Solarbetrieben auf zwei Rädern durch die Wengeraufotos: Bernhard Bergmann

Jüngste Klimastudien prophezeien den Alpen das Verschwinden des Schnees. Im österreichischen Werfenweng sorgt man sich nicht um ausbleibende Touristen. Die blieben schon einmal weg. Seither setzt das Dorf auf sanfte Mobilität

VON PETRA WELZEL

FOTO: BERNHARD BERGMANN

Sanft MobilI: Radfahren

Der Schein trügt: Mangels Touristen verliert nicht einmal das Blasorchester den Kopf

Sanft mobil ist auf jeden Fall das Rad. In vielen Regionen hat sich mit den Genussradlern und den Sportfreaks die touristische Klientel deutlich verjüngt. Beispielsweise in Mainfranken. Auf dieses Publikum setzen auch Julia und Markus Schneider mit ihrem Weingut in Volkach. Neuer Wind ist längst auch in Restaurants und Gaststätten eingezogen. Der heimatfühlige Mief der 60er-Jahre wurde vielerorts ausgetrieben. In dem modernen Bau der Winzergenossenschaft Divino in Nordheim gibt es neben dem traditionellen Bocksbeutel auch neue Schnäpse, ungewöhnliche Öle oder flaschengegärten Sekt. Die Mainschleife ist eine Kulturlandschaft mit hohem Gebrauchswert. Bei den Umfragen des deutschen Fahrradclubs, ADFC, steht Franken stets unter den beliebtesten deutschen Radregionen. Infos: www.fraenkischesweinland.de Radwegenetz: www. frankentourismus.de. Die Bahn bietet zwischen Mai und Oktober den Main-Radzug entlang des Main-Radweges an www.bayern-fahrplan. de. Übernachtungsverzeichnisse gibt's unter www.bettundbike.de

Sanft Mobil II: Pilgern

Seit Hape Kerkeling über sein Reinkarnationserlebnis auf dem spanischen Pilgerweg nach Santiago de Campostella schrieb, ist die Lust am Pilgern auf den Bestseller-Listen angekommen. Ein Wanderweg auf der historischen Via Regia, ehemals Königsweg oder Hohe Straße, geht von Görlitz an der Neiße bis Vacha an der Werra. Auf gut 450 Kilometern wurde die Via Regia als "Ökumenischer Pilgerweg" ausgeschildert. Es besteht ein Netz von ehrenamtlichen, christlichen Herbergen. In Tagesstreckenabständen gewähren Kirchgemeinden, Klöster, Begegnungsstätten oder Privatfamilien dem Pilger für eine Nacht Unterkunft, die er mit einer Spende entgelten kann. Einkaufsmöglichkeiten und Wirtschaften sind bei Wegstrecken über Land nicht immer gewährleistet, weshalb eine Notration an energiereicher Nahrung empfehlenswert ist. Der Pilgerführer ist zu beziehen über www.oekumenischer-pilgerweg.de, E-Mail info@oekumenischer-pilgerweg.de oder über Tel. 03643/815733 (Anrufbeantworter).

Sanft Mobil III: Langsame Stadt

Die mittelalterliche Altstadt von Hersbruck ist schnell erkundet. Die meisten Fachwerk-Fassaden sind restauriert. Es gibt ein Hirtenmuseum, das die Tradition der Hirten und ihre dorfnahen Weideflächen, den Hutanger beleuchtet. Es gibt einen kleinen Markt, kleine Geschäfte, Cafés. Die Preise in Hotels und Restaurants sind moderat, die Mittelgebirgslandschaft ideal zum Wandern - eine sechstägige Wandertour kostet mit Gepäcktransfer und Übernachtung mit Frühstück gerade mal 199 Euro. 2001 wurde Hersbruck erste deutsche "citta slow". Die Idee stammt aus Italien und hat sich aus der Slow Food-Bewegung entwickelt. Ziel ist es, nachhaltig zu agieren, regionale Wirtschaftskreisläufe zu fördern, die eigene Geschichte und den Erhalt charakteristischer Architektur zu pflegen. Bereits drei weitere deutsche Städte haben sich der slow city-Bewegung angeschlossen: Überlingen am Bodensee, Waldkirch bei Freiburg und das fränkische Schwarzbruck. Städte, die auf mehr Genuss in der Nähe setzen.

www.cittaslow.info

Fremdenverkehrsamt Hersbruck: www.frankenalb.de

Der Bürgermeister von Werfenweng ist kein Träumer. Aber Peter Brandauer hat da einen Traum. Eine Tiefgarage unter der Alm! Er möchte den Ort, in dem er geboren und aufgewachsen ist, in dem er mit 28 Jahren Österreichs jüngster Bürgermeister wurde, ernsthaft vom Auto befreien. Jedenfalls oberflächlich. Denn Peter Brandauer, heute 46, ist wirklich kein Träumer. "Tourismus verursacht Mobilität. Wir verteufeln das Auto also nicht. Aber wir zeigen, dass es Alternativen gibt", sagt er. Und die gehen so: Diejenigen, die mit dem PKW anreisen, können ihren Autoschlüssel für die Dauer ihres Urlaubs beim Tourismusverband abgeben. Im Gegenzug erhalten sie wie Bahnreisende den "Vorteils-Pass SAnfte MObilität", kurz SAMO-Pass. Im Winter können alle damit kostenlos den Ski-Bus, das Nachttaxi, den Shuttle runter nach Bischofshofen nutzen, sich eine Langlaufausrüstung leihen, mit Lamas trekken oder eine Schneeschuh-Wanderung machen. Im Sommer stehen diverse Solarmobile und Fahrräder zur Verfügung und noch mehr Aktiv- und Ausflugsangebote.

