Notfälle und der Anblick schwerster Verletzungen gehören in einer Großklinik wie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zum Alltag. Doch auch dort gibt es immer wieder Erlebnisse, die die Betroffenen übermäßig belasten. Seit dem vergangenen Jahr können sie sich an geschulte Krisenbegleiter*innen wenden. Für dieses vom Personalrat mitinitiierte Projekt gab es bei der diesjährigen Verleihung des Deutschen Personalrätepreises die Auszeichnung in Bronze.

Das neue Angebot komme sehr gut bei den Beschäftigten an, stellt Nils Hoffmann fest, der Personalratsvorsitzende der MHH. "Die Krisenbegleitung wird nicht jeden Tag nachgefragt, aber in bestimmten Situationen verstärkt benötigt." So etwa nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. "Wir haben zum Teil langjährige Beschäftigte aus der Ukraine, die sich im Februar größte Sorgen um ihre Angehörigen daheim machten. Da haben sich viele an die Krisenbegleitung gewandt. Dass traumatische Erlebnisse am Arbeitsplatz angemessen aufgearbeitet werden sollten, hatten Beschäftigte bereits im Rahmen einer Befragung zur Gefährdungsbeurteilung aufgeführt. Auch das war ein Grund für das 2018 gestartete Projekt.

Darüber hinaus gab es schwer belastende Situationen, bei denen Beschäftigte eine angemessene Unterstützung vermisst hatten: "Vor einigen Jahren verstarb eine Pflegekraft aus der Anästhesie während eines Einsatzes. Kolleg*innen, die mit ihr im Dienst waren, fühlten sich anschließend mit dem Erlebten allein gelassen", erinnert sich Nils Hoffmann. Ähnlich war es beim Arbeitsunfall eines Technikers, der HIV-Viren ins Auge bekam. Auch er hätte eine Krisenbegleitung gut brauchen können.

Schließlich wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, zu der Mitarbeiter*innen verschiedenster Bereiche der MHH gehörten, etwa des Zentrums für Seelische Gesundheit, des Betriebsärztlichen Dienstes und der Kinderintensivstation 67. Zentral mitgewirkt hat auch ein Arbeits- und Organisationspsychologe.

Nachdem die entsprechenden Gelder bewilligt worden waren, begann im Juni 2020 die Aus- und Fortbildung der künftigen Krisenbegleiter*innen. Angeleitet wurden die 64-Stunden-Kurse von qualifizierten Mitarbeiter*innen des Netzwerks Psychosoziale Notfallversorgung. Seit Januar 2021 stehen nun 35 ausgebildete Kräfte allen MHH-Mitarbeiter*innen zur Verfügung. "Auch aus dem Personalrat haben sich einige Kolleg*innen entsprechend schulen lassen, sodass wir aus erster Hand erfahren, wie wichtig dieses Angebot ist und dass es großen Bedarf dafür gibt", sagt Nils Hoffmann.

"Vor einigen Jahren verstarb eine Pflegekraft aus der Anästhesie während eines Einsatzes. Kolleg*innen, die mit ihr im Dienst waren, fühlten sich anschließend mit dem Erlebten allein gelassen." Nils Hoffmann, Personalratsvorsitzender

Alle Krisenbegleiter*innen übernehmen die Aufgabe im Rahmen ihrer eigentlichen Arbeit; sie werden für die Krisenbegleitung freigestellt. "Es sind genügend Leute; so besteht keine Gefahr, dass ein Arbeitsbereich durch gelegentliche Einsätze in der Krisenbegleitung zu starke Personaleinbußen hätte." Wer Hilfe in Anspruch nehmen möchte, findet nun zu geschulten Kolleg*innen, die jederzeit ansprechbar sind. Im Mittelpunkt einer Krisenbegleitung stehen die Schilderung und das Nachspüren des Erlebten sowie die Hilfe im Umgang mit dem Ereignis. "Bei Bedarf kann durch die Krisenbegleiter*innen ein weitergehendes Unterstützungsangebot gemacht oder eine weiterführende psychotherapeutische Unterstützung vermittelt werden", erläutert Nils Hoffmann.

Damit möglichst sämtliche der rund 11.000 MHH-Beschäftigten von Anfang an über das neue Angebot informiert waren, wurden verschiedene Kanäle wie die hauseigene Zeitung, das Intranet, Mails, Videokonferenzen und auch persönliche Kontakte genutzt. Namen und Daten der Krisenbegleiter*innen sind für alle Beschäftigten zugänglich. Erreichbar ist ein*e Helfer*in praktisch rund um die Uhr. "Nachts, an Wochenenden und Feiertagen kann vor allem Kontakt zu Krisenbegleiter*innen Kontakt aufgenommen werden, die im klinischen Bereich arbeiten." Der Personalrat plant nun, das relativ neue Angebot öffentlich noch mehr bekannt zu machen. Die Verleihung des Deutschen Personalrätepreises in Bronze dürfte dazu bereits einen wichtigen Beitrag geleistet haben.

Alle Ausgezeichneten

Deutscher Betriebsrätepreis:

Die Silber-Trophäe ging in diesem Jahr an den Betriebsrat der privaten Schön Klinik SE, Neustadt in Schleswig-Holstein, für die Sicherung der Mitbestimmung im Unternehmen durch Gründung eines Gesamt- und eines Konzernbetriebsrats.

Den Sonderpreis "Moderne Ausbildung" und den "Publikumspreis" erhielt die Jugend- und Auszubildendenvertretung der Helios Klinik im thüringischen Sangerhausen für eine Betriebsvereinbarung, die die praktische Ausbildung detailliert regelt.

Deutscher Personalrätepreis:

Silber ging an den Gesamtpersonalrat der Landeshauptstadt Stuttgart für seine Rahmendienstvereinbarung zur Gestaltung des digitalen Wandels – ver.di publik berichtete in Ausgabe 7/22 über das Projekt.

Bronze gab es für den Personalrat der Medizinischen Hochschule Hannover für den Aufbau seiner vorbildlichen Krisenbegleitung.

Den erstmals vergebenen Sonderpreis des Versicherungsunternehmens Debeka erhielt der Gesamtpersonalrat der Stadtverwaltung Oberhausen für die tarifliche Absicherung von Beschäftigten sowie den Aufbau eines Personalrates bei der Gründung eines Eigenbetriebes für die Servicebereiche der Stadt Oberhausen – das Projekt wurde in ver.di publik 6/22 vorgestellt.

Der Sonderpreis der DGB-Jugend ging an die Jugend- und Ausbildungsvertretung der Stadtverwaltung Essen für filmische Überzeugungsarbeit. gg