Überfällig ist die neue Entgeltordnung für den öffentlichen Dienst. Sie legt fest, wer wieviel verdient. Darüber will ver.di jetzt mit den Arbeitgebern verhandeln

Andreas Gehrke leitet den ver.di-Arbeitsstab zur Entgeltordnung

ver.di PUBLIK | Warum eine neue Entgeltordnung?

Gehrke | Mit dem Abschluss des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) im Jahre 2005 wurde zwar eine neue Entgelttabelle in Kraft gesetzt, für die Eingruppierung gelten übergangsweise aber immer noch die alten Vorschriften. Im nächsten Schritt müssen die Tätigkeiten nun neuen Entgeltgruppen zugeordnet werden. Erst dann ist das Tarifrecht komplett neu gestaltet.

ver.di PUBLIK | Was ist an der bisherigen Regelung schlecht?

Gehrke | Bisher gelten tatsächlich mehr als 17000 Tätigkeitsmerkmale. Viele davon sind ungenau oder längst überholt. Das System ist nicht transparent, und wichtige Kriterien fehlen völlig, etwa die soziale Kompetenz.

ver.di PUBLIK | Für wen soll die neue Eingruppierung gelten?

Gehrke | Zunächst für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen. Später folgen die Länder.

ver.di PUBLIK | Ende 2007 laufen die Übergangsfristen bei Bund und Kommunen aus. Hängen die Beschäftigten dann in der Luft?

Gehrke | Nein, die alten Vorschriften gelten zunächst weiter. Sollten die Arbeitgeber sie aber zum 31. Dezember 2007 kündigen, müssen wir das Problem in der Tarifrunde 2008 lösen. Dringend anzupassen sind die Fristen und Termine im Übergangsrecht für Zeit-, Bewährungs- und Tätigkeitsaufstiege. Diese Regelungen gelten nur bis September 2007. Das reicht nicht mehr aus, da über die neue Entgeltordnung zurzeit ja noch nicht einmal verhandelt wird.

ver.di PUBLIK | Muss jemand Einbußen befürchten, wenn die neue Entgeltordnung kommt?

Gehrke | Einsparungen zu Lasten der Beschäftigten darf es nicht geben. Das erreichte Niveau muss erhalten bleiben.

ver.di PUBLIK | Wie funktioniert das neue modulare ver.di-Modell, das die Bundestarifkommission empfiehlt?

Gehrke | Die für eine Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten sollen die Grundmerkmale der Eingruppierung sein. Hinzu kommen Zusatzmerkmale, die bisher kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden: Selbstständigkeit, Verantwortung, Schwierigkeit, soziale Kompetenz und physische oder psychische Anforderungen. Jedes erfüllte Zusatzmerkmal führt dazu, dass die Beschäftigten um eine Entgeltgruppe höher eingruppiert werden. Ein weiteres Element soll den Beschäftigten mit (an)leitenden Aufgaben ein höheres Einkommen bringen.

ver.di PUBLIK | Werden die Bereiche, in denen ver.di stark ist, belohnt und die Organisationsschwächeren bestraft?

Gehrke | Die neue Entgeltordnung muss den Bedürfnissen von Sparten, Branchen und Regionen gerecht werden, gleichzeitig aber alle Beschäftigten ausreichend sichern. Deshalb planen wir neben dem "Allgemeinen Teil" auch "Besondere Teile" mit Funktionsmerkmalen für einzelne Berufe oder Berufsgruppen. Es soll außerdem weiter möglich sein, in den Landesbezirken günstigere Regelungen zu vereinbaren. Für Tätigkeiten, die nicht in einem besonderen Teil geregelt sind, gilt immer der allgemeine Teil. Dafür muss also gemeinsam gekämpft werden - egal ob der Organisationsgrad stark oder schwach ist. Ob die besonderen Teile der Entgeltordnung dann für sich allein gekündigt und damit eigenständig umkämpft werden können, ist noch nicht klar, darüber muss weiter diskutiert werden.

ver.di PUBLIK | Wird gleichwertige Arbeit - zum Beispiel in typischen Frauenberufen - künftig endlich gleich bezahlt?

Gehrke | Diskriminierungsfreiheit ist ein wichtiges Ziel für uns. Nach unserem Modell wird deshalb stets geprüft, welche Zusatzmerkmale erfüllt sind. Die soziale Kompetenz zum Beispiel betrifft Tätigkeiten, in denen überwiegend Frauen arbeiten.

ver.di PUBLIK | Was wollen die Arbeitgeber?

Gehrke | Bislang haben sie sich nicht einmal bereiterklärt, die Verhandlungen mit uns fortzusetzen. Wir wissen auch nicht, ob sie an einem eigenen Vorschlag für eine neue Entgeltordnung arbeiten.

ver.di PUBLIK | Wie geht's nun weiter?

Gehrke | Nach dem ursprünglichen Plan sollte unmittelbar nach Abschluss des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst über die neue Entgeltordnung verhandelt werden. Wegen des Streits um die Arbeitszeit im letzten Jahr sagten die Arbeitgeber den für März 2006 vereinbarten Termin ab, ein neuer existiert bisher nicht. Unsere Bundestarifkommission hat sie daher aufgefordert, endlich mit ver.di weiter zu verhandeln. Sollten sie sich weigern, wäre die nächste Tarifrunde schwer belastet.INTERVIEW: HERMANN SCHMID