Die 153000-Einwohner-Stadt Neuss will so fair wie möglich einkaufen. Die Leiterin des Umweltamtes, Dagmar Vogt-Sädler, ist für die Umsetzung zuständig

ver.di PUBLIK | Neuss gilt deutschlandweit als Vorreiter in punkto faire Beschaffung. Wie kaufen Sie ein?

Dagmar Vogt-Sädler | Seit 1991 wird auf den Rats- und Ausschusssitzungen fairer Kaffee ausgeschenkt. Und sobald es Schokolade, Fußbälle und so weiter mit dem "Transfair"-Siegel gab, haben wir die auch eingekauft. Bei diesen Produkten gibt es die Garantie, dass sie ohne Ausbeutung hergestellt wurden. Aber bei vielem, was wir brauchen, existiert kein solches Siegel. Das gilt zum Beispiel für Dienstkleidung, Leder- oder Spielwaren. Deshalb hat Neuss Anfang 2006 als erste Stadt im Bundesgebiet beschlossen, nur noch Produkte - sofern verfügbar - zu berücksichtigen, die unter Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt wurden. Das betrifft das Verbot von Zwangsarbeit und der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, das Recht der Arbeiter, Vereinigungen zu gründen und kollektiv zu verhandeln - um nur einige zu nennen.

ver.di PUBLIK | Gewerkschaftsfreiheit gibt es in China nicht, und demnach dürfte Neuss dort auch nichts einkaufen.

Vogt-Sädler | Das sehe ich nicht so. Zwar hat China die entsprechende ILO-Norm nicht unterzeichnet. Aber es gibt ja Unternehmen in China, die in ihren Produktionsstätten Versammlungs- und Verhandlungsfreiheit erlauben. Und eine verstärkte Nachfrage in diese Richtung kann den Weg ebnen, dass die Einhaltung aller ILO-Normen in China gefördert wird.

ver.di PUBLIK | Gab es auch kritische Stimmen, die sagten: Das alles kann eine Stadt wie Neuss doch gar nicht überprüfen?

Vogt-Sädler | Der Beschluss des Rates war einstimmig und wurde ohne eine lange Debatte gefasst. Natürlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, selbst nach China zu fahren und die dortigen Betriebe zu inspizieren. Aber viele deutsche und europäische Unternehmen haben ja auch schon einen Verhaltenskodex, der sich in der Regel auf die ILO-Kernarbeitsnormen stützt und zum Teil sogar die Forderung nach Mindestlöhnen beinhaltet. In solch einem Fall erwarten wir, dass eine unabhängige Organisation die Einhaltung von freiwilligen Selbstverpflichtungen bestätigt.

ver.di PUBLIK | Und wenn Lieferanten so etwas nicht vorweisen können?

Vogt-Sädler | Es gibt eine Übergangszeit, damit Zulieferer ihre Produktionsbedingungen umstellen können. Leider haben sich typische Zulieferer der Kommunen - beispielsweise aus dem Dienstkleidungssektor - den bereits existierenden Initiativen noch nicht angeschlossen. Das liegt wohl auch daran, dass es dafür bisher keine Nachfrage gab. Doch inzwischen arbeitet in Nordrhein-Westfalen ein Fachforum zum Thema Dienstkleidung, und viele Hersteller sind an einer Zusammenarbeit sehr interessiert.

ver.di PUBLIK | Rechnen Sie mit höheren Einkaufskosten für die Kommune?

Vogt-Sädler | Die Beachtung von Sozialstandards verteuert die Produkte nicht unbedingt. Der Anteil der Arbeitskosten am Verkaufspreis liegt ja bei nur ein bis fünf Prozent. Natürlich verursachen die Kontrollen durch unabhängige Gutachter zusätzliche Kosten. Doch auch das hält sich in überschaubarem Rahmen.

ver.di PUBLIK | Was passiert, wenn Sie feststellen, dass die Angaben der Lieferanten falsch waren? Gibt es eine ,schwarze Liste'?

Vogt-Sädler | Zurzeit gibt es noch keine solche Liste. Falsche Angaben würden aber grundsätzlich Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmens begründen und sind insofern ein Ausschlusskriterium von der Vergabe.

Interview: Annette Jensen