Die Au

In Werfenweng sollen die Gäste "enthasten", wünscht sich der Bürgermeister. Dafür ist er selbst sehr umtriebig. Das Handy ist sein steter Wegbegleiter. Die Gemeinde schwört er immer wieder auf die sanfte Mobilität ein, und sei es auf dem Dorffest mit dem Blasorchester, dessen Leiter er ist. Als die Gäste in den 90ern immer weniger wurden, fragte sich Brandauer, wie man sie zurückgewinnen könne. Da muss er wohl durch die Weiten der Wengerau gelaufen und auf die Alm gestiegen sein. Und sich gedacht haben: Eigentlich ist das hier doch wunderschön ohne Autos, ruhig, die Luft klar. Aber auch diesen Winter könnten die Urlauber wieder ausbleiben. Nach einer Woche Schnee taut es wieder.

Die Mücken

Überm Restschnee in der Werfenwenger Au kreisen die Mücken wie im Sommer überm Wassers. Man muss daraus keinen Elefanten machen. Aber man darf sich sicher sein: Die Zukunft der Alpen, die im letzten Dezember in einer Klimastudie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgemalt wurde, ist längst eingetreten. Beim Schneewandern von Insekten gestochen - das kann einem zumindest in diesem 820-Seelen-Dorf auf 1000 Meter Höhe in den Salzburger Alpen passieren. Das winterliche Stechvieh ist nicht nur eine evolutionäre Anpassung. Vielmehr ist es der lebende Beweis anhaltend steigender Temperaturen.

Der Weg rauf durch die Wengerau zur Gamsblickalm ist nicht sehr anstrengend. Selbst das Kind im Schlitten kriegt man hochgezogen, ohne dass die Arme hinterher länger sind. An der Erholung zerrt eher ein Mann im Landrover mit Allradantrieb, der sich über die Wanderer ärgert, die nicht sofort zur Seite springen. "Ich habe einen Berechtigungsschein, ich bin Wildbeobachter", posaunt er sein ungestümes Eindringen in die Natur hinaus. Die Gipfel des Tennengebirges stets im Blick, hätte der gern reisende Goethe wohl auch hier gedichtet: "Die Welt ist schön allüberall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual."

Die Autos

Längst ist das Auto als ein Hauptverursacher der Treibhausgase, die für die Erderwärmung sorgen, ausgemacht. Doch selbst an diesem Ort, wo sich wieder Pferdekutschen und -schlitten die Wege mit Autos teilen, scheint der Verzicht auf die motorisierten vier Räder schwer zu fallen. Da muss Brandauer wieder einmal ins Horn blasen für die sanfte Mobilität. Denn Werfenweng ist nicht mehr nur der Traum eines jungen Bürgermeisters, sondern inzwischen eine Pilot-Gemeinde in Österreich. Hier wird der Urlaub vom Auto nicht nur erprobt, sondern auch gemessen.

Der OECD-Studie zu Folge reiche allein eine durchschnittliche Temperaturerhöhung um einen Grad, um die verbliebenen 609 schneefesten Ski-Gebiete der Alpen auf 500 zu reduzieren. Bei einer Erwärmung um zwei Grad blieben 400 Orte übrig und so fort. Werfenweng müsste bereits bei ein Grad höheren Temperaturen auf seine Langlauf- und Abfahrtstouristen verzichten.

Der Käse

Als die Touristen in den 90ern zunehmend ausblieben, war die Not in Werfenweng groß. Die Menschen von der Alm konnten nicht vom Bergkäse allein leben, den sie hier noch selbst käsen. Deshalb sollten die Urlauber wiederkommen. Nun aber am besten mit der Bahn oder wenn schon mit dem Auto, dann sollten sie es wenigstens vor Ort nicht benutzen. Das begann vor zehn Jahren. Seither sind die Übernachtungen wieder gestiegen, von 165000 auf 212000 pro Jahr. Mehr als die Hälfte der Urlauber reist sanft mobil. Und Brandauer hat seine Idee nicht nur in Österreich weiter getragen, sondern inzwischen auch die Initiative "Alpine Pearls", Perlen der Alpen, ins Leben gerufen. In ihr haben sich 20 weitere Orte aus allen Alpen-Ländern zusammengeschlossen.

Die Ruhe

Werfenweng ist unter ihnen einer der kleinen, beschaulichen Flecken, weit verzweigt, mit Hotels und Pensionen im Bauernhausstil. Auch wenn die Autos noch nicht wegzudenken sind, gibt es hier wenigstens keine Tankstelle für sie. Auftanken können nur die Solarmobile an drei leuchtenden Solartanksäulen. Dass der Ortsteil am Ende der Wengerau Ruhdorf heißt, ist keine Illusion. Dort findet man Ruhe. Und offenbar auch Gewissheit. "Wenn es die Ski-Touristen nicht mehr gibt, dann werden wir auch nicht untergegangen sein", glaubt der Bürgermeister, wenn er den Klimawandel weiterdenkt. Eine Studie im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsbundes dürfte ihn außerdem beruhigen. Danach wird die Attraktivität der nördlichen Urlaubsziele mit der Erderwärmung zunehmen. Schnee hin oder her.

Der Schein trügt: Mangels Touristen verliert nicht einmal das Blasorchester den Kopf

Tourismusverband Werfenweng, Weng 138, A-5453 Werfenweng, Tel. +43/64664200, E-Mail tourismusverband@werfenweng.org

www.werfenweng.org

www.alpine-pearls.com