa-Bildfunk

Um die Kunden zum ersten Mal aus der Luft mit Lebensmitteln zu versorgen, wollte die Edeka kurz nach Ostern 300 Drohnen an den Start bringen. Die Nachricht erwies sich als echte Luftnummer. Sie war ein Aprilscherz. Dennoch: Die Digitalisierung macht bereits heute vieles möglich. Der Handel ändert sich rasant und bleibt insgesamt hochprofitabel, was in den gerade begonnenen Tarifrunden besonders zählt. Alle ver.di-Tarifkommissionen fordern ein deutliches Plus bei den Entgelten.

Die digitalen Prozesse hinterlassen Spuren in der Arbeitswelt. Virtuelle Einkaufstouren und Showrooms, Robotereinsätze und neue Bestellsysteme stellen keine Randthemen mehr dar. Click & Collect ist fast schon Alltag. Eine deutliche Sprache sprechen die bei Online-Verkäufen erzielten Umsätze: Sie sind – nicht zuletzt durch Corona bedingt – im vergangenen Jahr um 20,8 Prozent auf 71,5 Milliarden Euro gestiegen.

"Wir sind keine Technikgegner oder Maschinenstürmer", sagt Orhan Akman, ver.di-Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel. "Aber wir wollen die Entwicklung in der Branche und die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen nicht dem Zufall oder alleine den Managern überlassen, sondern durch Tarifverträge gestalten." Eine Beteiligung der Beschäftigten und die Sicherung ihrer Jobs sind dabei besonders wichtig, wie die Forderungen an H&M und Ikea erkennen lassen. Sie sind aktuell gefragt, über Digitalisierungstarifverträge zu verhandeln, verweigern dies jedoch noch. Ikea brach kürzlich Verhandlungen ab, was zu betrieblichen Protesten geführt hat.

2020 war nicht nur online ein Rekordjahr: Trotz der Lockdowns hat der Einzel- und Versandhandel den Gesamtumsatz intensiv gesteigert. Es war das elfte Wachstumsjahr in Folge und die Erlöse lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes real um knapp vier Prozent höher als 2019; im Großhandel waren es 1,8 Prozent. Darin steckt Rekordarbeit – und sie wird in großen und kleinen Geschäften, in Versandzentren, Lägern, auf LKWs sowie in Büros geleistet.

Ohne uns kein Geschäft

Es gibt in den Tarifrunden also etwas zu verteilen, wenngleich Corona sich sehr unterschiedlich ausgewirkt hat. Während außer dem Versand- und Onlinegeschäft zum Beispiel auch der Handel mit Lebensmitteln und Baustoffen oder Pharmaprodukten enorm nach oben schnellte, gab es empfindliche Einbußen beim Mode- und Innenstadthandel sowie beim Verkauf von Maschinen und Ausrüstungen. Bei tarifgebundenen Unternehmen, die wegen der Pandemie in die Krise geraten sind, ist ver.di im Handel deshalb offen für tarifpolitische Lösungen, um damit die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen abzusichern.

Als Slogans haben die Tarifkommissionen "Ohne uns kein Geschäft!" beziehungsweise "Ohne uns kein Handel!" gewählt, denn sehr viele Beschäftigte halten trotz extrem gestiegener Belastungen "den Laden am Laufen" oder müssen durch Kurzarbeit empfindliche Gehaltseinbußen hinnehmen. Das braucht dringend einen Ausgleich, verlangt Respekt und Anerkennung.

Hauptanliegen von ver.di im Einzel- und Versandhandel ist es, die Löhne und Gehälter um 4,5 Prozent und um 45 Euro zu erhöhen. Mit Blick auf eine Mindestabsicherung im Alter wird als nächster Schritt auch ein tariflicher Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde gefordert. Die Auszubildenden sollen in der Regel 100 Euro mehr im Monat bekommen. Verhandlungsstart ist Anfang Mai.

"Wir wollen in jedem Fall tabellenwirksame Erhöhungen durchsetzen, auf denen dann auch in den kommenden Tarifrunden wieder aufgebaut wird", sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. "Mit Einmalzahlungen lassen sich die Beschäftigten nicht abspeisen. Und wir werden auch auf die Straße gehen, um gute Tarifabschlüsse durchzusetzen."

Für den Groß und Außenhandel ist die Spannbreite der Forderungen relativ groß. Sie bewegen sich zwischen 4,5 Prozent plus Festbetrag und 6 Prozent, wobei alternativ Festbeträge bis zu 199 Euro verlangt werden. In Sachsen sollen die Arbeitgeber 1 Euro mehr pro Stunde zahlen.

Angst vor Altersarmut ist sehr groß

"Die Angst vor Altersarmut ist sehr groß, weil es bei den Einkommen hinten und vorne nicht reicht", fasste Jürgen Schulz (Saturn) von der Großen Tarifkommission für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen kürzlich die Ergebnisse einer Tarifbefragung zusammen, in die fast 900 Betriebe einbezogen waren. Untermauert wird dies durch eine aktuelle Studie, wonach jede zweite Verkäuferin in Nordrhein-Westfalen nur einen Niedriglohn bezieht. Dumping prägt bereits weite Teile des deutschen Einzel- und Versandhandels, wo durch anhaltende Tarifflucht inzwischen rund 80 Prozent der Betriebe nicht mehr an die Flächentarifverträge gebunden sind.

Neben einem deutlichen Gehaltsplus fordert ver.di deshalb für den gesamten Handel die sogenannte Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifverträge (AVE), die dann für alle Betriebe gelten würden. Eine gemeinsame Beantragung bei den Arbeitsministerien, die dafür notwendig wäre, haben die Arbeitgeberverbände bisher verweigert. Die Mobilisierungen für spürbar bessere Einkommen und für die AVE sind in vollem Gange.