Auf ökologische und soziale Kriterien achten bei der Materialbeschaffung nur wenige Kommunen. Dabei könnte die öffentliche Hand als Großkunde eine Menge bewegen - und jedes einzelne Stück wird nur wenig teurer

Städtische Feuerwehr Düsseldorf: Die Hersteller ihrer Schutzkleidung garantieren die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnorm

Bettlaken für Krankenhäuser, Kloschüsseln für Kitas, Computer für die Amtsgerichte und Pflastersteine für die Fußgängerzone - niemand kauft in Deutschland so viel ein wie die Kommunen. Aufträge in Höhe von schätzungsweise 360 Milliarden Euro vergibt die öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr; etwa 60 Prozent davon werden aus Städte- und Gemeindekassen bezahlt.

Wer solch ein Großkunde ist, kann seinen Lieferanten Bedingungen stellen - eigentlich. Doch in den meisten Fällen gehen die Einkäufer davon aus, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als das billigste Angebot auszuwählen. Ob Menschen dafür als Schuldknechte in indischen Steinbrüchen geschuftet oder bis zum Umfallen an einer Maschine gesessen haben, spielt bei der öffentlichen Beschaffung fast nirgends eine Rolle. Auch dass ein Betrieb in Deutschland viele Langzeitarbeitslose beschäftigt, geht bei der Auswahl des Lieferanten nicht als Pluspunkt in die Bewertung ein. Solche Aspekte gelten als "vergabeferne" Kriterien - schließlich lässt sich der Vorteil von anständigen Arbeitsbedingungen nicht am Produkt selbst nachweisen.

Neuss und Düsseldorf sind Vorreiter

Zwar kommen inzwischen mehrere Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass die öffentliche Hand sehr wohl soziale und ökologische Kriterien anlegen darf, wenn sie über die Vergabe von Aufträgen entscheidet. Andere Juristen bezweifeln das und mahnen zur Zurückhaltung: Unterlegene Anbieter könnten klagen. Aus diesem Grund hat beispielsweise der Hamburger Senat eine Initiative für faire Beschaffung vor ein paar Jahren ausgebremst; gerade unternimmt die grüne Bürgerschaftsfraktion einen neuen Anlauf. Die Stadträte in Neuss und Düsseldorf haben sich dagegen nicht abschrecken lassen. Sie verlangen von ihren Lieferanten die Garantie, dass bei der Herstellung die sozialen Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingehalten werden.

Rechtssicherheit könnte das neue Vergabegesetz bringen, an dem verschiedene Bundesministerien zurzeit arbeiten. Seine Einführung ist notwendig, weil die EU vor drei Jahren eine Richtlinie erlassen hat, die nun alle Mitgliedsländer umsetzen müssen. "Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben", heißt es in dem EU-Dokument. Soziale und umweltbezogene Aspekte werden explizit genannt. Eine Verpflichtung, solche Kriterien im nationalen Recht zuzulassen oder sogar verbindlich vorzuschreiben, stellt die EU-Vorgabe allerdings nicht dar.

Ein neues Netzwerk fordert verbindliche Regelungen

Vor allem das Bundeswirtschaftsministerium versucht zu verhindern, dass ein entsprechender Passus in die deutsche Gesetzesnovelle aufgenommen wird. ver.di und 36 andere Nichtregierungsorganisationen - darunter attac, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Weed, die VerbraucherInitiative und der Evangelische Entwicklungsdienst - wollen aber genau das erreichen. Sie haben sich zum "CorA Netzwerk für Unternehmensverantwortung" zusammengeschlossen und fordern Vorfahrt für Produkte, die unter anständigen Bedingungen gefertigt wurden. Andere EU-Länder wie Frankreich, Österreich und die Niederlande haben gezeigt, dass das geht. "Der Verzicht auf eine verbindliche Regelung in Deutschland wäre nicht nur ökologisch fatal. Verpasst würde auch die Chance, endlich einen entscheidenden Impuls für menschenwürdigere Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern zu geben," warnt ver.di-Sekretär Uwe Wötzel.

"Es kann nicht sein, dass wir für ein paar Cent pro Auftrag all das aufs Spiel setzen, wofür wir in Europa Jahrhunderte lang gekämpft haben", sagt auch Ursula Keller, Koordinatorin der lokalen Agenda 21 in Düsseldorf. Zusammen mit der städtischen Feuerwehr hat sie vor sechs Jahren ein Pilotprojekt initiiert. Seither muss jeder, der die Düsseldorfer Brandschützer mit feuerfesten Westen, T-Shirts oder Stiefeln ausstatten will, erklären, wie er die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte in der Produktion garantieren will. Inzwischen regelt die Vergabeordnung der Stadt Düsseldorf, dass für alle Beschaffungen die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnorm nachgewiesen werden muss. Dass das auch für gutwillige Händler nicht einfach ist, weiß die Agenda-Koordinatorin - von der Baumwollpflückerin über den Arbeiter in der Spinnerei bis hin zur Näherin sind sehr viele Menschen an der Herstellung eines Kleidungsstücks beteiligt; oft wandert es bis zur Fertigstellung sogar über mehrerer Kontinente. Ein kommunaler Beschaffer kann so etwas unmöglich überprüfen.

Deshalb muss das Ziel ein zuverlässiges Label sein, das von unabhängiger Seite überwacht wird. "Solche Lari-Fari-Selbstverpflichtungen wie bisher reichen nicht", stellt Christiane Schnura von der Kampagne für saubere Kleidung klar. Die meisten Firmen, die einen Verhaltenskodex verabschiedet haben, kontrollieren sich entweder selbst oder beauftragen eine ihnen genehme Organisation wie die BSCI, an der weder Gewerkschaften noch andere kritische Institutionen beteiligt sind. Selbst Jürgen Maas, Präsident der Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE), musste vor drei Monaten eingestehen, dass Selbstverpflichtungen nicht funktionieren. Bei einer Überprüfung von 2000 Zulieferunternehmen erfüllten gerade einmal magere sieben Prozent den Kodex, der seit 1999 für deutsche Handelsunternehmen gilt - und das, obwohl die Kontrollbesuche sogar angekündigt waren.

"Zuerst brauchen wir das Gesetz. Und wenn es dann gelingt, möglichst viele Kommunen ins Boot zu holen, werden sich die Firmen bewegen", beschreibt Christiane Schnura die Strategie des CorA-Netzwerks. Schließlich wird es kaum ein Unternehmen riskieren, Deutschlands mit Abstand größten Auftraggeber zu verprellen.

Weitere Infos zur CorA-Kampagne "Keine Ausbeutung mit Steuergeldern!" sowie eine Aktionspostkarte gibt's unter: www.cora-netz.de

Vorfahrt für Produkte, die unter anständigen Bedingungen gefertigt wurden