Alle kennen die Lidl-Kampagne. Und sie wirkt nicht nur in den Discountmärkten

"Aktion Denkzettel": 120000 Karten an Lidl-Eigentümer Schwarz

Das Image des Discounters Lidl hat neue Kratzer bekommen; die ver.di-Kampagne für Menschenwürde im Betrieb wirkt weiter. In NSU, wie die Neckarsulmer Zentrale genannt wird, gibt man sich nach außen gelassen. Bei internen Sitzungen dagegen haut Geschäftsführer und Taktgeber Klaus Gehrig (59), der gemeinsam mit dem Eigentümer Dieter Schwarz auch die Schwesterkette Kaufland dirigiert, öfter laut auf den Tisch, berichten Insider.

Anlass für Ärger bot im Mai eine Marktforschungsstudie des Nürnberger Puls-Instituts, bei der 16 Prozent der Beteiligten Lidls Sozialverhalten als "mangelhaft" einstuften. Neun Prozent halten es sogar für "ungenügend". Die repräsentative Untersuchung ging auch der Frage nach, wie stark Unternehmen abgelehnt werden, wenn sie sich nicht sozialverantwortlich verhalten. Die schlechtesten Werte erzielten neben Müller-Milch zwei Unternehmen, bei denen ver.di offensiv Missstände angreift: Lidl und Schlecker. Dort kaufen inzwischen 3,8 bzw. 3,6 Prozent der Befragten bewusst nicht ein, während es bei Discountern generell nur 0,6 Prozent sind. Dazu sagt der Marktforscher Konrad Weßner vom Puls- Institut: "Eine solche Beurteilung kann mittelfristig Marktanteile kosten."

Die Aktion

"Dieses Risiko haben sich die Firmen selbst zuzuschreiben", betont Rainer Kau, der die ver.di-Kampagne zu Lidl koordiniert. "Bei Schlecker gibt es nach zehnjährigen harten Konflikten immerhin fast 110 Betriebsräte, doch in den Regionen ohne Interessenvertretung spielen viele Bezirksleiter - ähnlich wie bei Lidl - regelmäßig wilde Sau."

Das zu ändern braucht Zeit. Um erneut Druck zu machen, hat ver.di im April die "Aktion Denkzettel" gestartet. Zunächst wurden 50000 Postkarten mit dem Slogan "Fair ist mehr - für Mitbestimmung bei Lidl" gedruckt, die sich direkt an Lidl-Eigentümer Schwarz richten. Viele Kund/innen kündigen damit an, ihr Einkaufsverhalten davon abhängig zu machen, ob in seinen Unternehmen soziale Mindeststandards eingehalten werden. Wegen der großen Nachfrage hat ver.di inzwischen schon 120000 Karten gedruckt.

Verweigerung und Widerspruch spürt der Discount-Riese, der 2006 zusammen mit Kaufland europaweit auf rund 44 Milliarden Euro Umsatz kam, auch immer öfter bei seinen Ansiedlungsvorhaben. Drei Beispiele: In Schleswig-Holstein verlangt eine "Initiative unabhängiger Glückstädter Bürger" von der Stadtvertretung, sie möge eine weitere Lidl-Filiale verhindern. Im bayerischen Utting stimmten Anfang Mai 52,5 Prozent der Wähler/innen in einem Bürgerbegehren gegen den Discounter. Selbst im rumänischen Arad gibt es in diesen Tagen Einwohnerprotest gegen ein Kaufland-Projekt.

Die Erfolgsstory

Obwohl es weiter nur sehr wenige Betriebsräte gibt, ist die Ende 2004 gestartete Lidl-Kampagne eine Erfolgsstory. Der Nutzen für die Beschäftigten wird selbst von ver.di-Gegnern anerkannt. Schließlich haben sich die Arbeitsbedingungen punktuell entspannt. "Ich war ja bisher kein Gewerkschaftsfan, aber es hat sich doch einiges verbessert", beginnen viele Gespräche mit Verkäuferinnen, die sich zu den Aktivitäten von ver.di und den Verbündeten der Gewerkschaft von attac und aus den beiden großen Kirchen äußern. Vor allem laufe die Erfassung und Bezahlung der geleisteten Stunden korrekter ab.

ver.di gewinnt Mitglieder - 564 Eintritte bei Lidl und 1070 bei Kaufland bis Ende 2006 - und Ansehen, da die Gewerkschaft sich offensiv für Menschenrechte im Betrieb einsetzt. In der Zeit wurde die Kampagne als "Prototyp für die moderne Gewerkschaftsarbeit" eingestuft.

Das Echo in den Medien hält an. Es reicht von Le Monde, wo ver.di-Chef Frank Bsirske als hartnäckiger Lidl-Kontrahent vorgestellt wurde, bis zu Menschen bei Maischberger, wo ein Verkaufsleiter von seiner Erfahrung mit der Lidl-Realität berichtete. Die von ver.dis Schwarz-Buch inspirierte TV-Doku "Die Billigheimer" haben schon sieben Millionen Zuschauer gesehen, auch der junge Lidl-Kollege aus einer norddeutschen Stadt, der dort jetzt den ersten Betriebsrat gründen will.