Häufig unterschätzt: Zahnersatz kann sowohl physische als auch psychische Leiden nach sich ziehen

Die Rangfolge der Kaukraft geht so: Eigenes Gebiss. Implantate oder Brücken. Teilprothesen. Zuletzt: die Vollprothese. Das Problemkind. Physisch, wie psychisch.

Lieber als herausnehmbare Prothesen ist den meisten Patienten ein festsitzender Zahnersatz: Kronen, Brücken oder Implantate - künstliche Zähne, die mittels Metallpfropfen im Kiefer festgedübelt sind. Diese machen in der Regel wenig Probleme. Sie können ab und zu etwas empfindlich gegen Wärme oder Kälte sein. Und putzt man rund um ein Implantat nicht ordentlich, kann sich das Zahnfleisch entzünden.

Schwieriger ist es bei Teil- oder Vollprothesen. Auf einmal ist der Patient mit Problemen wie Alter, Scham und Attraktivitätsverlust konfrontiert. Stephan Doering, Deutschlands einziger Professor für Psychosomatik in der Zahnheilkunde, erklärt: "Das ist ein ganz normaler Vorgang, den jeder bewältigen muss, der einen Zahnersatz bekommt." Den Patienten macht aber noch mehr zu schaffen: Erstens, das Gefühl, einen Fremdkörper im Mund zu haben. Und zweitens Beschwerden wie Kiefer-Gesichts-Schmerzen, brennender Mund, Würgereiz, Druckgefühle, Geschmacksveränderungen. "Am Anfang", sagt Doering, "ist das meist normal." Problematisch sei, wenn diese Empfindungen nach einigen Monaten nicht weichen - die Prothese aber technisch einwandfrei passt, und keine Wunden oder Druckstellen gefunden werden. Dann ist eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll.

Auch körperliche Veränderungen können auftreten: Nahezu unvermeidbar ist Knochenschwund, wo eigene Zähne fehlen. Die Prothese muss dann unterfüttert werden. Im Oberkiefer kann sie sich aufs Geschmacksempfinden auswirken, auf Gefühl und Sprechen. Wie ein Kunststoffmantel liegt die Prothese über dem Gaumen. Wer heißen Kaffee trinkt, spürt die Temperatur nicht, fühlt die Flüssigkeit nicht am Gaumen. Bis sich die Zunge an den neuen Raum gewöhnt hat, fällt häufig auch das Sprechen schwer - vor allem S-Laute. Auch die Gaumenschleimhaut kann sich durch eine Vollprothese am Oberkiefer verändern. Da hilft nur: Den Gaumen mit einer weichen Zahnbürste massieren. Das reinigt und verbessert die Durchblutung.

Unterschätzt wird häufig die Pflege des Zahnersatzes, hat Anne Wolowski, Vorsitzende des Arbeitskreises für Psychologie und Psychosomatik in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, festgestellt. Jeder sollte sich von seinem Zahnarzt Putztechnik und Hilfsmittel zeigen lassen. Das Wasserglas mit Reinigungstablette reicht nicht.

Und noch etwas müssen viele Patienten lernen: weiterhin kraftvoll zuzubeißen. Das ist wichtig für Kieferknochen und Kaumuskulatur. Zwei Ausnahmen gibt es: Wenn Implantate einwachsen - und den berühmten knackigen Apfel: In den beißt man mit einer Vollprothese besser seitlich hinein. Oder schneidet ihn sich klein.

Angelika Dietrich

Kosten

Billigster Zahnersatz ist die Vollprothese: Für herausnehmbare Ober- und Unterkieferprothesen zahlt man zusammen etwa 1000 Euro. Die Luxusvariante eines künstlichen Gebisses kostet etwa 13000 Euro pro Kiefer: ein festsitzender Zahnersatz mit zum Beispiel acht Implantaten im Oberkiefer und sechs im Unterkiefer, dazwischen eingesetzte Brücken.

Rat und Auskunft bei Fragen zum Zahnersatz:

Krankenkassen Verbraucherzentralen

Zahnärztliche Beratungsstellen wie die der gesetzlichen Krankenkassen: www.zahnaerztliche-patientenberatung.de oder die 2006 gegründete Arbeitsgemeinschaft Zahngesundheit der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland: www.unabhaengige-patientenberatung.de

Wenn die Prothese auch nach häufigem Korrigieren nicht passt, kann man bei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein Mängelgutachten beantragen.

Bei psychosomatischen Problemen: Professor Stephan Doering, Privatdozentin Anne Wolowski, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Universitätsklinikum Münster, Tel: 0251/8347075.

Zahlen zum Zahnersatz

33,9 Prozent der Erwachsenen haben eine Krone, 30,5 eine Brücke, 3,6 eine Teilprothese und 1,2 eine Vollprothese, 1,4 mindestens ein Implantat.

Den Senioren fehlten im Jahr 2005 durchschnittlich 14,2 Zähne, und 22,6 Prozent der Senioren hatten überhaupt keine Zähne mehr.

Quelle: vierte deutsche Mundgesundheitsstudie 2006

Rat und Auskunft bei Fragen zum Zahnersatz:

  • Krankenkassen
  • Verbraucherzentralen
  • Zahnärztliche Beratungsstellen wie die der gesetzlichen Krankenkassen: www.zahnaerztliche-patientenberatung.de oder die 2006 gegründete Arbeitsgemeinschaft Zahngesundheit der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland: www.unabhaengige-patientenberatung.de
  • Wenn die Prothese auch nach häufigem Korrigieren nicht passt, kann manbei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein Mängelgutachten beantragen.
  • Bei psychosomatischen Problemen: Professor Stephan Doering, Privatdozentin Anne Wolowski, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Universitätsklinikum Münster, Tel: 0251 / 83 47 075.