Viele bunte Verpackungen verraten nicht, was wirklich in ihnen steckt

Das Plus an Kalzium im Schokoriegel steht auf dem Spiel. Auch den Joghurtkulturen, die "die Verdauung in Schwung" bringen, könnte der Garaus gemacht werden. Mit der EU-Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln, die seit dem 1. Juli gilt, geht es einseitigen oder nicht wissenschaftlich untermauerten Werbebotschaften an den Kragen. Kritikern allerdings geht es nicht schnell genug, weil für die Umsetzung lange Übergangsfristen gelten.

Was sich in der EU-Verordnung kompliziert und detailreich liest, ist im Grunde ganz einfach: Hersteller von Lebensmitteln oder Süßigkeiten dürfen Verbraucher nicht mehr mit Versprechen wie "stärkt die Abwehr" oder "hält Sie gesund" locken, wenn die gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffe nicht wissenschaftlich nachgewiesen sind. Gleiches gilt, wenn mit Extraportionen Kalzium, Vitaminen oder Mineralstoffen geworben und Gesundheit suggeriert wird, das Produkt neben diesen "gesunden" Inhaltsstoffen aber auch jede Menge Zucker, Fett oder Salz enthält, diese aber im Kleingedruckten verschwinden. In der neuen Verordnung werden bislang allerdings nur Angaben wie "leicht", "fettarm" oder "zuckerarm" genau auf Punkt und Komma definiert. Für alle anderen Angaben bleiben noch einige Jahre Zeit.

Große Umstellungen gibt es zum Stichtag tatsächlich nicht, wie Imke Grassau, Kommunikationsmanagerin beim Konsumgüterkonzern Unilever, bestätigt: "Überprüft haben wir alle Produkte und kleine sprachliche Veränderungen vorgenommen, aber die wird der Konsument kaum bemerken."

Im EU-Parlament gab es jahrelang Streit um die Regelung. Mühsam wurde im vergangenen Jahr ein Kompromiss ausgehandelt. Vor allem Lebensmittelhersteller, aber auch die Werbebranche hatten sich heftig gegen die Einschränkungen zur Wehr gesetzt. "Wir haben bereits ein Gesetz zu irreführender oder vergleichender Werbung, das vollauf genügt hat", kritisiert Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft. Die jetzt auferlegten Restriktionen kämen einer "schleichenden Einführung von Staatsprodukten" gleich, weil die bürokratischen Hürden so hoch seien, dass am Ende keine Vielfalt mehr erkennbar sei.

Fruchtgummi mit wertvollen Vitaminen

Mit den Definitionen in der Verordnung wurde bislang nur ein Anfang gemacht. Um sich den Gesundheitsangaben auf dem Etikett zu widmen, bleibt den Lebensmittelunternehmen noch Spielraum bis zum Jahr 2010. Erst dann müssen gesundheitsbezogene Aussagen und die umstrittenen Nährwertprofile festgelegt sein. Ob es dann noch Fruchtgummi mit wertvollen Vitaminen gibt, bei denen der hohe Zuckeranteil verschwiegen wird oder den als "Cerealienpause" getarnten Schokoriegel, ist fraglich.

Mehr Transparenz für die Konsumenten und mehr Beweislast für die Unternehmen: Das ist das Ziel der Verordnung. Die Lebensmittelwirtschaft, die die Initiative grundsätzlich begrüßt, kritisiert jedoch den gesetzgeberischen Ansatz, nach dem alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Sie befürchtet, dass es nicht gelingen wird, das bestehende Ernährungswissen angemessen zu berücksichtigen. "Dies wird für alle Beteiligten eine Mammutaufgabe, die weltweit ohne Beispiel ist", meint Peter Loosen, Geschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). "Mit dem Verbotsansatz ist der Gesetzgeber dann doch einen Schritt zu weit gegangen und hat einen politisch gut gemeinten Ansatz nicht bis zu Ende gedacht."

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hingegen begrüßt die neue EU-Verordnung. Und auch dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der seit Jahren auf eine entsprechende Regelung wartete, gefällt das Gesetz. "Es geht dabei gar nicht um ein Werbe- oder Produktverbot", sagt vzbv-Ernährungsreferentin Angelika Michel-Drees. "Die Aussagen auf Lebensmitteln sollen lediglich der Wahrheit entsprechen." Wer Cola und Schokoriegel verkaufen wolle, könne dies natürlich tun, aber "er soll den Kunden nicht vorgaukeln, Wellnessprodukte zu erstehen". Jetzt gehe es darum, die Verordnung möglichst zügig mit weiteren Inhalten zu füllen.

Anteil an der Tagesdosis

Mehrere große Lebensmittelkonzerne wollen bereits zum Sommer hin versteckte Dickmacher auf ihren Verpackungen kennzeichnen. Auf der Vorderseite der Verpackung sollen die Kalorien pro Portion stehen. Daneben soll vermerkt werden, welchen prozentualen Anteil der Verzehr dieser Portion an der empfohlenen Tagesdosis hat. Damit wollen die Lebensmittelhersteller das in Großbritannien praktizierte Ampelsystem umgehen. Hier kennzeichnet ein grüner Punkt gesunde Lebensmittel, ein roter Produkte mit einem hohen Fett- oder Zuckergehalt.