Ausgabe 03/2008
Geringes Interesse an den Folgen der Kostendämpfung
Geringes Interesse an den Folgen der Kostendämpfung
Interview mit dem Gesundheitswissenschaftler Michael Simon, Professor an der Fachhochschule Hannover, und Mitherausgeber des Jahrbuchs für Kritische Medizin
ver.di PUBLIK | Die deutschen Krankenhäuser stehen unter enormem finanziellem Druck, Pflegepersonal wurde massiv abgebaut. Sind Patienten gefährdet?
Michael Simon | Es gibt mittlerweile zahlreiche Berichte darüber, dass in einem Teil der Krankenhäuser bereits die Qualität der Patientenversorgung leidet. Nicht von ungefähr haben sich im letzten Jahr bereits Fernsehsendungen mit dem Thema "Pflegenotstand" beschäftigt. Leider gibt es zu diesem Bereich viel zu wenig aktuelle Forschung, so dass wissenschaftlich gesicherte allgemeine Aussagen nicht möglich sind.
ver.di PUBLIK | Woher rührt dieser Mangel?
Simon | Das Interesse an unabhängigen Erkenntnissen zu den Folgen von Kostendämpfung im Krankenhausbereich scheint gering zu sein. Als die Fallpauschalen 2002 im Gesetz verankert wurden, hat das Bundesgesundheitsministerium die Spitzenverbände - die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen - aufgefordert, eine unabhängige Begleitforschung auszuschreiben. Bis heute ist nichts passiert. Doch in der Zwischenzeit hätte das Ministerium schließlich auch selbst tätig werden können.
ver.di PUBLIK | ver.di sieht die Ursache für den Personalabbau vor allem in der gesetzlichen Begrenzung der Krankenhausbudgets und fordert nun deren Entdeckelung. Was wären die Folgen?
Simon | Ich halte diese Forderung für berechtigt, auch wenn sie die Kassen natürlich vor finanzielle Schwierigkeiten stellt. Doch das Problem der Krankenkassen sind nicht die Ausgaben - die sind seit Jahren im Rahmen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Das Problem sind die Einnahmen, die Koppelung der Beiträge an - stetig sinkende - Löhne und Gehälter. Dies müsste die Politik neu regeln.
ver.di PUBLIK | Wird die Entdeckelung denn zu Erleichterung auf den Stationen führen?
Simon | Sicherlich wird es die Situation der Krankenhäuser entspannen, der Personalabbau im Pflegedienst ist aber nicht nur auf die Deckelung zurückzuführen, sondern auch auf interne Umverteilungen. So wurden die Stellen für Ärzte im gleichen Zeitraum deutlich aufgestockt.
ver.di PUBLIK | Wie kommt man dem Pflegenotstand dann bei?
Simon | Meiner Meinung nach nur durch die Einführung von allgemein verbindlichen Personalbemessungsverfahren. Von 1992 bis 1995 wurde die so genannte Pflegepersonalregelung angewandt. Sie gab eine Methode für die Berechnung des notwendigen Pflegepersonals auf einer Station vor, die sowohl für die Krankenhäuser als auch die Krankenkassen verbindlich war. Nach ihrer Abschaffung im Jahr 1996 setzte umgehend der Stellenabbau ein.
ver.di PUBLIK | Solche Verfahren dürften aber zu einer Personalaufstockung führen.
Simon | Ja. Aber das sollte uns eine gute Krankenhausversorgung wert sein. Im Übrigen liegt Deutschland im internationalen Vergleich laut neuester Daten der OECD unter dem Durchschnitt, was die Zahl des Krankenhauspersonals und die Pro-Kopf-Ausgaben für die Krankenhausbehandlung anbelangt.
Gedeckelte Budgets
Wie stark das Budget eines Krankenhauses ansteigen darf, regelt das Gesetz. Der Anstieg orientiert sich dabei nicht an dem Anstieg der realen Kosten, sondern an der Entwicklung der lohn- und gehaltsabhängigen Einnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung - und die werden immer dünner in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit und Niedriglöhne. Durch diese Politik der Deckelung rutschen die Kliniken Jahr für Jahr in die roten Zahlen. In diesem Jahr darf das Budget um 0,64 Prozent steigen. Zugleich sollen die Kliniken aber auch noch mit 0,5 Prozent zur Sanierung der Krankenkassen herangezogen werden. Doch allein die Sachkosten der Krankenhäuser steigen laut RWI in diesem Jahr um 0,95 Milliarden Euro oder rund 1,6 Prozent der Betriebskosten. Somit entsteht - auch ohne Tarifsteigerung - ein Defizit von 500 Millionen Euro allein für das laufende Jahr. Insgesamt liegen die Betriebskosten der Krankenhäuser 2008 bei rund 60 Milliarden Euro.