Tatjana Fuchs, Soziologin beim Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie, Mitautorin des DGB-Index

Der DGB-Index Gute Arbeit untersucht ab 2007 die Arbeitsbedingungen in Deutschland. Beim ersten Mal wurden mehr als 6000 Menschen befragt

ver.di PUBLIK | Gute Arbeit - das Thema greifen seit kurzem auch SPD und Linkspartei auf. Was halten Sie davon?

Tatjana Fuchs | Es ist erfreulich, dass die Regierungsparteien nicht mehr das Motto "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit" hoch halten. Das haben außer der Linkspartei alle Parteien lange vertreten. Auch die Politiker haben - vor allem mit der Agenda 2010 - Druck auf die Arbeitsbedingungen ausgeübt: mit Leiharbeit, weit unter den branchenüblichen Löhnen; Druck auf Erwerbslose, jede Arbeit anzunehmen; Erleichterung von Befristungen und so weiter. Jetzt zeichnet sich zumindest in der öffentlichen Darstellung ein Umdenken ab, möglicherweise weil der Unmut unter den Beschäftigten immer größer wird. Dem Meinungsumschwung bei den Parteien müssen nun aber Taten folgen - und das sehe ich noch nicht. Es wird geredet, eine Sehnsucht wird aufgegriffen, mehr ist es bisher nicht. Meiner Meinung nach sollten wir als Gewerkschafter/innen aber nicht nur auf die Parteien schauen. Gute Arbeit ist ein uraltes Gewerkschaftsthema, es begleitet von Anfang an unsere Geschichte. Verbesserung der Einkommensbedingungen, Arbeitsschutz, Arbeitsplatzsicherheit sind Kernthemen der Gewerkschaften. Deswegen organisieren sich Menschen. Weil sie wissen, wer bessere Arbeits- und Lebensbedingungen will, muss sich mit anderen organisieren.

ver.di PUBLIK | Was ist neu am DGB-Index über gute Arbeit? Gibt es nicht schon genug Umfragen?

Fuchs | Es gab bisher sehr vereinzelt Umfragen zu den Arbeitsbedingungen in Deutschland. Die waren aber sehr verschieden, so dass nie etwas über die Entwicklung der Arbeitsbedingungen gesagt werden konnte. Mit der DGB-Befragung werden erstmalig die Arbeitsbedingungen in Deutschland regelmäßig einmal im Jahr repräsentativ erfasst. Dabei kommen die zu Wort, die am besten über die Qualität ihrer Arbeitsplätze Auskunft geben können, die Beschäftigten. 2007 haben wir begonnen, das Projekt wird von ver.di, der IG Metall und der IG BCE getragen. Mit der Zeit wird man eine Entwicklung sehen. Und der DGB bietet Betriebs- und Personalräten an, selbst Mitarbeiterbefragungen mit unseren Fragebögen zu machen. Sie können ihre Ergebnisse dann mit der Branche vergleichen und herausfinden, wo sie stehen, was sie lernen und was sie verändern können. Auch das ist einmalig.

ver.di PUBLIK | Wie funktioniert der DGB-Index?

Fuchs | Wir stellen 31 Fragen zu drei Bereichen. Es geht um ein breites Spektrum: Einkommen und Beschäftigungssicherheit, Belastungen und Ressourcen, also Führungsstil, Informationsfluss, Qualifizierungsmöglichkeiten und mehr. Jeder Punkt wird mit einem Wert zwischen null und 100 bewertet. Das Schöne am Index ist, dass wir auf einen Blick den Wert für jede einzelne Dimension sehen können. Alles, was über 80 Punkten liegt, ist gut; die Arbeit ist nicht belastend sondern entwicklungsfördernd. Zwischen 50 und 80 liegt Mittelmaß, ein Wert unter 50 Punkten heißt, dass die Bedingungen als Belastung erlebt werden.

ver.di PUBLIK| Wie sind die Ergebnisse 2007?

Fuchs | Sie zeigen eine dramatisch gespaltene Arbeitswelt. Nur zwölf Prozent der Beschäftigten arbeiten unter guten Arbeitsbedingungen, aber fast dreimal so viele unter schlechten, belastenden. Besonders brisant werden Einkommen und Beschäftigungssicherheit bewertet. Mehr als ein Drittel der Befragten verdient bei Vollzeitarbeit weniger als 2000 Euro brutto. Dabei arbeiten sie oft besonders viel und in anstrengenden Jobs. Die viel zu hohe Arbeitsintensität ist ein weiterer Brennpunkt. Oft ist der Leistungsdruck so hoch, dass die Beschäftigten ihre Arbeit nicht mal mehr zu ihrer eigenen Zufriedenheit ausüben können. Ein weiterer Bereich mit vielen schlechten Ergebnissen sind die Ressourcen. Seit 30 Jahren sagt die Arbeitswissenschaft, wie wichtig es ist, dass Menschen Einfluss auf ihre Arbeit nehmen und sich qualifizieren. Das ist allgemein anerkannt. Trotzdem hat nur ein Drittel der Befragten die Chance auf Qualifizierung. Oft werden nicht einmal vorhandene Qualifikationen genutzt, geschweige denn weiterentwickelt. So verkümmern Fähigkeiten. Ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft - und wirtschaftspolitisch dumm.

Ermutigend ist, dass es nach wie vor übergreifende Vorstellungen der Beschäftigten von guter Arbeit gibt. Dazu gehören ein sicherer Arbeitsplatz, ein verlässliches und ausreichendes Einkommen, ein respektvoller Umgang im Betrieb, ausreichende Informationen, Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Obwohl die Leute unter sehr unterschiedlichen Bedingungen arbeiten, eint sie eine gemeinsame Vision von guter Arbeit. Das finde ich wichtig.

ver.di PUBLIK | Wie geht es mit dem Index weiter?

Fuchs | 2008 findet die zweite Befragung statt, wieder repräsentativ, aber mit anderen Beschäftigten. Danach wird der erste Vergleich möglich. Vorerst ist der Index für drei Jahre geplant. Eine Servicestelle, die Betriebs- und Personalräte berät, wird zurzeit beim DGB eingerichtet.

ver.di PUBLIK | Was kann bei dem Aufwand herauskommen?

Fuchs | Dass die Beschäftigten ermutigt werden, offensiv ihre Ansprüche und Interessen gegenüber Unternehmern und Politik zu formulieren. Das Recht auf bestmögliche Arbeitsbedingungen ist ein Menschenrecht, schlechte dürfen nicht still hingenommen werden. Betriebs- und Personalräte bekommen mit der Möglichkeit, die DGB-Befragung im Betrieb anzuwenden, ein Instrument, gemeinsam mit den Beschäftigten auf schlechte Arbeit aufmerksam zu machen und sich für gute Arbeit einzusetzen. Ich bin überzeugt, dass ihnen das gelingen wird.

Interview: Claudia von Zglinicki

www.dgb-index-gute-arbeit.de

Ein Ergebnis aus dem Index: So bewerten die Teilnehmer/innen der ersten repräsentativen Umfrage die Qualität ihrer Arbeit nach Berufsgruppen. Selbst bei denen, die an der Spitze liegen, ist der gelbe Balken für gute Arbeit nicht groß. Ganz am Schluss stehen die Zeitarbeiter/innen: 56 Prozent schätzen ihre Arbeit als schlecht ein